Karsten Speck ist
einer der wenigen Künstler aus der ehemaligen DDR, die es nach der Wende
zu gesamtdeutscher Popularität geschafft hatten. In Ost-Berlin hatte er
zunächst Musik und später Schauspielkunst studiert; von 1986 bis 1989
gehörte er dem Ensemble des Kabaretts „Die Distel“ an. Einen
Millionenpublikum in West und Ost bekannt wurde er 1990 als Moderator
der Samstagabendshow „Ein Kessel Buntes“. Diesen Klassiker des
DDR-Fernsehen hatte die ARD elf Folgen lang fortgeführt. Mit seinen
Rollen in „Freunde fürs Leben“ oder besonders „Hallo Robbie“ wurde er
einer der beliebtesten deutschen Fernsehschauspieler. Doch Speck
verstrickte sich in Immobiliengeschäfte, konnte Schulden in
Millionenhöhe nicht zurückzahlen, wurde daraufhin zweimal wegen Betruges
zu insgesamt fünf Jahren Haft verurteilt. Er verbrachte sie im offenen
Vollzug und wurde vorzeitig entlassen.
 
Vielseitiger Karsten Speck: charmante Moderationen, Publikumsnummer,
gekonnte Parodien
Mit den Machern
des Friedrichsbau-Varietés Stuttgart verbindet ihn eine lange
Freundschaft, seit er dort im Jahr 2000 mit großem Erfolg durch die
Produktion „Spe(c)ktakel“
führte. Jetzt ist er nach 14 Jahren wieder in einer Produktion des
Friedrichsbau-Varietés zu sehen. Es ist eher „retro“
als „visionär“, wie Speck sich in den "Visionen" präsentiert: als
klassischer Conférencier, bei dem „Kunst“ noch von „Können“ kommt. Der
vielseitige Speck spielt Klavier und singt dazu selbst Erdachtes. „Aber
bitte mit Sahne“ wird mit neuem Text zu „Das sind unsere Visionen“ (von
guter Unterhaltung). Er interpretiert gekonnt Klassiker wie „Ain’t no
sunshine“. Er parodiert treffsicher Bühnengrößen wie Elvis Presley,
Heino und Herbert Grönemeyer. Er plaudert sich charmant durch heitere
Geschichten. All das macht ihm und dem Publikum großen Spaß. Einzig
seine Mitmachnummer, bei der vier Zuschauer zum Singen auf die Bühne
müssen, die gerät etwas lang und wäre verzichtbar.
 
Julia Kurkina: flüchtige
Sand-Gemälde
Bekanntermaßen
musste das Friedrichsbau-Varieté im Sommer nach 20 Jahren seine
Spielstätte in der L-Bank mitten in der City räumen und wird nun am 4.
Dezember sein neues Haus auf dem Stuttgarter Pragsattel eröffnen. Bis
dahin ist das Theater mit verschiedenen Shows „on tour“. Gut sechs
Wochen lang, bis zum 26. Oktober, wird nun das Spardawelt-Eventcenter
der Sparda-Bank am Hauptbahnhof bespielt. Im Prinzip ist es ganz
klassisches Nummernvarieté mit Conférencier, das Regisseur Ralph Sun für
diesen Saal zusammengestellt hat. Die Besonderheit der Show ergibt sich
daraus, wie Sun die Besonderheiten des Raumes nutzt. Da wäre die große
Videowand im Hintergrund. Diese wird zum Beispiel genutzt, um die
wunderbare Kunst von Sandmalerin Julia Kurkina zu zeigen. Auf einer von
unten beleuchteten Glasplatte zeichnet sie mit den Fingern Bilder aus
Sand, die auf der Videowand gezeigt werden. Das Besondere: Kurkina
präsentiert nicht nur ihre eigene Nummer, eine Liebes- und
Lebensgeschichte in Bildern. Nein, im ersten Programmteil lässt sie auch
die Geschichte des Friedrichsbau-Varietés in flüchtigen Sand-Bildern
vorüberziehen – vom ersten, im Jahr 1900 eröffneten
Original-Friedrichsbau über die jetzt verlassene L-Bank-Rotunde bis zum
Neubau auf dem Pragsattel.
  
Ekaterina Demina,
Ailona Lukyanova, Marina Skulditskaya
Die niedrige
Raumhöhe im Eventcenter der Spardabank macht Luftnummern unmöglich. Aber
der moderne Saal hat Charme. Mit gerade mal 198 Plätzen entsteht so
etwas wie intime Wohnzimmer-Atmosphäre. Die klassische Trennung von
Bühne und Publikum wird aufgehoben. Nicht nur, weil Moderator Karsten
Speck sich immer wieder unters Publikum mischt. Die Handstandkünstlerin
Marina Skulditskaya hat ihr Requisit neben der Bühne aufgebaut, rückt
somit noch näher an die Gäste. Im zweiten Teil ihrer eleganten
Darbietung flattert ihr Haar im Wind, den ihr Requisit erzeugt. Neu ist
die Musik der Darbietung. Sie stammt von den Klangkünstlern Steffen Wick
und Simon Detel, die kommendes Frühjahr die Friedrichsbau-Show „PI“
musikalisch gestalten werden. Also auch eine „Vision“ dessen, was am
neuen Standort kommen wird. Ekaterina Demina zeigt ihre
Kontorsionsnummer fernab der Bühne auf einem Podium an der Seite des
Saales – weil die Darbietungen dieser Show „zwischen den Zuschauern wie
einzelne Spots aufleuchten sollen“, beschreibt Regisseur Ralph Sun. Die
junge Artistin kann mit den Füßen durch ihre langen Haare streifen.
Insgesamt ist „Visionen“ nicht nur ein klassischer Varietéabend in
moderner technischer Umsetzung. Es ist auch ein Abend der schönen
Frauen. Von der Sandmalerin auf hohen Schuhen im eleganten Abendkleid
über die beiden bezaubernden Damen im Handstand und mit Kontorsionen bis
zur Schlussnummer. Da lässt Ailona Lukyanova die Hula Hoop-Reifen
kreisen – mit ihrer sexy Aufmachung könnte man sich die Nummer gut als
Showact in einer Diskothek vorstellen.
  
Girma Tsehai, Luke Dimon
Was zu schauen
gibt es aber auch für die Damen: Girma Tsehai – in Äthiopien geboren und
heute dem Artistenpool von Base Berlin zugehörig – jongliert
splitterfasernackt fünf Strohhüte. Und zwar so, dass alles Entscheidende
reizvoll im Verborgenen bleibt. Während hier mehr der Humor im
Vordergrund steht, ist es bei seinen Bouncing-Jonglagen rund um ein
variables Plexiglas-Gestell das artistische Können. Komplettiert wird
die Show durch den möglicherweise jüngsten Berufszauberer Deutschlands,
der zugleich amtierender Deutscher Meister der Zauberkunst ist: Luke
Dimon (20) präsentiert im ersten Programmteil klassische Manipulationen, u.a.
mit Spielkarten, und übt sich nach der Pause als düsterer Gedankenleser. |