CHPITEAU.DE

Bougliones Cirque d'hiver 2010
www.cirquedhiver.com ; 35 Showfotos

Paris, 11. Dezember 2010: „Früher war mehr Lametta.“, würde wohl Opa Hoppenstedt zu „Prestige“ sagen. Denn die aktuelle Produktion im Cirque d'hiver der Familie Bouglione kommt mit weniger Zuckerguss aus als noch seine Vorgänger. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass auf die Mitwirkung der hauseigenen Salto-Dancers verzichtet wurde. Somit entfallen die vielen Ballettszenen um die eigentlichen Nummern herum. Es bleibt damit – und das ist das Positive daran – mehr Raum für Artisten, Clowns und Tierlehrer. Und auch Loriots Großvater-Figur dürfte weiterhin voll auf seine Kosten kommen.

Der innen in Rot und Gold gehaltene Bau an sich ist natürlich schon eine wahre Augenweide, das Licht feudal und die Kostüme vom Feinsten. Wenn dann noch das große, außergewöhnlich starke und über dem Artisteneingang perfekt platzierte Orchester zur Ouvertüre fulminant aufspielt, dann ist die Festtags-Stimmung perfekt. Es ist mal wieder Zeit für Hochglanz-Circus.


Julien Cottereau, Salima Peippo, Michel Palmer

In den Vorjahren haben die Salto Dancers die Show eröffnet und wir wurden von Sergio als Monsieur Loyal begrüßt. Das Ballett kommt in diesem Winter in der Hallenshow der Bougliones in Le Bourget zum Einsatz und ganz ehrlich: Im Laufe der Zeit kannte man die sich zumeist wiederholenden Einlagen ohnehin schon. Sergio gibt 2010/11 seinen Abschied aus dem Cirque d'hiver. Während unseres Besuchs ist er ebenfalls in Le Bourget zu sehen. Seinen Part übernimmt in dieser Zeit der von Arlette Gruss und vom Ravensburger Weihnachtscircus bekannte Michel Palmer. Er führt mit einer gewissen Noblesse durch die Show, kündigt die einzelnen Darbietungen an und ist Counterpart von Komiker Gregory Bellini. Zusammen mit den Clowns heißt Palmer aktuell das Publikum willkommen und spricht die magischen Worte „Place au cirque“. Diese sind das Stichwort für die Löwen, welche von Dominik Gasser im klassischen Livree vorgeführt werden. Die Könige des Tierreichs haben einige Tricks auf Lager, wenngleich diese zumeist nur von einem Teil der Gruppe gearbeitet werden. Während der Zentralkäfig abgebaut wird versucht Bellini erstmals, mehr oder weniger erfolgreich, Palmer von seinen magischen Fähigkeiten zu überzeugen. Die von den Gittern befreite Manege gehört sodann Salima Peippo. Im langen blauen Kleid lässt sie elegant Hula Hoop-Reifen um ihren Körper kreisen. Eine echte Entdeckung für die hiesigen Circusmanegen ist Pantomime Julien Cottereau. Sein Können ist famos und sein Spiel mit dem Publikum perfekt sowie höchst sympathisch. Von mit dem Mund produzierten Geräuschen begleitet, wirft er einen imaginären Tennisball ins Publikum und lässt ihn sich wieder zurück schmeißen; Pannen inklusive. Sein imaginäres Fußballspiel mit einem Jungen aus den Zuschauerreihen ist so perfekt, dass man an eine zufällige Auswahl des Mitspielers nicht glauben mag.
 


Regina Bouglione

Es gehört zu den Programmen im Cirque d'hiver, dass auch die Direktionsfamilie mindestens eine Darbietung beisteuert. Dieser Part wird in diesem Jahr u.a. von Regina Bouglione übernommen, die eine Hohe Schule präsentiert. Nach einem mit Verbrennungen der harmloseren Art endenden Entfesselungs-Act von Bellini, produziert sich dann die nächste Generation Bouglione in der Manege. Valentino, Dimitri und Alessandro generieren sich als Nachwuchsartisten. Natürlich sind ihre Tricks kindgerecht und wenig aufsehen erregend. Bei Bouglione versteht man es aber, auch diese Darbietung wirksam zu verkaufen, indem man die akrobatischen Übungen im historischen Stil aufmacht. Die unbekümmerte Art der „goldigen“ Kinder tut ihr übriges. Julien Cottereau probt sodann mit einer Dame aus dem Publikum für den Laufsteg. Für die Pferdefreiheit weißt das Programmheft Joseph Bouglione aus. An diesem Morgen werden die vier Friesen aus dem Hause Togni aber von Hand-Ludwig Suppmeier vorgeführt, der nicht zum ersten Mal im Pariser Wintercircus zu Gast ist. Vor der Pause füllt sich die Manege mit Mitgliedern der Truppe Bingo. Einige der Gesichter kennen wir noch aus dem Knie-Programm 2009. Sie zeigen in roten Kostümen und mit viel Esprit die verschiedensten Disziplinen der Artistik in einem ungeheuer dynamischen Bild. Eine perfekte Szene um den ersten Programmteil zu beenden.

 
Desire of Flight, Duo Pilar, Eva Julie Christie

Die zweite Hälfte beginnt mit dem Hochseil des Duo Guerrero, welches nicht nur durch die schwierigen Tricks besticht, sondern zusätzlich durch den Gesang von Aura Cardinali. Schon beim Aufstieg über das Schrägseil klingt ihre wunderschöne Stimme durch den Bau. Da der Ablaufplan für diesen Morgen nur die „short version“ ihrer Darbietung vorsieht, müssen wir auf den Abgang über das Schrägseil im 2-Personen-hoch verzichten. Somit ist der 2-Personen-hoch mit Unterfrau auf dem Hochseil der Höhepunkt ihrer Darbietung. Von der Rollschuhdarbietung des Duo Pilar sehen wir ebenfalls nur die Kurzversion. Das 20-jährige Geschwisterpaar arbeitet rasant und riskant auf der kreisrunden Fläche. Es werden die bekannten Tricks dieses Genres sehr sympathisch präsentiert. Außerdem balanciert der männliche Part seine Schwester in der Horizontalen gleich zu Beginn auf dem Kopf. Die dritte Duo-Darbietung steuern Desire of Flight bei. Die beiden Russen fliegen an den Strapaten ungemein sinnlich, aber eben auch sehr risikoreich durch den Raum über der Manege. Eva Julie (Christie) lässt in ihrer Magic Show, unterstützt von Damen aus dem Bingo-Ensemble, Tiere erscheinen und verschwinden. Ihre zauberhaften Partner reichen von der Katze über verschiedene Hunde bis hin zum Tiger. Die Komik fehlt natürlich auch im zweiten Teil nicht. Gregory Bellini beherrscht im Gegensatz zu Eva Julie nicht die große, sondern die kleine Illusion. Ebenfalls ergeben sich größere Differenzen im Perfektionsgrad. Bei Bellini geht so einiges schief, dafür hat er aber die Lacher auf seiner Seite. Julien Cottereau spielt mit zwei (wiederum etwas zu perfekt agierenden) „Freiwilligen“ aus dem Publikum „Cowboy und Indianer“. Erneut sind ihm die Sympathien der Zuschauer sicher.


Truppe Drogaleva

Die große Nummer zum Schluss gehört Elena Drogaleva und ihren drei männlichen Begleitern. Die Nummer im Marlene Dietrich-Stil ist ungemein rasant und perfekt durchgestylt - ohne synthetisch zu wirken. Das Letzteres nicht passiert, dafür sorgt das sympathische Auftreten der Jongleure. Das Erlebnis der Keulenjonglagen auf mehreren Ebenen vollkommen macht die treibende Musik, fulminant interpretiert vom Orchester des Cirque d'hiver unter Pierre Nouveau. Das Finale wird tänzerisch von der Truppe Bingo in weißen Kostümen eingeleitet. Dann erscheinen, comme d'habitude, alle Mitwirkenden mit Luftballons. Nach der obligatorischen Versammlung in der Manegenmitte dürfen sich alle Akteure nochmals einzeln verabschieden. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass wir an diesem Morgen auf Iryna & Kataryna (Trapez) sowie Irina Bouglione (Luftring) verzichten müssen. Natürlich geht es im nächsten Winter weiter. Dann wird unter anderem Fumagalli wieder einmal mit von der Partie sein.

__________________________________________________________________________
Text: Stefan Gierisch; Fotos: Stefan Gierisch, Sven Rindfleisch