Der innen in Rot
und Gold gehaltene Bau an sich ist natürlich schon eine wahre
Augenweide, das Licht feudal und die Kostüme vom Feinsten. Wenn
dann noch das große, außergewöhnlich starke und über dem
Artisteneingang perfekt platzierte Orchester zur Ouvertüre
fulminant aufspielt, dann ist die Festtags-Stimmung perfekt. Es
ist mal wieder Zeit für Hochglanz-Circus.
Julien Cottereau, Salima Peippo, Michel Palmer
In den Vorjahren
haben die Salto Dancers die Show eröffnet und wir wurden von
Sergio als Monsieur Loyal begrüßt. Das Ballett kommt in diesem
Winter in der Hallenshow der Bougliones in Le Bourget zum
Einsatz und ganz ehrlich: Im Laufe der Zeit kannte man die sich
zumeist wiederholenden Einlagen ohnehin schon. Sergio gibt
2010/11 seinen Abschied aus dem Cirque d'hiver. Während unseres
Besuchs ist er ebenfalls in Le Bourget zu sehen. Seinen Part
übernimmt in dieser Zeit der von Arlette Gruss und vom
Ravensburger Weihnachtscircus bekannte Michel Palmer. Er führt
mit einer gewissen Noblesse durch die Show, kündigt die
einzelnen Darbietungen an und ist Counterpart von Komiker
Gregory Bellini. Zusammen mit den Clowns heißt Palmer aktuell
das Publikum willkommen und spricht die magischen Worte „Place
au cirque“. Diese sind das Stichwort für die Löwen, welche von
Dominik Gasser im klassischen Livree vorgeführt werden. Die
Könige des Tierreichs haben einige Tricks auf Lager, wenngleich
diese zumeist nur von einem Teil der Gruppe gearbeitet werden.
Während der Zentralkäfig abgebaut wird versucht Bellini
erstmals, mehr oder weniger erfolgreich, Palmer von seinen
magischen Fähigkeiten zu überzeugen. Die von den Gittern
befreite Manege gehört sodann Salima Peippo. Im langen blauen
Kleid lässt sie elegant Hula Hoop-Reifen um ihren Körper
kreisen. Eine echte Entdeckung für die hiesigen Circusmanegen
ist Pantomime Julien Cottereau. Sein Können ist famos und sein
Spiel mit dem Publikum perfekt sowie höchst sympathisch. Von mit
dem Mund produzierten Geräuschen begleitet, wirft er einen
imaginären Tennisball ins Publikum und lässt ihn sich wieder
zurück schmeißen; Pannen inklusive. Sein imaginäres Fußballspiel
mit einem Jungen aus den Zuschauerreihen ist so perfekt, dass
man an eine zufällige Auswahl des Mitspielers nicht glauben mag.
Regina Bouglione |
Es gehört zu
den Programmen im Cirque d'hiver, dass auch die
Direktionsfamilie mindestens eine Darbietung beisteuert.
Dieser Part wird in diesem Jahr u.a. von Regina Bouglione
übernommen, die eine Hohe Schule präsentiert. Nach einem
mit Verbrennungen der harmloseren Art endenden
Entfesselungs-Act von Bellini, produziert sich dann die
nächste Generation Bouglione in der Manege. Valentino,
Dimitri und Alessandro generieren sich als
Nachwuchsartisten. Natürlich sind ihre Tricks kindgerecht
und wenig aufsehen erregend. Bei Bouglione versteht man es
aber, auch diese Darbietung wirksam zu verkaufen, indem
man die akrobatischen Übungen im historischen Stil
aufmacht. Die unbekümmerte Art der „goldigen“ Kinder tut
ihr übriges. Julien Cottereau probt sodann mit einer Dame
aus dem Publikum für den Laufsteg. Für die Pferdefreiheit
weißt das Programmheft Joseph Bouglione aus. An diesem
Morgen werden die vier Friesen aus dem Hause Togni aber
von Hand-Ludwig Suppmeier vorgeführt, der nicht zum ersten
Mal im Pariser Wintercircus zu Gast ist. Vor der Pause
füllt sich die Manege mit Mitgliedern der Truppe Bingo.
Einige der Gesichter kennen wir noch aus dem Knie-Programm
2009. Sie zeigen in roten Kostümen und mit viel Esprit die
verschiedensten Disziplinen der Artistik in einem
ungeheuer dynamischen Bild. Eine perfekte Szene um den
ersten Programmteil zu beenden. |
Desire
of Flight, Duo Pilar, Eva Julie Christie
Die zweite Hälfte
beginnt mit dem Hochseil des Duo Guerrero, welches nicht nur
durch die schwierigen Tricks besticht, sondern zusätzlich durch
den Gesang von Aura Cardinali. Schon beim Aufstieg über das
Schrägseil klingt ihre wunderschöne Stimme durch den Bau. Da der
Ablaufplan für diesen Morgen nur die „short version“ ihrer
Darbietung vorsieht, müssen wir auf den Abgang über das
Schrägseil im 2-Personen-hoch verzichten. Somit ist der
2-Personen-hoch mit Unterfrau auf dem Hochseil der Höhepunkt
ihrer Darbietung. Von der Rollschuhdarbietung des Duo Pilar
sehen wir ebenfalls nur die Kurzversion. Das 20-jährige
Geschwisterpaar arbeitet rasant und riskant auf der kreisrunden
Fläche. Es werden die bekannten Tricks dieses Genres sehr
sympathisch präsentiert. Außerdem balanciert der männliche Part
seine Schwester in der Horizontalen gleich zu Beginn auf dem
Kopf. Die dritte Duo-Darbietung steuern Desire of Flight bei.
Die beiden Russen fliegen an den Strapaten ungemein sinnlich,
aber eben auch sehr risikoreich durch den Raum über der Manege.
Eva Julie (Christie) lässt in ihrer Magic Show, unterstützt von
Damen aus dem Bingo-Ensemble, Tiere erscheinen und verschwinden.
Ihre zauberhaften Partner reichen von der Katze über
verschiedene Hunde bis hin zum Tiger. Die Komik fehlt natürlich
auch im zweiten Teil nicht. Gregory Bellini beherrscht im
Gegensatz zu Eva Julie nicht die große, sondern die kleine
Illusion. Ebenfalls ergeben sich größere Differenzen im
Perfektionsgrad. Bei Bellini geht so einiges schief, dafür hat
er aber die Lacher auf seiner Seite. Julien Cottereau spielt mit
zwei (wiederum etwas zu perfekt agierenden) „Freiwilligen“ aus
dem Publikum „Cowboy und Indianer“. Erneut sind ihm die
Sympathien der Zuschauer sicher.
Truppe Drogaleva
Die große Nummer
zum Schluss gehört Elena Drogaleva und ihren drei männlichen
Begleitern. Die Nummer im Marlene Dietrich-Stil ist ungemein
rasant und perfekt durchgestylt - ohne synthetisch zu wirken.
Das Letzteres nicht passiert, dafür sorgt das sympathische
Auftreten der Jongleure. Das Erlebnis der Keulenjonglagen auf
mehreren Ebenen vollkommen macht die treibende Musik, fulminant
interpretiert vom Orchester des Cirque d'hiver unter Pierre
Nouveau. Das Finale wird tänzerisch von der Truppe Bingo in
weißen Kostümen eingeleitet. Dann erscheinen, comme d'habitude,
alle Mitwirkenden mit Luftballons. Nach der obligatorischen
Versammlung in der Manegenmitte dürfen sich alle Akteure
nochmals einzeln verabschieden. Der Vollständigkeit halber sei
noch erwähnt, dass wir an diesem Morgen auf Iryna & Kataryna
(Trapez) sowie Irina Bouglione (Luftring) verzichten müssen.
Natürlich geht es im nächsten Winter weiter. Dann wird unter
anderem Fumagalli wieder einmal mit von der Partie sein. |