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Friedrichstadtpalast Berlin - Yma
www.show-palace.eu

Berlin, 28. September 2010: Der Berliner Friedrichstadtpalast schwelgt in Superlativen. Bühnendesign, Kostüme und Showgestaltung der neuen Revue „Yma – zu schön, um wahr zu sein“ seien moderner denn je, der Produktionsetat mit acht Millionen Euro so hoch wie nie zuvor. Dank mehr als 100 Tänzern, Musikern, Sängern und Artisten sei die Show die größte Ensuite-Produktion der Gegenwart, übertreffe sogar Las Vegas, und natürlich verfüge das Haus in der Friedrichstraße 107 immer noch über die größte Theaterbühne der Welt. Doch ist Big auch beautiful?

Der Friedrichstadtpalast hat die Krise hinter sich. 1984 eröffnet, sollte der letzte Prachtbau der langsam untergehenden DDR, gigantische 110 mal 80 Meter groß, wohl noch einmal die Leistungsfähigkeit des Systems demonstrieren. Federboas und „erfreuliche Langbeinigkeit“ der Tänzerinnen waren wohl das, was Honecker & Co. unter Weltläufigkeit verstanden, und im Glitzer- und Glamourbetrieb war auch keine versteckte Systemkritik zu befürchten – perfekte sozialistische Unterhaltungskunst eben. Das Haus überstand die Wende, doch irgendwann kam die Krise. 2007 war der Tiefpunkt erreicht, der Showtempel stand zeitweise vor dem Aus. Zurück in die Erfolgsspur kam der "Palast" mit der letzten Produktion „Qi – eine PalastPhantasie“, die auf eine modernere, zeitgemäßere Showgestaltung setzte. Stark steigende Besucherzahlen und Ticketverkäufe brachten das Haus wieder auf Kurs. Nun soll „Yma – zu schön um wahr zu sein“ noch ein weiterer Schritt nach vorne sein. Premiere war am 2. September, wir sahen das Programm vier Wochen später.


Eröffnungsbild

Schon die erste große Szene versetzt in Staunen: Ganz am Ende der Hinterbühne, dem optischen Eindruck nach irgendwo am Horizont, tanzt das große Ballett ganz in weiß auf einem leuchtenden LED-Boden, der währenddessen nach vorne bis an die Bühnenkante gefahren wird. Das Ensemble wird sozusagen auf dem Silbertablett serviert, herangezoomt. Was für ein Effekt! Es ist nicht die einzige Szene, in der das Haus mit seinen fantastischen technischen Möglichkeiten verblüfft. Vor der Pause zum Beispiel – da vereinen sich 32 Tänzerinnen zur längsten Girlreihe der Welt, über die volle Breite des mächtigen Bühnenportals. Dann formieren sie sich zu einem Kreis auf der Drehbühne, diese senkt sich ab ins Wasserbassin - die Damen werden vollautomatisch eingetaucht ins Nass und gehen in eine Art Wasserballett über. In der Tat strahlt die Show einen absolut modernen Look aus. Das ist zunächst einmal der große Verdienst von Stardesigner Michael Michalsky, der die mehr als 500 Kostüme für die Revue kreiert hat. Vor allem in schwarz, weiß und rot gehalten, wirken diese edel, trendy, sexy – und vor allem völlig frei vom Fernsehballett-Muff früherer Jahrzehnte. Federboas & Co. sind verbannt. – Ähnliches kann man zum Bühnendesign der Berliner Kreativschmiede „Circle of Now“ sagen. Links und rechts des Bühnenportals führen hohe, elegante Wendeltreppen zum Orchester, das mittig über der Bühne platziert ist. Auf der Bühne können sechs fahrbare LED-Videowände in unterschiedlichste Positionen gefahren werden und eine wahre Bilderflut abbrennen; einzige „reale“ Teile des Bühnenbildes sind ein zehn Meter hoher Turm aus „Lautsprecherboxen“ und eine große Röhre mit acht Meter Durchmesser. Schwachpunkt der Show sind eindeutig die Auftritte der Protoganistin „Yma“, einer Frau, die von dem männlichen Darsteller Andreas Renee Swoboda verkörpert wird (daher der Show-Untertitel „Zu schön, um wahr zu sein“). Dauerhafte Beziehungen seien heute ja unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn, Sex lenke nur von wichtigen Dingen ab, und sie, Yma, sei „prosexuell“, sie probiere also alles mal aus: Die platten Sprüche sind nicht geistreich, nicht witzig, nicht wirklich provokant. Niemand lachte, niemand zischte empört. Das Geplänkel über Sex und Singletum ist der einzige thematische Faden der Show, auf eine Handlung im eigentlichen Sinne wird dagegen verzichtet.


Ballettszenen: Lady Marmelade, Sexmachine, Rhythm of the Night

Stolz des Friedrichstadtpalastes ist, neben den technischen Möglichkeiten des Hauses, vor allem die 60-köpfige Ballettcompagnie. Die zahlreichen Tanzszenen bietet sozusagen erotisches Prickeln für jeden Geschmack. Wenn zwölf Girls in Strapsen und hochhackigen Schuhen zu „Lady Marmelade“ an einer Ballettstange tanzen, die plötzlich aus dem Bühnenboden fährt. Wenn acht muskulöse Herren, hinter Milchglasscheiben, nackt duschen (Musik: „Sexmachine“) und den bis dahin größten Applaus des Abends ernten. Oder wenn sich Sängerin Anja Krabbe dominahaft auf einem Riesenbett räkelt und plötzlich aus allen Ritzen und Winkeln des Lotterbetts kräftige Männerhände nach ihr greifen. Aber es sind nicht nur diese gewagteren Tanzszenen, die in Erinnerung bleiben. Da wären die sechs Tänzer, die zu cooler Hip-Hop-Musik auf sechs unterschiedlich hohen Podesten steppen. Der elegante Tanz in rot und schwarz auf schwarzen Stühlen. Oder das Ensemble zu „Rhyhtmn of the Night“ im Matrosen-Look vor einer farbenfrohen Projektion im Stile Jean Paul Gaultiers.


Andrey Katkov, U-Showteam, The Flight of Passion

Neben Tanz und Gesang, die weiteren Gesangsolisten sind Koffi Missah und Meike Jürgens, ist in der Show auch hochklassige Artistik vertreten. Den Höhepunkt liefert das Duo „Flight of Passion“, 2009 beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo mit dem Goldenen Clown geehrt. Olesya und ihr Partner Dmitry vereinen in ihrer Strapatenkür perfekte Präsentation, volles Risiko und höchste Schwierigkeitsgrade, zum Beispiel bei den Passagen, in denen der Herr die Dame im Zahnhang hält, oder wenn diese mit einem Bein kopfüber in den Strapaten hängt und mit dem anderen den Partner hält. Das U-Show Team – jenes Artistenensemble, das in jüngerer Zeit in verschiedenen Besetzungen beim Reutlinger Weihnachtscircus und bei Sarrasani zu erleben war – liefert zunächst Salti und Flicflacs auf zwei sich kreuzenden Fasttrack-Trampolinen im Bühnenboden. Direkt im Anschluss wird eine originelle Version gezeigt, bei der vom herkömmlichen Trampolin aus nach Sprüngen und Salti in den Öffnungen des besagten Boxenturmes gelandet wird. Die erwähnte große Röhre dient einem Herrn der U-Show als Kulisse für seine Feuershow, während auf den Videowänden riesige Flammen züngeln. Andrey Katkov zelebriert seine starke Handstandequilibristik, von Theaternebel umwabert, auf einem erhöhten Podest, um das herum die Drehbühne abgesenkt wurde. Erstmals sind auch die Damen des Balletts, an Luftring und Tüchern, stets als synchrone Arbeit mehrerer Akteurinnen, mit artistischen Auftritten beteiligt. Die vierfachen Brekdance-Weltmeister „Flying Steps“ sind in das fulminante, wirklich mitreißende Schlussbild eingebunden, bei dem sich verschiedene Tanzgruppen, Artistik (Tücher, Ring, Handvoltigen…), Sänger, schließlich das gesamte Ensemble, zu einem kolossalen Auftritt zur Musik „This is my Life“ vereinen.

Ist Big nun Beautiful? Ja, schön ist „Berlins größte Show“ auf jeden Fall. Technisch spektakulär, optisch modern, tänzerisch großartig, artistisch leistungsstark. Man staunt über die Schönheit der Bilder, anerkennt den Aufwand, bewundert das technisch Machbare – nur leider sind nicht alle Szenen das, was eigentlich die ganze Show sein müsste: mitreißend.

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Text: Markus Moll; Fotos: Stephan Gustavus, xix