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Friedrichsbau-Varieté - "Swing Time"
www.friedrichsbau.de - 69 Showfotos

Stuttgart, 4. November 2016: In die goldene Zeit von Swing und Charleston möchte das Friedrichsbau-Varieté mit seiner neuen Produktion „Swing Time – Golden Delights, Roaring Nights“ entführen. Eine Burlesque-Tänzerin soll an die Auftritte Josephine Bakers im ersten Stuttgarter Friedrichsbau erinnern. Die Verpflichtung eines Entfesslungskünstlers lässt sich als Hommage an Houdini deuten. Auf dem Papier klingt dies alles nach einem spannenden Programm. Doch entscheidend ist letztlich, wie sehr ein fein ausgedachtes Show-Konzept dem Unterhaltungswert-Realitätscheck standhält.

Im Mittelpunkt dieser Produktion stehen „The Slampampers“, eine dreiköpfige „Comedy-Swing-Band“, so die Pressemappe, aus den Niederlanden. Entgegen der Erwartung begleiten die drei Musiker nicht das artistische Geschehen auf der Bühne. Vielmehr sind ihre Songs als eigenständige Nummern konzipiert. Die meisten Lieder sind Eigenkompositionen. Grob gesagt folgt auf zwei Stücke der Band immer ein Act aus den Genres Artistik, Illusion oder Burlesque. Die Varieté-Darbietungen werden ebenfalls mit Swing-Musik begleitet, hier jedoch vom Band und in der moderneren Variante des „Electro-Swing“.


The Slampampers 

Die Band verbleibt dennoch den ganzen Abend auf der Bühne, untergebracht auf einem Podium auf der linken Seite. Während der artistischen Acts wiegen die Musiker sich im Swing-Rhythmus, ihre Instrumente schweigen. Das alles wirkt auf uns letztlich allzu statisch, trotz gelegentlicher Ausflüge des Bandleaders beispielsweise auf ein Podium im Zuschauerraum. Der Ablauf der Show mit seinem beständigen Wechsel aus Musik- und Varietédarbietungen erscheint schnell monoton, die Swing-Musik in dieser hohen Dosierung als Geschmackssache und wenig abwechslungsreich. Mitnichten wollen wir die musikalische Qualität der „Slampampers“ in Zweifel ziehen. Doch letztlich ist diese Art Musik für ein Jazz-Festival mit einem speziell interessierten Publikum geeigneter als für den breiten Besucherquerschnitt des Varietés. Hier wollen die Gäste unterhalten und nicht zu höheren musikalischen Weihen erzogen werden.


Rita Lynch, Raúl Alegria, Marina Skulditskaya

Das Publikum zu unterhalten gelingt hervorragend der Hula-Hoop-Artistin Marina Skulditskaya. Sie arbeitet auf der Vorbühne nahe am Publikum, sucht extrovertiert den Kontakt zu den Gästen. Wie sie einen Reifen um ihren streng frisierten Dutt kreisen lässt, ist originell und haben wir so noch nicht gesehen. Die Ukrainerin, die in Stuttgart lebt, sorgt gleich für tolle Stimmung. Nachdem die großartige Herbst-Show „Affairs“ sich ausgiebig dem Thema Burlesque widmete, ist der kunstvoll-erotische Schönheitstanz auch in „Swing Time“ vertreten. Und zwar durch die Italienerin Rita Lynch. Die Künstlerin sieht fantastisch aus, kann sich extravagant entkleiden und hervorragend singen. Nur ihre Mutter soll von all dem bitte nichts erfahren. Schließlich soll die Tochter eigentlich das Internat besuchen. „Don’t tell mama“ ist folgerichtig der augenzwinkernde Titel ihres ersten Songs. Später sehen wir sie unter anderem in einem sinnlichen Fächer-Tanz wieder. Das hatte es auch schon in „Affairs“ gegeben. Show-Kreateur Ralph Sun sollte darauf achten, das Burlesque-Thema nicht überzustrapazieren. Tendenziell gilt ähnliches für das weite Feld der Illusion, denn eine Magic-Show präsentierte der Friedrichsbau erst im Frühjahr 2016. Nun ist wieder ein Magier dabei. Immerhin bringt Raúl Alegria eine ganz neue Facette ein, die des Entfesslungskünstlers. In der Premiere befreit er sich, kopfüber aufgehängt, aus einer Zwangsjacke. Seine spektakulärste Nummer, die Befreiung aus einer wassergefüllten Zelle, muss zum Spielzeitauftakt jedoch entfallen. Das Requisit wurde beim Transport nach Stuttgart beschädigt. Weitere kleinere (Kartenmanipulation, „Schneesturm“) und größere Illusionen („Fluchtkiste“) gehören ebenfalls zum Repertoire.


Dmytro Kharlov, Anissa Elakel

Bemerkenswert ist, wie sich die Artisten in ihren einzelnen Darbietungen auf das Swing-Thema und die geänderte Musik einstellen. Das gilt beispielsweise für Anissa Elakel mit ihren vorzüglichen Handständen auf einem Sofa. Selbst der Bezug des Möbels und das Kostüm der Artistin wurden für „Swing Time“ ausgetauscht. Die stärkste Nummer des Programms dürften die Rola Rola-Balancen von Dmytro Kharlov ein. Für uns ist dieser erfahrene Künstler eine echte Neuentdeckung, gewinnt er dem Genre doch neue Seiten ab. So überrascht er mit dem Kopfstand auf einem Zylinder. Den Turm aus fünf Zylindern, mit zwei beweglichen Teilen, erklimmt er nicht in der üblichen Weise. Nein, er springt mit einem großen Satz auf das wackelige Konstrukt und balanciert darauf gekonnt. Mit einer bogenförmigen Wippe wird der Turm noch erhöht. Eine wirklich würdige Pausennummer.


Trio Batut, Lena Smaha

Seit dem Bezug der neuen Friedrichsbau-Spielstätte ist es eine Herausforderung, die riesige Bühne auszufüllen. Wohl deshalb wurde nun ein „Trampolin mit Haus“ verpflichtet. Gleichzeitig ist damit auch für den größten Teil des Bühnenbildes gesorgt. So werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Allerdings zeigt sich recht schnell, dass die Bühnenmaße für diese Darbietung doch nicht ausreichen. Es fehlt an Höhe. So sind für die beiden Herren und die Dame des „Trio Batut“ nur Sprünge zu den drei Fenstern im Haus möglich. Die spektakulären Sprünge vom Trampolin direkt aufs Hausdach – und zurück – müssen jedoch entfallen. Damit fehlt auch ein wesentlicher Clou dieses Genres; die Reaktionen fallen folglich verhaltener aus als andernorts. So wird auch verständlicher, warum diese Darbietung wider alle Erwartungen nicht Schlussnummer ist. Diese Ehre wird vielmehr Jongleurin Lena Smaha zuteil. Die junge Frau war Teil des Jonglage-Trios Vinicki-Smaha, das in Deutschland durch zahlreiche Circus- und Freizeitpark-Engagements bekannt war. Nach weiteren Verpflichtungen in Skandinavien, den Niederlanden und bei Ringling Bros. and Barnum & Bailey in den USA haben die drei Geschwister Smaha Ende 2013 Solo-Karrieren begonnen. Charmant und routiniert jongliert Lena Smaha mit jeweils bis zu fünf Bällen und Keulen, letzteres auch mit leuchtenden Exemplaren im Dunkeln.

Insgesamt bietet das Friedrichsbau-Varieté an dieser Premiere eine Show, die äußerst ambitioniert erscheint. Man denke nur an die Livemusik sowie die Integration von Magie, Artistik und Burlesque in ein Programm. Oder an das mit 14 Personen außergewöhnlich große Ensemble. Leider jedoch ist ambitioniert in diesem Fall nicht gleichzusetzen mit in jeder Hinsicht gelungen. Vielleicht kann dies im Laufe der Spielzeit noch werden.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber