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Internationales OVAG-Varieté 2020
www.ovag-gruppe.de - 182 Showfotos

Bad Nauheim, 17. Januar 2020: Kurz vor 23.30 Uhr verklingen die letzten Töne der Abschiedsmusik, verlassen die Artisten endgültig die Bühne. Hinter uns liegen knapp dreieinhalb Stunden Artistik, Gesang und Comedy vom Feinsten - Pause inklusive. Bei einem Kinofilm spricht man von Überlänge. „Standard“ nennt man es wohl beim Neujahrs-Varieté der OVAG. Denn hier treten nicht nur die ganz großen Stars der Szene auf, die Quantität spielt genauso eine entscheidende Rolle. Die XXL-Spieldauer wird vorab versprochen und natürlich auch eingehalten.

Und das inzwischen im 18. Jahr. Wie gewohnt, sind die rund 50 Shows allesamt lange zuvor ausverkauft. , Seit dieser Saison laufen sie unter dem Titel „Internationales OVAG-Varieté“. Pro Veranstaltung stehen 730 Plätze im wunderschönen Dolce Jugendstil-Theater in Bad Nauheim zur Verfügung. Trotz des großen Raums gelingt es immer wieder, Nähe zu schaffen. Einen großen Beitrag dazu leistet das famose Lichtdesign von Klaus Nass. Mit jeder Spielzeit erscheint es noch aufwendiger, wirkungsvoller. Für den Ton sorgt ganz wunderbar Christian Krauß. Vom ersten Livegesang mit vorproduzierter Musikbegleitung bis zum Finale-Klassiker „Jump“. Die Brücke zum Publikum zu schlagen ist natürlich in ganz besonderer Weise Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler. Deren Auswahl obliegt Andreas Matlé und Anne Naumann. Sie haben die künstlerische Leitung inne und sind bei der OVAG beschäftigt. Der Unternehmensverbund ist der Dienstleister für die Versorgung der Region mit Strom, Wasser, Wärme und Services. Und eben von Anfang Januar bis Anfang Februar Gastgeber für das Varieté-Publikum.


Le Prince und Rebecca Siemoneit-Barum

Unsere Gastgeberin auf der Bühne ist in diesem Jahr Rebecca Siemoneit-Barum. Den meisten Gästen dürfte sie durch ihre Rolle in der TV-Serie „Lindenstraße“ bekannt sein. Wir Circusfans kennen sie natürlich noch aus dem Circus Barum, wo sie in ihrer Kindheit Ziegen und Ponys vorgeführt und in der Akrobatikformation „Shanghai Move“ Körperbeherrschung bewiesen hat. Diese Nähe zur Welt der Artisten spürt man in ihren Moderationen. Hier und da erzählt sie kleine Anekdoten zum folgenden Künstler. Gerne mit einem guten Schuss Humor versehen. In ihrem Sprachstil erinnert sie an die Ansagen ihres Vaters Gerd Siemoneit-Barum. Sie begleitet uns sehr charmant durch den Abend. Zudem überzeugt sie mit ihren gesanglichen Fähigkeiten. Beim Eröffnungsstück fährt sie auf einer Plattform über die Bühne. Zumeist erleben wir sie gemeinsam mit Duettpartner Le Prince. Die beiden verbreiten mit ihren Feelgood-Songs, die im Bereich Reggae und Pop angesiedelt sind, einfach gute Laune. Während die beiden im Vordergrund singen, kann auf der Bühne der ein oder andere größere Umbau erfolgen.


Yuan Yuan Yang, Vanessa & Sven, Steve Eleky

Zu Beginn darf Rebecca Siemoneit-Barum dem Publikum vier junge Männer mit beneidenswert trainierten Oberkörpern präsentieren. Die Muskeln benötigen die Bar Tigerzz aber nicht nur, um eine blendende Figur zu machen, sondern vor allen Dingen, um kraftvolle Akrobatik am Barren zu arbeiten. Zudem macht das Quartett, welches sich in Frankreich formiert hat, gleich von Anfang an ordentlich Stimmung. Ihre Wurzeln haben dessen Mitglieder in Algerien, Mali, dem Kongo und Senegal, informiert das umfangreiche Programmheft. Aus China hingegen stammt Yuan Yuan Yang. In einer anmutigen Kür beweist die 27-jährige Artistin ihren ausgeprägten Gleichgewichtssinn genauso wie die Biegsamkeit ihres Körpers. Für die optische Aufwertung sorgen Kronleuchter mit brennenden Kerzen, die Yuan Yuan Yang auf Händen, Füßen und der Stirn balanciert. Die Ohren werden mit einem von Rebecca Siemoneit-Barum live gesungenen James-Bond-Song verwöhnt. Schwung- und humorvoll wird es dann mit den Mustache Brothers. Die beiden Sonnyboys mit Schnurrbart aus Rio de Janeiro verbinden Comedy und Akrobatik rund um einen Tisch. Es geht turbulent zu, wenn sie Salti drehen und sich nebenbei gegenseitig Ohrfeigen geben. Da Vanessa Baier ein Medizinstudium aufgenommen hat, ist Sven Böker derzeit des Öfteren als Handstandartist im Solo zu erleben. In Bad Nauheim jedoch steht das Duo Vanessa & Sven gemeinsam auf der Bühne. Ihre Partnerakrobatik hat den besonderen Reiz darin, dass Vanessa den tragenden Part übernimmt. Sein zweites Engagement beim OVAG-Varieté hat Steve Eleky. Er jongliert und zaubert in jeweils einem Auftritt, dass es eine wahre Freude ist. Dilettantismus ist hier ganz gewollt Programm. Wenngleich ich den gebürtigen Ungarn schon unzählige Male gesehen habe, schmeiße ich mich auch im Dolce Theater einmal mehr weg vor Lachen. Dem Publikum geht es genauso. Lachsalven ziehen durch den Saal. Natürlich kommen zu vielen bekannten Gags auch immer wieder ein paar neue.


Rachel Belle Barum, George Faining, Aaron Crow

Mit ihrer Darbietung am Luftring ist Lea Hinz der Coverstar der diesjährigen Produktion. Leider muss sie in der von uns besuchten Vorstellung aufgrund einer Ellenbogenentzündung pausieren. Doch ganz spontan wird eine andere Luftnummer ins Programm genommen. Dies in Person der bildhübschen und akrobatisch begabten Tochter der Moderatorin des Abends. Rachel Belle Barum wagt sich in einen großen Vogelkäfig, der über der Bühne hängt. Daran zeigt sie neben Zehen- und Fersenhang auch einen Nackenwirbel. Viele blau leuchtende Diabolos schickt ein Quartett aus Taiwan auf die Reise. Die Diabolo Walkers harmonieren bestens, spielen sich die Requisiten perfekt gegenseitig zu. Besonders faszinierend sind die Tricks, bei denen sie die Diabolos mit sehr langen Schnüren in Bewegung halten. George Faining verbiegt seinen Körper derart, dass man sich beim Zusehen Sorgen um den Mann aus Ghana macht. Doch Faining lächelt ganz entspannt. Dies auch dann, wenn er sich durch den Rahmen eines Tennisschlägers zwängt und sein Rumpf von Mitgliedern der Bühnencrew um fast 180 Grad gedreht wird. Noch unglaublicher sieht das aus, was die Formation Halves Project mit ihren Körpern macht. Ober- und Unterkörper sowie vertikal geteilte Körperhälften laufen vermeintlich alleine über die Bühne. Doch das Trio aus der Ukraine muss sich dafür nicht verrenken. Outfits in Schwarz und Weiß sowie die entsprechende Beleuchtung sorgen für die perfekte Illusion. Geheimnisvoll gibt sich Aaron Crow. Sein Auftritt erzeugt große Spannung im Saal. Mit aus einer Kerze getropftem heißem Wachs, einer Mullbinde, Klebeband und einer silbernen Folie verschließt er seine Augen. Drei Personen hat er zuvor auf der Bühne positioniert. Eine hält eine Tüte, auf die der Magier aus Australien zielgerichtet blind einsticht, so dass Sand daraus rieselt. Mit einem Nunchaku zerteilt er ein Brett, das ein weiterer Herr festhält. Mit einem Schwert schlägt er schließlich den oberen Teil einer Ananas ab, die auf dem Kopf einer Dame ruht. Absolute Präzision oder eben doch nur eine Illusion? Aaron Crow gibt sich mysteriös. Im zweiten Teil verblüfft er das Publikum nochmals. Dann durchschießt er mit Pfeil und Bogen einen Apfel. Doch nicht einfach so, zwei Gäste sind involviert, weitere Tricks in die Darbietung integriert.


Mario Berousek, Duo Kvas, Duo Vanegas

Die Pause wird genutzt, um den Fangstuhl von José und Dany aufzubauen. Josefina begibt sich dabei vertrauensvoll in die Hände von Sergio Daniel. Bei den Voltigen des argentinischen Duos verlieren ihre Hände für Augenblicke den Kontakt, um diesen nach herrlichen Flugsequenzen wieder zu finden. Das alles mit viel Ausstrahlung und zu einem wunderschönen Chanson. Mit Partnerakrobatik verwöhnen uns drei hübsche junge Damen aus Äthiopien. African Trilogy heißt die Formation, die mit ihren Körpern eindrucksvolle Bilder kreiert. Ein Showman durch und durch ist Mario Berousek. Ob Knie, Krone oder Moulin Rouge: der tschechische Jongleur wurde überall gefeiert. So auch in Bad Nauheim. Ganz virtuos, vor allen Dingen aber mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, lässt er seine silbernen Keulen durch die Luft fliegen. Mit beeindruckenden Balancen Kopf-auf-Kopf beendet das Duo Kvas seine Nummer. Was die Ukrainer zuvor Hand-auf-Hand sowie Hand-auf-Kopf zelebrieren, ist ebenfalls vom Feinsten. Unzählige bunte Teller lassen acht Artistinnen aus China auf Stäben rotieren. Sie stammen aus der Provinz Yunnan im Südwesten der Volksrepublik. In einer ausgefeilten Choreographie und mit viel akrobatischem Können füllen sie den großen Raum auf der Bühne spielend aus. Das tut dank seines Requisits daraufhin auch das Duo Vanegas. Denn Alejandro und sein Neffe Michael haben ihr Todesrad mit ins Dolce Theater gebracht. Bei atemberaubenden Touren strapazieren die Kolumbianer vor dem Finale noch ein letztes Mal die Nerven des Publikums. Höhepunkt ist der Salto auf der Außenseite des rotierenden Rades, welcher Alejandro gewohnt sicher gelingt. Frenetischer Applaus ist ihnen sicher.

Damit endet ein langer, fantastischer Abend. Das Publikum feiert die Mitwirkenden mit Standing Ovations. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Die ein, zwei Darbietungen, die mich nicht ganz so angesprochen haben, finden umso mehr den Gefallen meiner Begleitung. Varieté bedeutet eben auch Vielfalt. Und ohne Frage: das Niveau ist 2020 hoch wie gewohnt. Dies bezogen auf die gesamte Show ebenso wie auf jede einzelne Darbietung.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch