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Cirque Alexis Gruss - Melody 2010
www.alexis-gruss.com

Paris, 11. Dezember 2010: Wer hätte das gedacht: Der Cirque à l’Ancienne von Alexis Gruss entdeckt sein Herz für die Rockmusik. Live gespielte Songs von Nirvana und den Red Hot Chilli Peppers sind der Soundtrack zur fulminanten Schlussnummer von Alexandre und Charles Gruss. Passend dazu absolvieren die beiden Enkel von Direktor Alexis Gruss ihre in irrem Tempo vorgetragenen Jonglagen zu Pferd in rockstarmäßigen Lederoutfits. Einen mitreißenderen Schlusspunkt hätte die aktuelle, ganz ausgezeichnete Gruss-Show „Melody“, die noch bis zum 27. Februar in Paris im Bois de Boulogne zu sehen ist, nicht haben können.


Nathalie, Firmin, Alexandre und Charles Gruss

Getreu dem Programm-Motto spielt die Musik und damit das famose achtköpfige um Sänger und Sängerin verstärkte Orchester in der diesjährigen Gruss-Produktion eine zentrale Rolle. Es ist quasi eine lebende Jukebox, die zu jeder Darbietung den passenden Hit aus den letzten 100 Jahren Musikgeschichte beisteuert – von Charleston über die Beatles bis hin zu den Black Eyed Peas. Der 17-jährige Jongleure Francesco Fratellini etwa arbeitet mit viel Publikumskontakt zu Musik von Frank Sinatra. Nathalie Gruss entschwebt zu Edith Piafs „La vie en rose“ an den Strapaten gen Zirkuskuppel. Und Firmin Gruss – jüngster Sohn von Alexis Gruss - präsentiert Elefantendame Syndha als exaltierter Freddy Mercury. Drei Mal dürfen Sie raten, welcher Queen-Song erklingt, wenn Firmin sicher auf dem Kopf von Syndha landet, nachdem er sich von dem Tier per Schleuderbrett dorthin hat katapultieren lassen. Richtig, es ist „We are the champions“. Genial!

Ein ganz besonderer circensischer Augen- und Ohrenschmaus dürfte auch die Kombination aus Pas de deux und Ungarischer Post sein, die der älteste Sohn von Alexis Gruss, Stephane Gruss, gemeinsam mit seiner Frau Nathalie zu einem Abba-Medley präsentiert. Leider war es dem Rezensent nicht vergönnt, diese Darbietung zu sehen, da er eine Abendstellung besuchte. Selbige sind aufgrund des anschließenden Dinners stets um einige Darbietungen gekürzt und kommen auch ohne Pause aus. Ebenfalls diesen Kürzungen zum Opfer fiel ein längeres Clowns-Entree, in dem das gesamte Ensemble versucht ein Hip-Hop-Video zu drehen. In allen Vorstellungen zu sehen sind  dagegen das schwungvolle Seilspring-Opening, die augenzwinkernden Großillusionen zur Musik der „Jackson Five“ sowie die Hula-Hoop-Kür der blonden Grazie Anna Micheletty, die zudem im Zusammenspiel mit Nathalie Gruss an weißen Seidentüchern verzaubert. Bestandteil eines jeden Alexis-Gruss-Programms sind natürlich auch exquisite Pferdedressuren. Wobei man sagen muss, dass diese in „Melody“ eher eine untergeordnete Rolle spielen. Direktor Alexis Gruss zeigt zum einen eine anspruchsvolle Freiheitsdressur mit sechs jungen Lusitanos sowie ein Da-Capo-Potpourri im zweiten Teil. Darüber hinaus ist Gipsy Gruss mit einer Hohen Schule am langen Zügel zu sehen. Und gleich zu Beginn gibt es eine kurze Sequenz, in der drei Artisten- und drei Pferdepaare in der Manege gleichzeitig Walzer tanzen.


Anna Micheletty


Alexis Gruss

Abschließend ist zu sagen, dass der Cirque Alexis Gruss auch mit „Melody“ das Idealbild eines Familiencircus transportiert. Da es seinen überaus vielseitigen Mitgliedern mit unendlicher Kreativität, mitreißender Spielfreude und der stets spürbaren Liebe zu ihrem Tun erneut gelingt, eine völlig neue Show zu gestalten, die den meisten teuer zusammenengagierten Produktionen in puncto Atmosphäre, Originalität und Inszenierung locker die Show stielt. Puristen mögen nun wieder mäkeln, dass es artistisch wesentlich stärker besetzte Shows gibt. Das stimmt natürlich. Erst recht, weil Maude Gruss nach ihrer Hochzeit mit Tony Florees, den Circus ihrer Eltern verlassen hat. Das ändert aber nichts dran, dass es der Cirque Alexis Gruss auf unnachahmliche Weise versteht, gleichzeitig unterhaltsam, kunstvoll und anrührend zu sein – und gerade deshalb zu den absoluten Favoriten des Rezensenten gehört. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Familie Gruss mit der furiosen Jonglage zu Pferd, der wunderbaren Elefantendressur und der Kombination aus Pas de deux und Ungarischer Post mindestens drei Darbietungen zu bieten hat, die auch in jeder anderen Circusshow Begeisterungsstürme entfachen würden.

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos:
Piet-Hein Out (www.circusfotograaf.nl)