Ein Blick zurück –
genau das war ja die Grundidee an „Show me“: Was wäre wenn? Was wäre,
wenn drei große Vertreter der Revuegeschichte heute gemeinsam eine Show
auf die Bühne bringen könnten? Wie würden die Gestaltungsprinzipien der
1920er bis 1940er Jahre ins Hier und Jetzt übersetzt werden können?
Dieser Frage spürte der Berliner Friedrichstadt-Palast nun zwei Jahre
lang mit „Show me“ nach. Die Regisseure Jürgen Nass und Roland Welke und
das große Kreativteam fluteten dabei den Theatersaal mit überwältigend
schönen Bildern.

Show-Eröffnung in
Schwarz-Weiß
„Show me“ wendet den
Blick zunächst zurück auf die Revue in der ersten Hälfte des vergangenen
Jahrhunderts. Auf einer geschwungenen Showtreppe defilieren Showgirls,
in ihrer Mitte tanzt ein elegantes Solistenpaar. Mit schwarz-weißen
Kostümen, ebensolchem Make-Up und weißem Licht wird die perfekte
Illusion eines Schwarzweißfilms geschaffen. Und dann – von einer Sekunde
auf die nächste – wird der Schwarz-Weiß-Film zum Farbenmeer. Überall
rund um die Bühne und den Zuschauerraum flammen die leuchtenden Bögen
des Bühnenbildes auf, und das Ensemble tanzt in farbenfrohesten
Kreationen. Was für ein Kontrast, was für eine Überraschung, was für ein
Effekt!
 
Ein wahrer Palast mit der
größten Theaterbühne der Welt
Bis solche Momente
möglich waren, musste einiges investiert werden. Rund neun Millionen
Euro Produktionskosten steckte der öffentlich subventionierte
Friedrichstadt-Palast in „Show me“. Das sind Zahlen, von denen die
Circusbranche freilich nur träumen kann. Allein im Jahr 2012 erhielt das
Revuetheater – nach Abzug der Gebäudemiete, die wieder in die
Staatskasse zurückfließt – rund 6,8 Millionen Euro Zuschuss von seinem
Eigentümer, dem Land Berlin. Damit werden das „junge Ensemble“, in dem
250 Kids zwischen sechs und 16 Jahren mitwirken und zur Weihnachtszeit
in speziellen Kindershows auftreten, sowie Erhaltung und
Weiterentwicklung der Kunstform Revue gefördert. Zudem ließen die
auswärtigen Besucher des Friedrichstadt-Palastes rund 125 Millionen Euro
jährlich in Berlin, argumentiert das Theater. Und schließlich hat der
Friedrichstadt-Palast Ausmaße, die einen kostendeckenden Betrieb wohl
unmöglich machen. Der letzte Prachtbau der ehemaligen DDR, fünfeinhalb
Jahre vor dem Mauerfall eröffnet, ist 110 Meter lang, 80 Meter breit, 32
Meter hoch. Er ersetzte den seit 1873 bestehenden „alten
Friedrichstadt-Palast“ mit der Adresse „Am Zirkus 1“, der wegen
Baufälligkeit abgerissen werden musste, und entstand auf einem nahe
gelegenen Gelände an der Friedrichstraße, das zuvor von 1949 an den
Circus-Barlay-Bau beherbergte. Der Theatersaal bietet 1891 Plätze. Mit
fast 2900 Quadratmeter bespielbarer Fläche, 40 Prozent eines
Fußballfeldes nach FIFA-Standard, hat das Haus die größte Theaterbühne
der Welt.

Mit
geometrischer Exaktheit in LED-Kostümen
Diesen enormen Raum
und die technischen Möglichkeiten des Hauses zu nutzen, erfordert dann
aber vor allem eines: brillante Ideen. Und die sind bei „Show me“
wahrhaft vorhanden. Dazu gehört die Sand-Arena, die aus dem Untergrund
gefahren wird. Drei Tonnen Gummi-Granulat in Sandoptik lassen sich
herrlich einsetzen, um sie bei einem lasziven Tanz auf Stühlen durch die
Hände der Ballettdamen rieseln zu lassen. Kurz darauf werden
Schaumwolken von zwei Windmaschinen über die Bühne und durch den
Theatersaal bewegt. Und vor der Pause entsteht ein ganz kolossales Bild,
wenn das fast 60-köpfige Ballett (rund 40 Frauen, 20 Männer) in „Roboter“-Kostümen
mit leuchtenden, die Farben wechselnden LED-Kostümen in geometrischer
Exaktheit tanzt. Die Geometrie und die Leuchteffekte sind eine Reverenz
an Busby Berkeley. Der Filmmusical-Regisseur (1895-1976) ist der erste
der drei früheren Revuemacher, auf die in „Show me“ Bezug genommen wird.

Schwelgen in
verschwenderischer Pracht
Von 2010 bis 2012 bot
der Friedrichstadt-Palast in der Produktion „Yma“ mit den Kostümen von
Stardesigner Martin Michalsky einen äußerst modernen, kühlen Look
vorwiegend in Weiß, Schwarz und Rot. „Glamour is back“ heißt nun jedoch
der Untertitel des aktuellen Programms, und so darf wieder in
verschwenderischer Pracht geschwelgt werden. Die Kostüme für Opening und
Finale stammen von dem weltberühmten Pariser Designer Christian Lacroix,
den Großteil der 500 Kreationen entwarfen jedoch die äußerst
erfolgreichen Berliner Kostümbildnerinnen Uta Loher – die auch für den
Circus Krone arbeitet – und Conny Lüders. Der Höhepunkt ist gleich nach
der Pause erreicht, wenn mehrere Damen in einer Art Modenschau an der
halbrunden Bühnenkante atemberaubende Kostümkreationen präsentieren –
inklusive Frauen, die als die Säulen goldener Harfen fungieren. Diese
Szene ist insbesondere ein Reverenz an Florenz Ziegfeld, der ab 1907 mit
seinen „Ziegfeld Follies“ am New Yorker Broadway Furore machte.
  
Wassershow, Shenyang
Acrobatic Troupe
Im Mittelpunkt des
zweiten Programmteils steht vor allem das Wasser. Hier wird unter
anderem an die kürzlich verstorbene Esther Williams erinnert. Die
US-Schwimmerin war ab 1942 in filmischen „Aquamusicals“ erfolgreich. Und
so tanzen die sexy Badenixen im zwei Meter tiefen Wasserbecken, bis sich
dessen Boden hebt und das Wasser nur noch knöchelhoch steht. Nun rekeln
sich knackige Kerle im flachen Nass. An Springbrunnen-Fontänen von unten
schließt sich der 20 Meter hohe Wasserfall an, der sich ins Bassin
ergießt, und Mitglieder des Balletts zeigen an Strapaten und in einem
diamantförmigen Gestell ihre Fähigkeiten als Luftakrobaten. Aber
natürlich sind auch in „Show me“ professionelle Artisten engagiert: die
achtköpfige „Shenyang Acrobatic Troupe“ mit ihrer Säbelbalance an
Tüchern (u.a. Heilbronner Weihnachtscircus 2006), das französische Duo
Aragorn mit seiner zwar weitgehend ungesicherten, aber auch trickarmen
Fangstuhlnummer, die Französin Marion Crampe mit ihrem hocherotischen
Poledance, die „Fan Yang Bubble Show“ mit ihren spektakulären
Seifenblasen sowie Pantomime Mauricio Franco, der insbesondere in den
Schwarz-Weiß-Rückblenden agiert. Livemusik gibt es von der 16-köpfigen
Band unter der Leitung von Daniel Behrens, Gesang von einem Damentrio
und dem Musicalsänger Koffi Missah.
Der Schwerpunkt jeder Revue im Friedrichstadt-Palast liegt jedoch beim
modernen Tanz. Zwölf Choreographen haben unter der Gesamtleitung der
Ballettdirektorin Alexandra Georgieva die Tanzbilder einstudiert, deren
Höhepunkt die große und mit äußerster Exaktheit und Synchronität
getanzte Girlreihe mit 32 Tänzerinnen ist. Zum Abschluss rotieren die
Damen auf einer vierstöckigen, runden „Torte“, zu der sich die Drehbühne
erhebt, am staunenden Publikum vorbei. |