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Bougliones Cirque d'hiver 2009
www.cirquedhiver.com

Paris, 5. Dezember 2009: Ein Besuch im Cirque d’Hiver ist unabhängig vom gezeigten Programm ein besonderes Erlebnis. Schließlich atmet der wundervoll renovierte Bouglione-Prachtbau, inmitten von Paris, in jedem Winkel fast 160 Jahre Circusgeschichte. Historisches Ambiente, das den Besucher in frühere Glanzzeiten der Circuskunst zurückversetzt, verbindet sich hier mit spektakulärer, modernster Licht- und Tontechnik. Herrlich der Anblick, wie das elfköpfige Orchester im hoch aufragenden Kuppelsaal auf zwei Ebenen über dem samtroten, von Showtreppen eingerahmten Artisteneingang thront.

Die Wirkung jeder einzelnen Darbietung wird durch die fantastische Livemusik und ein Füllhorn verschiedener Beleuchtungseffekte enorm gesteigert. Mit anderen Worten: In einer glanzvolleren Verpackung als im Cirque d’Hiver, zu der auch die sieben "Salto Dancers" beitragen, kann man Circus im Grunde wohl nirgendwo erleben.

Allerdings besteht Bouglione längst nicht nur aus schönem Schein – vielmehr enthält auch die Produktion „Festif“ für das Winterhalbjahr 2010 eine exquisite Auswahl hochklassiger Circusdarbietungen. Nicht ganz plausibel erscheint dagegen die Reihenfolge der Programmpunkte. So werden zwei der artistischen Glanzlichter, die Azzario Sisters (Kopf auf Kopf) und Diabolo-Jongleur Tony Frébourg gleich zum Beginn „verbraten“, während sich die Kostümillusion der „Les Matadors“ nicht unbedingt als Schlussnummer aufgedrängt hätte. Es gäbe doch einige andere Kandidaten für den Beschluss des Programms. Zudem gab es auch im vergangenen Winter vor dem Finale blitzschnelle Kleiderwechsel – damals mit den Monastirskis. Insgesamt wirkt das Programm durch die etwas zufällig wirkende Abfolge merkwürdig unstrukturiert.

 
Martinis, Tom Dieck jr., Joseph Bouglione

Die Show beginnt mit der Löwendressur von Tom Dieck junior mit drei männlichen und zwei weiblichen Tieren, die sich durch zahlreiche Sprünge, Hochsitzer, Scheinangriffe und das differenzierte Zusammenspiel von Mensch und Tier auszeichnet. Auch wenn die Platzverhältnisse beim Bouglione-Bau Grenzen setzen, sind Tierdarbietungen ein fester Bestandteil der Programme. In diesem Jahre dirigiert Regina Bouglione sechs Lamas als Hürdenspringer, Guanako Pepe sowie Pony und Hund, allesamt vom ehemaligen Circus Barum, durch einen Kurzauftritt, zeigt Joseph Bouglione als Pausennummer vier weiße Freiheitspferde und gefallen die Junioren Valentino Togni-Bouglione und Dimitri Bouglione in einer Kleintierdressur mit Ziegen und Enten. Im clownesken Teil wetteifern gleich zwei klassische Clownsensembles um die Gunst des Publikums. Da sind zum einen die Martinis, welche einen Zuschauer nach der Raubtierdressur durch einen Feuerreifen springen lassen wollen, als klassische Musikalclowns ihr komisches Talent beweisen oder mit Glockenspiel gefallen. Tony Mitchel zeigt sein herrliches Wasser-Entrée, über das man sich immer wieder so herzlich ausschütten kann. Seine Mitspieler sind hier "Haus-Weißclown" Alberto Caroli, Mr. Loyal Sergio und ein zweiter August.


Tony Frébourg, Elena & Elena, Azzario Sisters, Flying Bulldancers 

Im artistischen Teil des Programms geht es zunächst in die Luft: Elena & Elena zeigen an den roten Seidentüchern kraftvolle Haltetricks und Abfaller. Dann ist bereits Tony Frébourg an der Reihe. Mit seinen Diabolo-Spielen im asiatischen Look gehört er sicher zur absoluten Weltspitze in seinem Genre; bis zu vier Diabolos hält er wirklich ausdauernd in der Luft. Eine Blitzkarriere durch die allerbesten Häuser legen gerade die Azzario Sisters hin – Kopf auf Kopf führte ihr Weg sie, frisch von der Artistenschule in Verona, unter anderem zu Roncalli, ans Apollo-Varieté, in den Kronebau und nun zu Bouglione. Groß herausgestellt wird von Mr. Loyal Sergio, der auch durch diese Produktion führt, der 150. Geburtstag des Flugtrapezes, das schließlich im Bouglione-Bau erfunden wurde. Leotard habe damit die Manegenkünste revolutioniert! Passend zum Genre-Jubiläum treten die Flying Bulldancers, bereits im Vorjahres-Programm engagiert, nun mit großer Geste, humorvoller Note und Walzermusik als „Akrobaten von anno dazumal“ auf. Die Truppe nennt sich hier nach ihrem Flieger Anton von Ostendorf. Ein sicher gesprungener Dreifacher und eine originelle Variante der Passage gehören zum Repertoire, in dem auch die beiden Damen anspruchsvolle Aufgaben übernehmen.


Trio Aphelion, Les Matadors, Marina Bouglione

Dritte Luftnummer im Programm ist dann die extravagante Vertikalseil-Kür von Marina Bouglione, womit die weit verzweigte Circus-Dynastie ein viertes Mal im Programm vertreten ist. Nathalie Enterline präsentiert ihren artistischen Tanz mit dem Twirlingstab – sie mag eine Meisterin ihres Faches sein, vermisst haben wir diese Disziplin in einer Circusmanege bisher dennoch nicht. Kraftakrobatik in Kostümen à la Arlette Gruss präsentieren die Herren des Trios Aphelion – originell der Wechsel im einarmigen Handstand vom Kopf des einen Partners auf den Kopf des anderen. Eine komische Kostümillusion in augenzwinkernder Stierkampf-Manier präsentiert dann also als Finalnummer das Duo „Les Matadors“ – der Herr wechselt tatsächlich verschiedene Matadoren-Outfits, bis er schließlich in roten Boxershorts dasteht und von der Partnerin Stier-Hörner aufgesetzt bekommt. Wie gesagt eine originelle Darbietung, die aber an anderer Stelle im Programm besser aufgehoben wäre.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber