Nicht
länger gemeinsam mit Jan van Aubel, sondern mit seinem eigenen
Unternehmen „Paulsen und Consorten“ hat Maik M. Paulsen die Tour in
bewährter Weise organisiert. Es ist die 15. Auflage. In der ersten Show
im Jahr 2005 stand Paulsen selbst als Absolvent auf der Bühne, damals
mit humorvollen Jonglagen, seitdem ist er die Konstante dieses schönen
und wichtigen Projekts. Regie geführt hat in dieser Saison, zum zweiten
Mal nach 2016, der Artist und Schauspieler Karl-Heinz Helmschrot. Er hat
eine coole, moderne Show geschaffen, die Spaß macht. Und zudem auch eine
besonders musikalische Seite hat, denn einige der Artisten zeigen ihr
Können an Instrumenten oder als Beatboxer.
Andreas Jordan und Veronica Fontanella, Vadim Lukjanchuk, Jenny Isabel
So wie
im Opening, wenn der Tanz des Ensembles am Cello begleitet wird. Und
Jenny Isabel dreht ihre Runden im Cyrrad, der Zweitnummer der Artistin,
unter den Klängen des Streichers und einer Trommel, zusätzlich zur Musik
vom Band. Gleich mit drei verschiedenen Darbietungen zeigt der junge
Österreicher Andres Jordan sein großartiges Können. Zunächst präsentiert
er gemeinsam mit seiner Partnerin Veronica Fontanella eine originelle
Kombination zweiter total unterschiedlicher Genres: Er jongliert mit
Ringen, sie zeigt Handstände. Und dabei interagieren beide: Sie greift
mit den Zehen Requisiten aus seinen Jongliermustern heraus und gibt sie
zurück. Sie steht auf zwei Händen und einem Bein, um mit dem zweiten,
nach oben gestreckten Bein bzw. ihrem Fuß einen von ihm geworfenen Ring
zurückspringen zu lassen. Und schließlich stellt sie vorsichtig einen
Ring auf Gesicht und Nase ihres Partners ab. Der junge Lette Vadim
Lukjanchuk hat mit besonderer Konsequenz das Ziel verfolgt, Artist zu
werden. Er begann seine artistische Laufbahn in Riga und wechselte nach
der Schließung des dortigen Circusbaus im Jahr 2016 nach Berlin. Der
androgyne Typ mit den stark geschminkten Augen hat sich zwei Genres
verschrieben, die sonst eher weibliche Domänen sind: Hula Hoop und
Luftnetz. Nachdem er zunächst ein Paar Highheels in einer Kiste findet,
geht es in die Höhe. Am und im Netz wechselt er zwischen Posen, die
seine hohe Beweglichkeit erkennen lassen, und dynamischen Abfallern und
Überschlägen. Dazu begleitet ihn eine außergewöhnliche Musik mit Gesang.
Johann Prinz, Jenny Isabel, Andreas Jordan
Auch
die zweite Darbietung von Andreas Jordan ist technisch innovativ und
originell. Er jongliert mit Ringen, dies aber auch gegen den Boden, wie
man es nur von Bouncing-Jonglagen mit Bällen kennt. Dabei nutzt er auch
einen Stuhl, auf dem er in verschiedener Weise sitzt, steht oder sich
dreht. Ganz klassisch ist die Präsentation zu Swing-Musik im Stil der
20er Jahre, mit grauer Hose, weißem Hemd, Halstuch – und selbstbewusstem,
ausdrucksstarkem
Auftritt. Johann Prinz – der „Luftprinz“ – bietet in seiner
atmosphärischen Darbietung alles, was man von einer hochklassigen Strapaten-Nummer erwarten kann: blitzschnelle, fast unaufhörliche Spins,
starke Posen, Kräfte zehrendes Auf- und Abwickeln, ausgedehnte Passagen
auch an einer Hand, beeindruckende Beweglichkeit, bei der sich der
Körper des Künstlers wie zu einem S formt. Jenny Isabel macht uns am
Luftring deutlich, dass dieses Genre oftmals unterschätzt wird. Ihr
rhythmischer Tanz in der Luft steigert sich fortwährend in seiner
Dynamik, die bis zu gewagt-gekonnten Überschlägen führt.
Vadim Lukanchuk, Andreas Jordan, Veronica Fontanella
Andreas Jordan zum Dritten: In seiner letzten Darbietung lässt der
Österreicher die Diabolos tanzen. Zumeist zwei, am Ende auch drei der
Doppelkegel werden von ihm in komplexen Figuren bewegt, nunmehr im
Outfit eines Magiers mit Frack und Zylinder. Von seinen Artistenkollegen
wird er mit viel Power live begleitet an Schlagzeug, Akkordeon und
Cello, wie einige andere Darbietungen auch. Mitreißend auch die Hula
Hoop-Nummer von Vadim Lukanchuk, der zahlreiche Reifen um Arme, Rumpf
und Beine kreisen lässt. Musikalisch bewegt er sich zwischen modernem
Elektro und Einflüssen des klassischen Tangos, tänzerisch ist die Nummer
auch insgesamt gestaltet. Großer Applaus ist der Lohn. Veronica
Fontanella wird ihre Ausbildung erst im kommenden Sommer abschließen.
Doch bereits in dieser Saison ist sie mit auf der Absolvententour. Am
Vertikaltuch vereint sie temporeiche Abfaller und leidenschaftliche
Verstrickungen. Unter anderem formt sie aus ihrem Körper und dem
Requisit ein Peace-Zeichen in der Luft.
Duo One Line alias
Jannis Nau und
Adrian Schulte-Zweckel
Lobenswert ist, dass zur Absolventenshow wieder eine professionelle
Website zur Verfügung steht. Dort werden alle Künstler vorgestellt, und
zwar mit Links zu ihren jeweils eigenen Internetauftritten. Und
ausnahmslos alle Nachwuchskünstler verfügen über eine solche Seite,
jeweils mit aktuellen Fotos und Videos, Biografien, Kontaktdaten und
anderem mehr. Das war nicht immer so, so dass wir von einem echten
Fortschritt sprechen können. Und zuversichtlich sein, dass die
Absolventen nicht nur akrobatisch gut auf den Einstieg in den
schwierigen Markt der freiberuflichen Künstler vorbereitet sind. So
können wir uns auch einen Eindruck von den beiden Nummern der „Canavaltwins“
verschaffen. Die österreichischen Zwillingsbrüder Michael und Florian
Canaval waren in der besuchten Vorstellung krankheitsbedingt nicht
dabei. In ihren Videotrailern fassen sie ihre Acts zusammen. Dies ist
zum einen eine Jonglage mit LED-beleuchteten Keulen auf ebenso illuminierten Boxen.
Zum anderen zeigen sie eine Kombination aus Jonglage und zeitgenössischem Tanz,
unterlegten mit einem französischsprachigen Text über den Sklavenhandel
vor der Revolution. Tatsächlich auf der Bühne steht an diesem Abend das
Duo One Line, bestehend aus den Bochumer Freunden Jannis Nau und
Adrian Schulte-Zweckel. Sie sind die beiden großen Sympathieträger der
Produktion. Rasant und voller Lebensfreude lassen sie gemeinsam bis zu
fünf Diabolos fliegen und fangen diese sicher wieder auf. Außerdem sind
sie als Beatboxer, Geräuschimitatoren und Pantomimen der witzige
Fixpunkt der Zwischenspiele und Ensembleszenen, die natürlich auch in
dieser Absolventenshow nicht fehlen dürfen. |