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GOP Essen - Wundertüte
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Essen, 15. Februar 2013: Die einzelnen Darbietungen laufen geradezu schnörkellos nacheinander ab, und für den roten Faden sorgt ein zaubernder Conférencier in klassischer Robe. Von diesem traditionellen Konzept haben sich die deutschen Varietés – mit wenigen Ausnahmen – in den letzten Jahren eigentlich verabschiedet. Shows mit thematischen Überbauten sind zunehmend an ihre Stelle gerückt, auch in den GOP-Theatern. Nicht so in der aktuellen Produktion „Wundertüte“, die noch bis Anfang März in Essen zu sehen ist und dann ab November in Münster wieder aufgenommen wird. Hier haben sich die Macher doch noch mal an der Vergangenheit orientiert und „Varieté in seiner Reinform“, so der Pressetext, kreiert.

Doch diese Rückbesinnung birgt Gefahren. Während anderorts mit einer gelungenen Inszenierung fehlende artistische Qualität ausgeglichen werden kann, steht sie hier sofort im Fokus. Während andernorts durch Ensembleleistung Tempo und Leichtigkeit innerhalb der Show entstehen können, müssen die einzelnen Künstler dies hier jeder selbst bewirken. „Wundertüte“ aber gelingt es nicht immer, diese Gefahren zu umgehen. Die Leistungen der Akteure sind durchwachsen – von ordentlich bis hin zu zwei herausstechenden Höhepunkten. Insgesamt kommt man an die Qualität anderer GOP-Shows nicht heran. Hinzu kommt, dass es dem Ablauf eindeutig an Dynamik fehlt und die Show so nur selten wirklich mitreißend ist.

Für Martin von Barabü gilt das allerdings nicht. Der Österreicher gibt den zaubernden Conférencier, der gleich in seiner Eröffnung mit der schier endlosen Aneinanderreihung banaler Begrüßungsfloskeln das Publikum auf seiner Seite hat. Sehr sympathisch geleitet er auch durch den restlichen Abend – immer im Wechsel zwischen Stand Up Comedy, vor allem seine Heimat aufs Korn nehmend, und Zaubertricks. Hier beherrscht Barabü viele Klassiker (wie Kartentricks, den schwebenden Tisch oder das Erzeugen von Schnee), die er zudem in schöne Anekdoten verpackt. Seine Sprachfertigkeit beweist er dann noch einmal im Finale, wenn er alle Mitwirkenden mittels eines Gedichts vorstellt. Die Sprache ist auch ein wichtiger Teil der Komik von Jeff Hess, der absurd vor sich hin redend, im besten „Denglisch“, seine Auftritte absolviert. Der amerikanische Komiker ist zwar aufgrund seiner außergewöhnlichen Mimik durchweg skurril anzusehen, persönlich überzeugen können aber weder seine Striptease-Einlage noch die Motorradfahrt mit einem Besucher. Erst sein letzter Einsatz, das Pingpong-Spiel in Zeitlupe mit einem weiteren Gast, ist wirklich klasse – was aber auch am kongenialen Partner aus den Zuschauerreihen liegt. Jeff Hess vertrat in der besuchten Vorstellung das Komiker-Duo „Strange Comedy“. Vielleicht hätten gerade diese Künstler ansonsten mehr Pep ins Programm gebracht.


Martin von Barabü

Gleich drei Absolventen der Berliner Artistenschule, die dort gemeinsam 2011 ihren Abschluss erreicht haben, sind in „Wundertüte“ zu sehen. Lobenswert, dass das GOP den jungen Akteuren so die Chance auf ein erstes längeres Engagement bietet.


Duo Draufach, Mirko Köckenberger, Sarah Lindermayer

Sarah Lindermayer etwa eröffnet den Reigen mit einer Präsentation auf dem Drahtseil. Neben klassischen Elementen wie schnellen Tanzschritten und kleinen Sprüngen hat sie auch ungewöhnliche Tricks im Repertoire. So drückt sie am Anfang Handstände und schließt mit einem Fersenhang am Seil. Am Chinesischen Masten agiert Antonia Modersohn in moderner Aufmachung, effektvoll mit Licht und Nebel in Szene gesetzt. Haltepostionen und mehrere Abfaller prägen die Nummer. Schon zu Schulzeiten haben sich Lindermayer und Modersohn zum Duo „Draifach“ zusammengeschlossen und präsentieren unter diesem Namen neben ihren Solo-Darbietungen auch einen gemeinsamen Auftritt an Tüchern. Diese funktionieren die beiden zumeist zu einem Trapez mit Fängerin und Fliegerin um und warten daran mit leistungsstarken Sprüngen auf. Dies ist einer der beiden herausstechenden Höhepunkte. Dritter Berlin-Absolvent ist Mirko Köckenberger, der seine Handstandequilibristik weiterhin auf Koffern zeigt. Nun zieht er sich während der Darbietung auch noch aus und um. Dieser Einfall dürfte von dem eigentlich als Talentschmiede geltenden Artistenpool von „Base Berlin“ stammen, dem Köckenberger mittlerweile angehört. Neu ist diese Idee allerdings nicht, und auch die gezeigten Handstände können nicht vollends überzeugen.

 
Spot the Drop, Duo Mai

Originell ist die Jonglage von „Spot the Drop“. Dahinter verbergen sich Niels Seidel und Malte Steinmetz, die auf Stühlen sitzend mit Bällen interessante Wurfmuster zeigen. Beide werfen dabei zunächst einzeln und meist synchron, später dann als Duo. Zu lang gerät der Auftritt allerdings durch den anschließenden überflüssigen Wechsel auf Keulen, von denen bis zu acht im Passing in der Luft gehalten werden, zumal sie im zweiten Teil nochmals denselben Ablauf, nun mit fluoreszierenden Keulen, zeigen. Der Verzicht auf die Keulen während der ersten Nummer wäre, auch für das Tempo der Show, sinnvoll. Den Schlusspunkt unter das Nummernprogramm setzt mit Yury Paulau und Christine Francoeur ein weiteres Duo. In barocker Kostümierung brillieren beide als Duo Mai mit eleganter und leistungsstarker Partnerakrobatik und sorgen so für den weiteren herausstechenden Höhepunkt. Kraftzehrende Hand-auf-Hand-Momente wechseln mit schwungvolleren Handvoltigen ab. Höhepunkt: Paulau, auf dem Rücken liegend, hält seine Partnerin einarmig in der Waage und steht dann nach und nach auf. Großartig!

 

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: GOP