Der
Friedrichstadtpalast hat die Krise hinter sich. 1984 eröffnet, sollte
der letzte Prachtbau der langsam untergehenden DDR, gigantische 110 mal
80 Meter groß, wohl noch einmal die Leistungsfähigkeit des Systems
demonstrieren. Federboas und „erfreuliche Langbeinigkeit“ der
Tänzerinnen waren wohl das, was Honecker & Co. unter Weltläufigkeit
verstanden, und im Glitzer- und Glamourbetrieb war auch keine versteckte
Systemkritik zu befürchten – perfekte sozialistische Unterhaltungskunst
eben. Das Haus überstand die Wende, doch irgendwann kam die Krise. 2007
war der Tiefpunkt erreicht, der Showtempel stand zeitweise vor dem Aus.
Zurück in die Erfolgsspur kam der "Palast" mit der letzten Produktion „Qi –
eine PalastPhantasie“, die auf eine modernere, zeitgemäßere
Showgestaltung setzte. Stark steigende Besucherzahlen und Ticketverkäufe
brachten das Haus wieder auf Kurs. Nun soll „Yma – zu schön um wahr zu
sein“ noch ein weiterer Schritt nach vorne sein. Premiere war am 2.
September, wir sahen das Programm vier Wochen später.

Eröffnungsbild
Schon
die erste große Szene versetzt in Staunen: Ganz am Ende der Hinterbühne,
dem optischen Eindruck nach irgendwo am Horizont, tanzt das große
Ballett ganz in weiß auf einem leuchtenden LED-Boden, der währenddessen
nach vorne bis an die Bühnenkante gefahren wird. Das Ensemble wird
sozusagen auf dem Silbertablett serviert, herangezoomt. Was für ein
Effekt! Es ist nicht die einzige Szene, in der das Haus mit seinen
fantastischen technischen Möglichkeiten verblüfft. Vor der Pause zum
Beispiel – da vereinen sich 32 Tänzerinnen zur längsten Girlreihe der
Welt, über die volle Breite des mächtigen Bühnenportals. Dann formieren
sie sich zu einem Kreis auf der Drehbühne, diese senkt sich ab ins
Wasserbassin - die Damen werden vollautomatisch eingetaucht ins Nass und
gehen in eine Art Wasserballett über. In der Tat strahlt die Show einen
absolut modernen Look aus. Das ist zunächst einmal der große Verdienst
von Stardesigner Michael Michalsky, der die mehr als 500 Kostüme für die
Revue kreiert hat. Vor allem in schwarz, weiß und rot gehalten, wirken
diese edel, trendy, sexy – und vor allem völlig frei vom
Fernsehballett-Muff früherer Jahrzehnte. Federboas & Co. sind verbannt.
– Ähnliches kann man zum Bühnendesign der Berliner Kreativschmiede „Circle
of Now“ sagen. Links und rechts des Bühnenportals führen hohe, elegante
Wendeltreppen zum Orchester, das mittig über der Bühne platziert ist.
Auf der Bühne können sechs fahrbare LED-Videowände in unterschiedlichste
Positionen gefahren werden und eine wahre Bilderflut abbrennen; einzige
„reale“ Teile des Bühnenbildes sind ein zehn Meter hoher Turm aus
„Lautsprecherboxen“ und eine große Röhre mit acht Meter Durchmesser.
Schwachpunkt der Show sind eindeutig die Auftritte der Protoganistin „Yma“,
einer Frau, die von dem männlichen Darsteller Andreas Renee Swoboda
verkörpert wird (daher der Show-Untertitel „Zu schön, um wahr zu sein“).
Dauerhafte Beziehungen seien heute ja unwahrscheinlicher als ein
Lottogewinn, Sex lenke nur von wichtigen Dingen ab, und sie, Yma, sei „prosexuell“,
sie probiere also alles mal aus: Die platten Sprüche sind nicht
geistreich, nicht witzig, nicht wirklich provokant. Niemand lachte,
niemand zischte empört. Das Geplänkel über Sex und Singletum ist der
einzige thematische Faden der Show, auf eine Handlung im eigentlichen
Sinne wird dagegen verzichtet.
  
Ballettszenen: Lady Marmelade, Sexmachine,
Rhythm of the Night
Stolz
des Friedrichstadtpalastes ist, neben den technischen Möglichkeiten des
Hauses, vor allem die 60-köpfige Ballettcompagnie. Die zahlreichen
Tanzszenen bietet sozusagen erotisches Prickeln für jeden Geschmack.
Wenn zwölf Girls in Strapsen und hochhackigen Schuhen zu „Lady
Marmelade“ an einer Ballettstange tanzen, die plötzlich aus dem
Bühnenboden fährt. Wenn acht muskulöse Herren, hinter Milchglasscheiben,
nackt duschen (Musik: „Sexmachine“) und den bis dahin größten Applaus
des Abends ernten. Oder wenn sich Sängerin Anja Krabbe dominahaft auf
einem Riesenbett räkelt und plötzlich aus allen Ritzen und Winkeln
des Lotterbetts kräftige Männerhände nach ihr greifen. Aber es sind nicht nur diese gewagteren Tanzszenen, die in Erinnerung bleiben. Da wären die sechs
Tänzer, die zu cooler Hip-Hop-Musik auf sechs unterschiedlich hohen
Podesten steppen. Der elegante Tanz in rot und schwarz auf schwarzen
Stühlen. Oder das Ensemble zu „Rhyhtmn of the Night“ im Matrosen-Look
vor einer farbenfrohen Projektion im Stile Jean Paul Gaultiers.
  
Andrey Katkov, U-Showteam, The Flight of
Passion
Neben
Tanz und Gesang, die weiteren Gesangsolisten sind Koffi Missah und Meike
Jürgens, ist in der Show auch hochklassige Artistik vertreten. Den
Höhepunkt liefert das Duo „Flight of Passion“, 2009 beim Internationalen
Circusfestival von Monte Carlo mit dem Goldenen Clown geehrt. Olesya
und ihr Partner Dmitry vereinen in ihrer Strapatenkür perfekte
Präsentation, volles Risiko und höchste Schwierigkeitsgrade, zum
Beispiel bei den Passagen, in denen der Herr die Dame im Zahnhang hält,
oder wenn diese mit einem Bein kopfüber in den Strapaten hängt und mit
dem anderen den Partner hält. Das U-Show Team – jenes Artistenensemble,
das in jüngerer Zeit in verschiedenen Besetzungen beim Reutlinger
Weihnachtscircus und bei Sarrasani zu erleben war – liefert zunächst
Salti und Flicflacs auf zwei sich kreuzenden Fasttrack-Trampolinen im
Bühnenboden. Direkt im Anschluss wird eine originelle Version gezeigt,
bei der vom herkömmlichen Trampolin aus nach Sprüngen und Salti in den
Öffnungen des besagten Boxenturmes gelandet wird. Die erwähnte große
Röhre dient einem Herrn der U-Show als Kulisse für seine Feuershow,
während auf den Videowänden riesige Flammen züngeln. Andrey Katkov
zelebriert seine starke Handstandequilibristik, von Theaternebel
umwabert, auf einem erhöhten Podest, um das herum die Drehbühne
abgesenkt wurde. Erstmals sind auch die Damen des Balletts, an Luftring
und Tüchern, stets als synchrone Arbeit mehrerer Akteurinnen, mit
artistischen Auftritten beteiligt. Die vierfachen Brekdance-Weltmeister
„Flying Steps“ sind in das fulminante, wirklich mitreißende Schlussbild
eingebunden, bei dem sich verschiedene Tanzgruppen, Artistik (Tücher,
Ring, Handvoltigen…), Sänger, schließlich das gesamte Ensemble, zu einem
kolossalen Auftritt zur Musik „This is my Life“ vereinen. |