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Sarrasanis Winterspektakel 2006
www.sarrasani.de

Wiesbaden, 22. Dezember 2006: Die Rhein-Main-Hallen in Wiesbaden sind als Spielstätte für eine Varietéproduktion dieser Art nicht geeignet: Das war das Hauptproblem des Programms „Sensations by Sarrasani – Das Winterspektakel“, das vom 21. Dezember bis Silvester lief. Inmitten der riesigen Halle markiert ein grauer Teppichboden eine Spielfläche von der Größe von zwei, drei Zirkus-Manegen: Selbst Logen-Gäste erleben hier Varieté aus der Distanz statt hautnah.

Und die drei Tribünen stehen dann nochmal mehrere Meter von den Logenreihen weg – Stimmung kommt da garantiert nicht auf. Hätte man die mobilen Ränge nicht wenigstens zusammenrücken können? „Holiday on Ice“, mit 30 Tänzern auf der Eisfläche und Riesen-Brimborium, das mag man sich hier noch vorstellen. Was das kleine Sarrasani-Programm in der Kongresshalle verloren hat, ist künstlerisch aber nicht zu begründen. Vermutlich geht’s ums liebe Geld: Es müssen keine Zelte aufgebaut werden; gastronomische und sanitäre Infrastruktur sowie nicht-künstlerisches Personal sind vorhanden. Zu allem Überfluss wurden wir trotz größtenteils leerer Ränge beim Kartenkauf unmöglich platziert – mit Blick von schräg hinten aufs Geschehen, für 23 Euro pro Person. Das Buchungssystem machte gerade Zicken.


Lloyd Kandin, Jinan Acrobatics Troupe, Alex und Marina

Das Programm war am zweiten Tag der Spielzeit schlicht zu kurz. Die Trampolinspringer „Street Kick“, im Programmheft genannt, fehlten. Sarrasani hatte im Vorfeld offenbar mehrere Künstler-Ausfälle zu verkraften, in der Premiere und späteren Vorstellungen wurde das Programm noch ergänzt. Eine Entschuldigung für das Kurz-Programm durch den Moderator blieb in der von uns besuchten Vorstellung aus. So dauerte die erste Programmhälfte dreißig (!), die zweite vierzig Minuten inklusive Finale. Ein Logenbesucher quittierte dies mit Buh-Rufen beim Schlussapplaus und dem aufgebrachten Ruf: „Das ist Verarschung!“. Nun, „Sensations“ ist in der Tat frei von Sensationen, und unter einem „Spektakel“ ist auch anderes, Bombastischeres zu verstehen. Immerhin gibt sich der – namentlich nicht genannte – Choreograph wirklich erkennbar die größte Mühe, aus dem Wenigen ein gefälliges Programm zu formen. Die Sarrasani-Band begleitet, das ist zu loben, jede Nummer live; der charmant-gutaussehende Musical-Darsteller Lloyd Kandin singt, mit weißen Engelsflügeln auf dem Rücken, Weihnachtliches zwischen den Darbietungen und spinnt so einen roten Faden zwischen den artistischen Nummern. Derer gibt es in der ersten Hälfte drei: eine solide Schalenpagode der Jinan Acrobatics Troupe of China, eine nicht sehenswerte Würfel-Jonglage der „Group of Risks“ und ein wunderbarer, leistungsstarker Tango am Trapez mit Alex und Marina.


I Baccala, Group of Risks, Jinan Acrobatics Troupe

In Hälfte zwei sehen wir „The Group of Risks“ nochmal, die hier mit einem überbreiten russischen Barren jedes Risiko einer Fehllandung ausschaltet – und überdies hat das Requisit so etwas wie „Schulterhaken“ an den Enden, das den beiden Fängern die Arbeit erleichtert. Von wegen Requisit: Dies ist das spektakulärste an der Perche-Darbietung des Duo Beretsov. Die Perches sind hier als Spirale, als mit sich drehenden Sternen besetzter Bogen oder als eine aus drei Ringen bestehende Kugel geformt. Die Jinan Acrobatics Troupe, die das Programm eröffnet hat, sorgt auch für den Abschluss, nun mit einer guten Reifenspringer-Darbietung. Das Glanzlicht des Programms sind aber die Clowns „I Baccalà“ mit mehreren Auftritten, teils inmitten der Publikumsränge. Ihre Paradenummer: der mühevolle Aufstieg aufs Trapez – herrlich komisch, selbst aus der größten Distanz.

Hätte, ja hätte, Sarrasani dieses Programm im intimeren Ambiente eines Zelts gezeigt, und wäre André Sarrasani dagewesen, um die fehlende Stunde Programm mit Zauberei und seinem Ballett zu füllen, es hätte ein schöner Abend werden können. So standen die „Sensations“ am 22. Dezember im merkwürdigem Kontrast zur Sarrasani-Philosophie, nur in ausgesuchten Städten aufzutreten und sich dort ein treues Stammpublikum zu erspielen.

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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch