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Friedrichsbau - "TOLLhouse"
www.friedrichsbau.de - 140 Showfotos

Stuttgart, 6. März 2020: Voller Hoffnung war das Team des Friedrichsbau-Varietés Stuttgart in die Frühjahrssaison gestartet. Nach dem Erfolg der glamourösen Wintershow „1925“ sollte sich die Bühne in ein „TOLLhouse“ verwandeln, in das Refugium einer sehr außergewöhnlichen Wohngemeinschaft. Das Publikum sollte viel zu lachen haben mit dieser „Comedy-Artistik-Show“. Doch das Coronavirus machte auch hier einen dicken Strich durch die Rechnung. Schon bei der Premiere blieben Plätze frei, nachdem feste Buchungen wenige Stunden vor Beginn storniert wurden.

Fast drei Monate sollte „TOLLhouse“ laufen, doch gespielt wurde diese Show nur eine Woche. Am Freitag, dem Dreizehnten, untersagte die Stadt Stuttgart aufgrund der Corona-Pandemie alle Kulturveranstaltungen. Alle Vorbereitungen, alle Investitionen, alle Proben waren umsonst, das Künstlerensemble von einem Tag auf den nächsten ohne Arbeit. So wie das Kulturleben rund um den Globus seit diesen Märztagen praktisch stillsteht.

 
Faeble Kievman, Hieronymus, Guillermo Léon
 

Die Show spielt in einer Wohngemeinschaft von Künstlern. Das Bühnenbild zeigt eine Wohnung. Der strenge Hieronymus ist nicht nur ein Vertreter des „preußischen Entertainments“, sondern auch das WG-Oberhaupt, der Vermieter und selbsternannte „Kapitän der guten Laune“. In einem Casting sucht er geeignete Mitbewohner. Die Kandidaten dürfen „vorputzen und vorkochen“. Und zeigen, was sie können. So wie Komiker Faeble Kievman, der sich trotz seiner stattlichen Statur durch einen handelsüblichen Klappstuhl zwängen kann. Guillermo Léon mit seinem Rauschebart erweist sich als gewiefter Hutjongleur. Bis zu fünf Kopfbedeckungen hält er in der Luft.


Hieronymus, Helena Jans, Taras Nadtochii
 

Helena Jans wagt ein außergewöhnliches Duett an Strapaten, denn ihr Partner ist das Skelett „Oscar“. Nach Solo-Passagen schwingt sie sich gemeinsam mit ihrem leblosen Konterpart in die Lüfte, kreist über der Bühne, begleitet von zauberhafter Musik. „Oscar“ sei schon früher als Bewerber um ein WG-Zimmer da gewesen, „aber ein Trick ging schief, jetzt finanziert seine Rente die WG“, kommentiert Hieronymus in seiner herrlich mürrischen Art. Der motzende Miesling mit Hang zur Pöbelei ist auch ein hervorragender Zauberer. Er kann Dollars verschwinden lassen oder löst Rubicks Zauberwürfel in Windeseile. Nummerierte Würfel ändern in einem Kubus auf wundersame Weise Reihenfolge und Ausrichtung. Klischnigger Taras Nadtochii kann seinen Körper auf extreme Weise nach vorne verbiegen – und dies sogar in Handschellen.


Kai Hou, Duo Strange Comedy, Guillermo Léon 

Wie Conférencier Hieronymus sind mit Shelly Mia Kastner und Jason McPherson alias Duo Strange Comedy noch weitere Akteure dieser Show dem Friedrichsbau-Publikum bestens aus früheren Engagements in Erinnerung. Doch werden ihre Künste wieder in einen ganz neuen Zusammenhang gestellt. Ein schwarzer Paravent ermöglicht komische Illusionen im Stile eines „schwarzen Theaters“, wenn zum Beispiel Shelly scheinbar mit Ringen jongliert, die ihr hinter der Kulisse stehender Partner mit den Händen bewegt. Vor der schwarzen Kulisse liefert Shelly eine Quickchange-Performance und kann ihr Partner seinen Kopf um 360 Grad drehen. Das alles ist ein herrlicher Spaß. Gleiches gilt für den Auftritt im zweiten Programteil, bei dem Jason in einer Box steckt und via Fernbedienung gesteuert wird. Hohes akrobatisches Können demonstriert dagegen Kai Hou bei seiner Arbeit am Doppelten Chinesischen Mast. Mit gewagten Sprüngen bewegt er sich zwischen den zwei Stangen hin und her, hinzu kommen Abfaller und kraftvolle Posen. Skurril wird es vor der Pause, wenn Guillermo Léon seinen Bart vom Ensemble mit rohen Spaghetti spicken lässt und selbigen dann in einen Topf mit heißem Wasser taucht – das Ganze begleitet von Operngesang. Später überzeugt sein Können als Jongleur mit bis zu fünf Keulen. Dabei lässt er die Requisiten auch in einer Kontaktjonglage über seinen Oberkörper gleiten und bezieht natürlich wieder seinen Bart ein.


The Amazing Other, Faeble Kievman, Kai Hou

Eine wirklich starke Arbeit am Trapez präsentiert das norwegisch-dänische Duo „The Amazing Other“. Eivid Øverland und seine Partnerin Lalla La Cour kombinieren ihre Luftakrobatik mit einer Parodie auf Wrestling-Shows, auch ihre Kostüme lehnen sich an die grotesken Showkämpfe an. Solo- und Duotricks, Haltefiguren und Schwungteile bis hin zu Salti wechseln sich ab. Selbst ein Zopfhang gehört ins Repertoire. Zwei Komiker aus dem Ensemble stellen ihre artistischen Fähigkeiten unter Beweis: Jason McPherson auf der Rola Rola, Faeble Kievmann mit einer traditionellen chinesischen Vasenjonglage, grotesk dargeboten als „Opernstar Grace Habanera“ im roten Kleid. Chinesische Akrobatik ganz ohne Augenzwinkern zeigt dagegen Kai Hou als Reifenspringer. Dabei erreicht er wirklich beeindruckende Höhen, beispielsweise wenn Guillermo Léon einen Hula-Hoop-Reifen über seinen Kopf hält und Kai Hou hindurchspringt.

„TOLLhouse“ bietet starke Artistik, viel zu lachen und Magie in einer runden Show mit Rahmenhandlung. Damit hätte die Produktion ein weitaus größeres Publikum verdient gehabt. Doch mit dem "Lockdown" war Schluss. Nun bleibt die Hoffnung, dass sich der Vorhang im Friedrichsbau bald wieder öffnet. Für einige Gastspiel-Veranstaltungen im Sommer und für die Zaubershow „Utopia“ ab 4. September. Denn ohne Kultur wird es still – entsetzlich still.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll