Dies verrät
das professionell aufgemachte Programmheft. Wer kommt zum Zuge? Die
Künstler, die für 2021 und 2022 gebucht waren oder die, die vielleicht
schon für die aktuelle Ausgabe vorgesehen waren? Wer ist überhaupt
verfügbar? Und ergibt das so zusammengesetzte Ensemble die gewünschte
ausgewogene Mischung? Ähnliche Herausforderungen bei der Ticketlogistik.
Auch hier ein Fact aus dem Programmheft. Während der laufenden Spielzeit
werden bereits rund 60 Prozent der Karten für die folgende abgesetzt.
Bei alljährlich rund 50 ausverkauften Aufführungen im großen Dolce
Jugendstil-Theater kommen da schnell eindrucksvolle Zahlen zustande. Die
meisten Zuschauer mit Tickets für die aufgrund der Pandemie abgesagten
Shows haben diese behalten. Somit muss also sichergestellt werden, dass
die Billetts ihre Gültigkeit behalten, keine Plätze doppelt vergeben
werden und keine leer bleiben.

Finale
Die
Herausforderungen in beiden Bereichen wurden hervorragend gemeistert.
Konzentrieren wir uns nun auf die künstlerische Seite des
„Internationalen OVAG Varieté“. Hierfür zeichnen einmal mehr Anne
Naumann und Andreas Mattlé aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit des
Veranstalters verantwortlich. Wiederum ist es ihnen gelungen, starke
Acts zu verpflichten und daraus eine ausbalancierte Show
zusammenzustellen. Einige der Mitwirkenden konnten wir bereits ein paar
Jahre zuvor auf der Bühne des Dolce Theaters erleben, der Großteil des
Ensembles feiert aber seine Bad Nauheim-Premiere. Sportlich gestalteten
sich in diesem Januar auch die Proben. Denn teilweise waren die Artisten
bis kurz vor Start noch bei anderen Produktionen engagiert. Die Truppe
Khadgaa etwa war bis zum Sonntag noch in Würzburg beim Circus Krone.
Einen Tag später schon wurde in der Wetterau Premiere gefeiert. So wird
in der ersten Woche hinter der Bühne noch ordentlich gewirbelt, um dem
Publikum vor dem Vorhang eine gelungene Show zu bieten. Dies
letztendlich erfolgreich. Einzig einige der Umbaupausen geraten etwas
lange. Ansonsten läuft es rund. Sicher ist es dabei auch von Vorteil,
dass mit dem Team der Flashlight Veranstaltungstechnik ein eingespielter
Partner für Licht und Ton dabei ist.
 
Karsten Stiers und die Vegas Showgirls, Selyna Bogino
Grandios gleich
der Beginn. Auf der Bühne sind drei hohe Masten aufgebaut. Sway-Poles
hat sie ihr Entwickler Hugo Noel genannt. Der ungemein kreative Artist
hat damit den Schwankenden Mast neu erfunden. Denn diese Stangen sind
extrem biegsam. An deren Spitzen haben sich zwei Damen in langen weißen
Kleidern und ein Herr im schwarzen Frack festgeschnallt. Sie
schwingen daran zu „Nothing else matters“ vor- und rückwärts so tief
nach unten, dass sie den Gästen im Parkett recht nahe kommen. Den
eigentlichen Auftakt im Greatest Showman-Stil übernehmen die Vegas
Showgirls und Karsten Stiers. Die fünf Tänzerinnen sehen wir im Laufe
des Abends noch öfters und Karsten Stiers ist unser Begleiter durch die
Show. Gesanglich überzeugt er voll und ganz, ob beim Opener oder später
etwa mit „Crazy“ und „Let me entertain you“. Seine Stimme ist wirklich
grandios. Ansonsten wirkt Karsten Stiers etwas zurückhaltend. Es ist
seine erste Moderation eines Varieté-Programms. Und dann gleich vor so
einem großen Auditorium. Sicher hat er im Verlauf der knapp einmonatigen
Spielzeit an Präsenz gewonnen. Die vermutlich kürzeste Anreise nach Bad
Nauheim hatte Selyna Bogino, war sie doch zuvor im Frankfurter
Tigerpalast zu erleben. Die aus Italien stammende Antipodistin
verzaubert auch das Publikum in der Kurstadt im Nu. Virtuos jongliert
sie Walzen, Tücher und Bälle mit den Füßen. Am Ende sind es fünf große
türkise Bälle, die sie mit Händen und Füßen fliegen lässt. Das alles
serviert mit einem überaus gekonnten Auftreten.
  
Hans Davis, High Tension, Kateryna Nikiforova
Schattenspiele in
einer neuen Dimension zelebriert Hans Davis. Die Figuren, die er mit den
Händen formt und die auf eine runde Leinwand projiziert werden, sind
unerreicht filigran. Thematisch geht es von Tieren, die zugehörigen
Laute inklusive, bis zur Welt des Films. Sogar bestimmte
Persönlichkeiten stellt der Belgier so dar, dass sie bestens erkennbar
sind. Für mich auf diesem Niveau vollkommen neu und absolut
faszinierend. Die Sorellas haben 2015 im Dolce Theater mit ihrer Arbeit
am Trapez brilliert. Christoph Gobet und Rodrigue Funke haben inzwischen
ihre gemeinsame Arbeit beendet. Mit Julian Kaiser hat Christoph Gobet
einen neuen Partner für das Trapez gefunden. Was die beiden nun als Duo
High Tension zeigen, steht der preisgekrönten Nummer der Sorellas in
nichts nach. So gut wie alle grandiosen Tricks von damals sind wieder
dabei. Für Hochspannung ist also im wahrsten Sinne des Wortes gesorgt,
ist der Auftritt doch wahrlich riskant. Dabei machen die beiden noch
eine blendende Figur. Zumindest ein wenig Entspannung für die Zuschauer
ist angesagt, wenn Kateryna Nikiforova ihre weißen Bälle tanzen lässt.
Für ihre Bouncing-Jonglagen hat sich die Ukrainerin ein gläsernes
Requisit mit drei Flächen ausgesucht. So sind neuartige Touren zu
bewundern.
  
Daniel Golla,
Silvia Gaffurini, Oleg Issozimov
Bei der folgenden
Luftnummer bleibt der Hauptakteur am Boden. In einer Pilotenuniform
schickt Daniel Golla seine Modellflieger auf die Reise. Mittels
Fernsteuerung lässt er sie tollkühne Kunstflüge ausführen. Dies
vorzugsweise über den Köpfen der Gäste im Saal. Auch durch die von den
Vegas Showgirls im Outfit von kessen Flugbegleiterinnen gehaltenen
Reifen steuert Daniel Golla eines seiner Miniaturflugzeuge souverän.
Fliegen darf auch Emelie. Bei ihr geht es auf kleiner Plattform immer im
Kreis. Gemeinsam mit Partner Royer erleben wir sie in einer rasanten
Rollschuhdarbietung. Das blendend aussehende Duo hat neben den
Klassikern des Genres auch Ungewöhnliches im Repertoire. So etwa eine
Fahrt, bei der Royer seine Partnerin kopfüber in der Vertikalen rotieren
lässt. Ein wenig Pech mit der offensichtlich recht trockenen Luft im
Gebäude hat an diesem Abend Silvia Gaffurini. Einige ihrer vergänglichen
Kunstwerke zerplatzen, bevor sie ihre ganze Schönheit entfalten können.
Die Seifenblasen in vielerlei Varianten entstehen in liebevoller
Detailarbeit. Mal pustet sie diese direkt mit dem Mund auf, mal mit
einer kurzen, dann wieder einer langen gläsernen Röhre. Mit Rauch sorgt
Silvia Gaffurini für zusätzliche Effekte. So entstehen schillernde
Schönheiten, die äußerst charmant präsentiert werden. Zum Schluss lässt
sie hunderte von Bubbles fliegen. Wenn es um formvollendete
Handstandakrobatik zu Opernarien geht, kommt einem sofort ein Artist in
den Sinn - Oleg Issozimov. Dabei stammt der von Luciano Pavarotti
interpretierten Song „Caruso“ gar nicht aus einer Oper, sondern er
erschien erstmalig 1986. Wie dem auch sei, das Stück passt wunderbar zur
Equilibristik, die Oleg Issozimov wie immer im weißen Kostüm eines
klassischen Balletttänzers zelebriert. Es ist faszinierend zu sehen, wie
er nach wie vor hochkonzentriert schwierigste Kunststücke zeigt. Lange
hält er sich zumeist auf nur einem Arm im Gleichgewicht ohne abzusetzen.
Als Solist fesselt er für rund fünf Minuten die volle Aufmerksamkeit des
Publikums.

Groupe
Dobrovitskyi
Nach der folgenden
Pause geht es in größerer Besetzung weiter. Im Quintett präsentiert die
Groupe Dobrovitskyi Flugpassagen zwischen zwei statischen Fangstühlen.
In historisch inspirierten Kostümen geht es für die beiden Fliegerinnen
und den Flieger zwischen den beiden Fängern hin und her. Wir erleben
raumgreifende Sätze. Besonders reizvoll sind die beiden Sprünge über
Kreuz. Große rote Federn sind der Blickfang an den Kostümen der Vegas
Showgirls, wenn sie tanzend das nächste von Karsten Stiers
interpretierte Lied begleiten. Das Engagement von Yuchan Iizuka stellt
insofern eine Premiere dar, als dass sie die erste Artistin aus Japan
beim OVAG Varieté ist. Ihre Disziplin sind die Strapaten, auch als
Tänzerin hat sie bereits gearbeitet. Beides verbindet sie zu einer
wunderbaren, trickstarken Kür über der Bühne. Das traumhafte Lichtdesign
macht den Genuss perfekt. Gar eine Weltpremiere ist der Auftritt von
Sheyen Caroli. Schließlich hat sie ihre Kontorsions-Darbietung komplett
neu gestaltet. In Anzughose, Weste, Hemd, Krawatte und Mütze sowie mit
Zigarette in der Hand betritt sie die Szenerie, einen zwielichtigen Club
mit Billardtisch. Letzterer dient als Podest für die unglaublichen, aber
immer ästhetischen Verbiegungen ihres Körpers. Erst kurz vor Schluss
fällt die Maskerade, aus dem vermeintlichen Herrn wird eine attraktive
Lady. Ein knappes Outifit trägt Sheyen Caroli, wenn sie mit den Füßen
einen Pfeil mit einer Armbrust abschießt. Dies als Doppelauslösung. Die
eigentliche Zielscheibe befindet sich hinter ihr.
  
Marc Métral,
Truppe Khadgaa, Leosvel & Diosmani
Traditionelle
Varietékunst in eleganter Präsentation alter Schule ist das Metier von
Marc Métral. Der Franzose ist einfach ein Entertainer durch und durch.
Als Ventriloquist verleiht er seine Stimme. Zunächst an einen Vogel
sowie einen Löwen aus Stoff, sodann an Lisa. Lisa ist eine weiße,
quicklebendige Hundedame, die Dank ihres Herrchens sprechen kann.
Bereits von sich aus sprechen können die vier Gäste, die Marc Métral zum
Abschluss auf die Bühne holt. Er aber gibt ihnen neue Stimmen und lässt
sie Dinge sagen, die sie so vermutlich vor großem Publikum nicht
mitgeteilt hätten. Ein junger Mann legt sich schlafen und als sich die
Decke seines Betts wieder hebt, kommt eine Hexe zum Vorschein. So
beginnt die Magic Show von Magus Utopia. Im Reich von gruseligen
Fabelwesen erlebt der Protagonist faszinierende Großillusionen.
Bekannte, verblüffende Tricks werden hier sehr effektvoll in Szene
gesetzt. Am Ende ist dann doch alles nur ein Traum, aus dem der Mann im
Pyjama schließlich wieder erwacht. Gemeinsam mit seinen fünf
Bühnenpartnerinnen und -partnern nimmt er den Applaus entgegen. Die
Truppe Khadgaa vereint Handvoltigen und Kraftakrobatik in einer
folkloristisch aufgemachten Darbietung. Prachtvolle Kostüme,
einzigartige Choreographien und geheimnisvolle Klänge kennzeichnen
ferner den Auftritt der Mongolen. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn acht
Personen einen Turm bilden, der auf zwei starken Männern ruht. Die Vegas
Showgirls sorgen vor der ersten Sitzreihe für Ablenkung, während hinter
ihnen der letzte Aufbau des Abends stattfindet. Dieser ist für Leosvel &
Diosmani und ihre atemberaubende Akrobatik am Mast. Schon das Erscheinen
der Kubaner mit ihren trainierten Bodys sorgt für Raunen. Standing
Ovations gibt es gar, wenn sie ihren Schlusstrick gezeigt haben, den
einarmigen Handstand auf dem Oberkörper des Partners, den dieser im
rechten Winkel von der Stange abdrückt. Zuvor haben sie mit vielen
weiteren Übungen fasziniert, die ungeheure Kraft erfordern und bei
Lesosvel & Diosmani ganz einfach aussehen. Die ausgelassene Stimmung
überträgt sich auf das Finale, in dem das Publikum das gesamte Ensemble
regelrecht feiert. |