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Friedrichsbau-Varieté - Varieté Royal
www.friedrichsbau.de

Stuttgart, 4. November 2010: „Varieté Royal – Die wunderbare Wintershow“ heißt die neue Produktion des Stuttgarter Friedrichsbau-Varietés. Das Bühnenbild ist diesmal schlicht schneeweiß, auf der linken Seite steht ein Baum mit weißen Blüten. Dieses puristische Bild soll winterliche Assoziationen wecken, zumal auch die meisten Artisten in weißer Kostümierung arbeiten. Farbiges Licht lässt die Szenerie später in unterschiedlichen Farben leuchten. Eine Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht, den roten Faden spinnt Musicalsängerin Kimberley Trees mit ganz unterschiedlichen Songs.


Marina Borzova, Sébastien Thill, Kimberley Trees

Von „Chim chim cher-ee“ aus dem Film Mary Poppins über „Das Farbenspiel des Winds“ aus Pocahontas bis hin zur Joe-Cocker-Ballade „Love Lifts Us Up Where We Belong“ reicht die Songauswahl. Die Australierin hat nicht nur eine starke Stimme, sondern auch eine wunderbar charmante Ausstrahlung. Begleitet wird sie vom vierköpfigen Varietéorchester, das diesmal ebenfalls ganz in weiß aufspielt. Viele der artistischen Nummern werden jedoch von Bandmusik begleitet. Neben artistischen Darbietungen wurde diesmal auch ein Balletttänzer verpflichtet: Sébastien Thill wurde am Ballett der Pariser Oper ausgebildet und tanzte dort sowie an der Hamburger Staatsoper als Solist. Am Beginn des Programms tanzt er als Faun, also als altrömischer Fruchtbarkeitsgott, zu Debussys „Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns“. Im zweiten Programmteil, in der Darbietung „Varuna“, „folgt er der indischen Hindu-Mythologie und versucht das Wesen des vedischen Gottes Varuna, König über Götter und Menschen gleichermaßen, auszuloten“ – soweit das Zitat aus der Pressemappe. In ein Geschirr aus Seilen und Ledermanschetten geknebelt, das an ausgefallene sexuelle Praktiken gemahnt, tanzt er in „Varuna“ auf Spitzen in einer sinnlich-erotischen Choreographie, und auch die Faun-Nummer ist, bis hin zum Griff in den Schritt inmitten des Publikums, voll von sexuellen Konnotationen. Eher unschuldig wirkt dagegen doch die Antipodennummer der jungen Finnin Katerina Repponen, die im schneeweißen Kostüm vier schneeweiße Zylinder mit den Füßen jongliert oder auf den Requisiten, die unbefestigt auf dem Boden stehen, ein- und zweiarmige Handstände wagt. „Farblicher Kontrast“ auf der Bühne ist dagegen der Japaner Yukki Yoyo im schwarzen Kimono mit seiner tänzerisch präsentierten Jonglage mit zwei Jojos. Marina Borzova, Circusbesuchern als „Furia“ am Schwungtrapez bekannt, präsentiert hier eine Darbietung am mit Kristalllüstern geschmückten Luftring (Kontorsion, Abfaller in Fußwirbel). Nach der Pause kehrt sie wieder mit einer zweiten Luftnummer, bei der sie sich zunächst aus einem die Bühne füllenden, enormen weißen Kleid schält.


Ivan Zubkevych, Rosiris Garrido, Trio Bingo

Aus der Truppe Bingo kommt ein neu formiertes, junges Damen-Trio, das in bewährter Weise, ähnlich wie etwa Roncallis Trio Bellisimo, Hand-auf-Hand, Handvoltigen und kontorsionistische Elemente kombiniert und damit ein artistisches Ausrufezeichen vor der Pause setzt. Die Brasilianerin Rosiris Garrido erschwert sich ihre Arbeit am Luftring dadurch, dass sie sich in einen Rock aus natürlich weißem Papier wickelt, der ihre Evolutionen unbeschadet überstehen soll – ein leider etwas langatmiger Auftritt. Die Darbietung von Nikolay Titov auf Sprungschuhen, der eigens für den Friedrichsbau choreographiert wurde, konnte zur Vorpremiere in Stuttgart noch nicht gezeigt werden, da der Artist wegen Visumsproblemen noch nicht eingetroffen war. Vertretungsweise gab sein Choreograph Andrey Silchev eine Kostprobe dieser außergewöhnlichen Nummer. Als Schlussnummer kombiniert Ivan Zubkevych in einer kraftvollen Darbietung zwei verschiedene Genres; er lässt sich nach Tricks an den Strapaten aus niedriger Höhe in den Handstand fallen und zelebriert seine Kunst weiter auf dem Boden, um später wieder in die Luft zurückzukehren.

Mit seinem „Varieté Royal“ breitet Regisseur Ralph Sun in ruhigem Tempo einen ästhetischen, aber auch sehr puristischen Bilderbogen der leisen Töne aus, in dem das komische Element leider kaum einen Platz findet.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber