Doch darauf würden
sich die beiden Hazadeure in Jeans und Muskelshirt wohl nie
einlassen. Im Gegenteil, aus dem angekündigten Salto werden
letztendlich zwei. Das vor der Gardine ausgelegte Luftkissen
beruhigt da nur sehr begrenzt. Diese Sensationsnummer ist der
Schlusspunkt eines außergewöhnlich starken und stimmigen
Circusprogramms, welches die Familie von Alexandre Bouglione
diesen Herbst am Atomium in Brüssel präsentiert. Nachdem die
Shows in den Vorjahren unter ein Motto gestellt wurden (Zigeuner
in 2008, Bollywood in 2009), ist „Le cirque des cirques“ ganz
dem klassischen Circus gewidmet. Das Licht mit zig farbigen
„echten“ Scheinwerfern zeigt, wie phantastisch ein warmes,
starkes Licht ohne LEDs wirkt. Die Musik kommt (leider) aus der
Konserve, ist dafür aber perfekt ausgewählt. Ebenso die
handverlesenen Artisten, die allesamt in äußerst geschmackvolle
Kostüme gekleidet sind. Lediglich den Herren der
Schleuderbrett-Truppe würde man gerne einen Besuch bei einem
hiesigen Friseur spendieren. Die Kritik an einem solchen Detail
zeigt aber letztendlich, welche Perfektion ansonsten an den Tag
gelegt wird. Und hierbei sprechen wir nicht von einer
Soleil-Perfektion mit starr vorgegebenem Showablauf, sondern
einer solchen, die von den individuellen Persönlichkeiten der
Akteure lebt.
Maud Florees, Picasso junior,
Tony Florees
Und derer gibt es
eine Vielzahl im Vorweihnachts-Programm des Cirque Alexandre
Bouglione. Für die Sparte der Jonglage gilt das sogar gleich
doppelt. Picasso junior ist einer der beiden Vertreter, den wir
u.a. von seinen Engagements bei Knie und Roncalli kennen. Er
jongliert nach wie vor exzellent mit Tischtennisbällen (mittels
Holzschläger bzw. Mund) und Tellern. Der Spanier versteht sich
aber ebenso professionell auf das Spiel mit dem Publikum. Die
klassischen Jonglierrequisiten Bälle, Keule und Reifen
beherrscht Tony Florees in ebenfalls fantastischer Manier. Seine
Nummer ist außergewöhnlich leistungsstark. Dass der junge Mann
auch noch blendend aussieht und sich ansprechend zu verkaufen
weiss, macht diese Darbietung zu einem perfekten Auftritt. Seine
Ehefrau Maud Florees (geb. Gruss) haben wir lange Zeit im Circus
ihrer Familie, dem Cirque National Alexis Gruss in Paris
bewundern dürfen. Nun hat sie sich zusammen mit ihrem Partner
quasi selbständig gemacht. Selbstverständlich erleben wir sie
auch bei Bouglione im Pferdesattel. Im eleganten „Gruss-Stil“
reitet sie eine Hohe Schule. Ein stattlicher Friese, eine
hübsche Reiterin im edlen Kostüm und perfekt gerittene Figuren
der Hohen Schule – was will man mehr? Ein ganz besonderes
Ereignis ist ebenfalls ihre Kür auf dem Drahtseil. Nach jeder
Sequenz wechselt sie Musik und Kostüm. So entstehen die
verschiedensten, aber immer stimmungsvollen, Bilder. Die Palette
reicht von der ausgelassen tanzenden Zigeunerin bis zur Seil
springenden „Lady mit Hut“.
Duo Vanegas |
Ein weiteres
artistisches Ausrufezeichen setzt das Duo Nikita mit seiner
Darbietung an der Stirnperche. Während der männliche Part
die Last auf seinem Kopf ausbalanciert, glänzt seine
Partnerin auf der Spitze unter anderem mit einem Handstand.
Auch diese starke Nummer wird wiederum äußerst elegant
präsentiert. Sie gipfelt in der Überquerung einer Leiter im
mittels einer Stirnperche gebildeten 2-Personen-Hoch.
Fantastisch. Der weibliche Part des Duo Nikita zeigt zudem
eine wunderschön anzusehende Kür an schneeweißen
Vertikaltüchern. Ihre Version hat die bei diesem Genre so
wichtige perfekte Balance aus Leistung und Schauwert. Es
passt einfach. Zwei junge Damen und drei ebensolche Herren
bilden die Truppe Stoian. Im ersten Teil zeigen sie in
modernen, aber folkloristisch angehauchten Kostümen ihre
Arbeit am Schleuderbrett. Diese gipfelt im mittels einer
Perchestange gebildeten Turm aus drei Personen. Hier, wie
bei der im Quartett gezeigten Darbietungen am russischen
Barren, punkten sie zusätzlich mit ihrem jugendlichen
Schwung. Die Sprünge der beiden Fliegerinnen am Barren enden
mit einem zweimal hintereinander gesprungenen dreifachen
Salto. Komplettiert wird die Riege der Akrobaten von Nancy
Brand. An einem stählernen Halbmond zeigt die sympathische
Artistin eine sehr schön anzusehende Choreographie. Den
Genuss komplett macht der zugehörige Livegesang vom
Weißclown des Pépin Léon Trio. Gemeinsam mit zwei Augusten
spielt er ein klassisches Clowns-Entree. |
Pépin Léon
Trio, Nicolas Bouglione
Auch hierbei
beweisen die drei überzeugend ihr musikalisches Können. Ihr Spiel –
sowohl mit als auch ohne Instrumente – ist vergleichsweise fein
und unterscheidet sich damit wohltuend von den Krawallauftritten
mancher Kollegen. Sie glänzen mit den verschiedensten
Instrumenten von der Tuba bis zum Flügel und ihren sympathisch
präsentierten Späßen. Gegen ein baldiges Wiedersehen in hiesigen
Manegen hätte ich nichts einzuwenden. Für die Reprisen sorgt,
wie bereits seit vielen Jahren bei Bouglione, Rony. Meist tut er
dies im Zusammenspiel mit Pierre Paillé. Der Monsieur Loyal ist
ebenfalls ein vertrautes Gesicht im Cirque Alexandre Bouglione.
Auf verbindliche und sehr charmante Art begleitet uns der
stattliche Herr mit dem freundlichen Gesicht durch die Show.
Natürlich gehört auch Junior-Chef Nicolas Bouglione fest zu
diesem Unternehmen. Er präsentiert die beiden weiteren
Darbietungen mit Tieren. Zu Beginn sehen wir eine Rarität in der
heutigen Zeit. In seiner Raubtierdressur vereint er drei Pumas,
zwei gefleckte und einen schwarzen Panther. Die Tiere
demonstrieren ihr Sprungvermögen und im engen Zusammenspiel mit
Nicolas das große Vertrauen zu ihrem menschlichen Partner.
Direkt vor der Pause ist Jenny, die afrikanische Elefantendame
des Hauses, mit ihm in der Manege zu erleben. Jenny beherrscht
alle gängigen Tricks und überzeugt auch mit dem Fußball in Größe
XXL.
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