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Friedrichsbau-Varieté - "Particles"
www.friedrichsbau.de - 25 Showfotos

Stuttgart, 12. Februar 2015: Vor zwei Monaten wurde das neue Gebäude des Friedrichsbau-Varietés eröffnet. Es war eine Premiere auf einer Baustelle. Beim Start der zweiten Produktion am neuen Ort haben sich die Varietémacher schon „eingewohnt“. Und können nach zwei anstrengenden Jahren, die mit dem Ausstieg des  Hauptsponsors begannen, den Fokus wieder auf die Kunst richten. Es hat sich gelohnt. Mit „Particles: Musikalisch – Artistisch – Tänzerisch“ ist ihnen der große Wurf gelungen: eine Mischung aus Konzert und Varieté unter einer bezaubernden Papier-Installation als Bühnenbild.

Bei unserem ersten Besuch im neuen Friedrichsbau-Gebäude Anfang Dezember waren wir doch noch etwas irritiert: Die plüschige Gemütlichkeit des alten Rundbaus war einem allzu sachlichen Ambiente im neuen Haus gewichen. Nun, zwei Monate später, hat sich schon ganz vieles zum Positiven gewandelt, und man fühlt sich wohl in der neuen Spielstätte. Auf dem Dach prangt nun eine riesige Leuchtschrift und sorgt für einen einladenden Empfang.


Einladender Empfang dank großer Leuchtschrift 

Im Foyer wurde ein roter Teppich ausgerollt und die Beleuchtung stimmungsvoller gestaltet. Vor allem aber wurde die Sitzordnung im Theatersaal gelockert. Mehrere Tische samt Stühlen wurden herausgenommen; die verbliebenen Tische leicht aufgefächert. Bereits dieser erste Schritt hat das Ambiente wesentlich verbessert. Ab der nächsten Produktion „Clowns“ wird ein komplett neuer Saalplan realisiert. Die ehemals kahlen Wände im Theatersaal wurden mit Varietéplakaten geschmückt. Eine Zwischenlösung, denn in den nächsten Monaten sollen die Wände mit rotem Samt bespannt werden. Der Ton, vor zwei Monaten noch unzureichend, ist durch zusätzliche Investitionen erheblich verbessert worden und nun einwandfrei.


Bühne
 

Guter Ton ist für auch unverzichtbar für das aktuelle Programm „Particles“. Im Mittelpunkt steht das Werk der beiden Stuttgarter Klangkünstler Steffen Wick und Simon Detel alias „Piano Particles“. In jeder Vorstellung sind die beiden persönlich auf der Bühne – Wick am Piano, Detel mit „Live-Elektronik“ in verschiedenen Facetten. Hinzu kommen ein rein weibliches Streichquartett sowie Sängerin Regina Maria Chur. Klassische und zeitgenössische Elemente verbinden sich hier mit Pop, Elektronik und Filmmusik. Wick und Detel haben zahlreiche Stücke eigens für diese Varietéshow komponiert; andere wurden für das Programm neu arrangiert – und die Choreographien der Darbietungen an die Musik angepasst. Das Bühnenbild bildet die wunderschöne und preisgekrönte Installation aus hunderten geknüllten Papierpartikeln des Designers Marc Engenhart – eine schwebend leichte Wolke, die durch wechselnde Beleuchtung in immer neuen Farben strahlt.

 
Ihor Yakymenko und Tjorm Palmer, Fleeky Flanco, M. Lillies und Cortes Young
 

„Take my hand / and come with me / a wonderland / is waiting here“, heißt es im ersten Song “Tonight” während des Openings mit allen Künstlern. Und diese träumen gemeinsam von der Reise in dieses Wunderland, während ein Lichtstrahl auf einen Globus fällt. Die Eröffnungsszene geht nahtlos über in die erste artistische Darbietung. Ihor Yakymenko und Tjorm Palmer, Absolventen der Berliner Artistenschule 2013, zeigen gemeinsam eine Mischung aus Sprung- und Partnerakrobatik. Dann gehört die Bühne alleine der Musik. Wick und Detel spielen ihr Stück „Aero“, das zugleich in einem Video von Stephen Malinowski visualisiert wird. Hier werden die Klänge sichtbar gemacht durch bunte „Particles“, die auseinanderdriften und wieder zusammenlaufen. Das Jonglage-Duo M. Lillies und Cortes Young (Marie Seeberger und Thomas Dürrfeld aus Deutschland) jongliert auf originelle Weise mit fünf Bällen: Die beiden stecken in einem Mantel und jonglieren so gemeinsam „wie ein Mann“ mit einer Hand. Sie waren erst Anfang 2014 in der Geburtstagsshow „20“ des Friedrichsbaus zu sehen. Die heitere Jonglage geht über in poetische Momente – zum Zugvögel-Song „Migrant“ greift Cortes Young einzelne Blätter aus der Bühneninstallation und schickt sie als Papierflieger auf die Reise. Fleeky Flanco aus den USA, androgyner Typ mit lila Zottelhaaren, faltet sich in seiner exzentrischen Klischnigg-Darbietung in sein außergewöhnliches Requisit, ein Metallrohr-Fass, und dreht darin Runden über die Bühne.


Regina Maria Chur, Dennis Mac Dao, Ihor Yakymenko

„Trip to the moon“ heißt das dynamisch-treibende Musikstück, in dem das Ensemble wie gebannt den Stummfilm-Klassiker "Die Reise zum Mond“ aus dem Jahr 1902 verfolgt. Er wird auf die runde Scheibe im Bühnenbild projiziert. Der 24-jährige Deutsch-Vietnamese Dennis Mac Dao, Zweitplatzierter der TV-Show „Got to Dance“, zelebriert seinen Federtanz – er springt und er dreht Pirouetten, greift weiße Federn vom Boden und wirft sie weg. Am Ende entfachen Windmaschinen einen Schneesturm aus Federn, durch den er ekstatisch rotiert. Nochmal Musik, nunmehr mit Sängerin, Regina Maria Chur, noch eine Ensembleszene: Hier tanzen zu einem fröhlichen Song Ping-Pong Bälle auf den Saiten des offenen Klaviers oder wird mit Drum-Sticks jongliert. Dann ist Pause. Ihor Yakymenko arbeitet zu Beginn der zweiten Hälfte an einem Mast mit einer kleinen Plattform am oberen Ende. Er kombiniert Hand- und Kopfstände auf der Plattform mit Akrobatik am Mast – besonders beeindruckend sind auch die dynamischen Passagen, in denen er sich aus dem Handstand den Mast hinunterstürzt und wieder fängt.


Fleeky Flanco, M. Lilley und Cortes Young, Tjorm Palmer

Handstände bis hin zum Klötzchen-Abfaller und außergewöhnliche Klischnigg-Posen kombiniert Fleeky Flanco in seinem zweiten Auftritt. Dafür erntet er starken Applaus. Auch Dennis Mac Dao ist noch mal zu sehen, wenn er das Streichquartett umtanzt. Bei ihrer Keulenjonglage garnieren M. Lilley und Cortes Young ihre Passingjonglagen mit Pirouetten oder jonglieren gemeinsam sechs Keulen, während sie Rücken an Rücken stehen. "Was sich liebt, das neckt sich", könnte das Motto ihres Auftritts sein. An einem hohen Metallkubus, einer Art Reck, zeigt Tjorm Palmer letztendlich Schwünge, Handstände und Flüge im vollen Einklang mit der Musik.

Regisseur Ralph Sun und den Musikern der „Piano Particles“ ist ein ganz wundervoller Abend gelungen. Im ersten Programmteil steht klar die Musik im Vordergrund – ein berührend schönes Konzert, das durch Artistik, Tanz, Video- und plastische Kunst angereichert ist. Der kompakte zweite Teil ist dann mehr artistisches Varietéprogramm im Einklang mit der großartigen Musik der „Piano Particles“. Und das ganze Programm letztendlich eine runde Sache bei diesem Gipfeltreffen verschiedenster Künste.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber