CHPITEAU.DE

OVAG - Neujahrs-Varieté 2019
www.ovag-gruppe.de - 120 Showfotos

Bad Nauheim, 25. Januar 2019: Die Zusammenstellung stimmt einfach. Das 17. Internationale Neujahrs-Varieté ist so eine runde Sache, dass die knapp dreieinhalb Stunden wie im Fluge vergehen. Natürlich, das Programm ist gewohnt hochkarätig besetzt. Doch es läuft noch harmonischer ab als in den Vorjahren. Sämtliche Artisten sind mit sichtbarer Freude bei der Sache. Es gibt große Nummern, Nervenkitzel, Lustiges, schier Unglaubliches und einfach nur Schönes. Das alles in einer auf angenehme Weise perfekten Mischung in Szene gesetzt.

Ein charmanter Gastgeber führt durch den Abend, das Lichtdesign ist wirklich grandios, die Toneinspielungen sind von hoher Qualität. Nicht zuletzt trägt das Dolce Theater seinen Teil zur Gesamtwirkung dabei. Der Jugendstilsaal schafft trotz seiner Größe eine gemütliche Atmosphäre.


Diablos del Fuego, Topas, Emi Velkova und Carlos Triberti

Die Oberhessische Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH, kurz OVAG, als Veranstalter hat also einmal mehr alles aufgeboten, um ihren Kunden einen unvergesslichen Abend zu bereiten. Allen voran die künstlerischen Leiter Andreas Matlé und Anne Naumann. Los geht es mit den Diablos del Fuego. Eine Dame und zwei Herren aus Argentinien bringen Gaucho-Feeling nach Bad Nauheim. Sie präsentieren Bola-Spiele und schlagen großen Trommeln. Ist ihr Auftritt so schon feurig, lassen sie zum Schluss echte Flammen kreisen. Mit brennenden Schnüren zaubern sie stimmungsvolle Effekte. Tatsächlich zaubern kann Thomas Fröschle alias Topas. Zumindest geben wir uns gerne der Illusion hin, dass er dies beherrscht. Der Magier und Entertainer ist uns vom Neujahrs-Varieté 2015 in bester Erinnerung. Noch einmal dürfen wir fasziniert zusehen, wie er immer mehr Lautsprecherboxen aus einem Karton holt, sie anschließt und dann wirklich zum Klingen bringt. Das Publikum unterstützt singend. Alle anderen Tricks zeigt der vielfach ausgezeichnete Illusionist hier zum ersten Mal. So auch sein eigenes Erscheinen aus einer mit Luft gefüllten flatternden Figur aus Kunststofffolie. Topas ist zudem ein wunderbarer Moderator, der die Gäste mit viel Wortwitz bestens unterhält und den Artistenkollegen die Bühne bereitet. Einige davon revanchieren sich bei ihm durch die Mitwirkung in einem Sketch, in dem er von den Fahrten in den Familienurlaub berichtet. Die äußerst amüsanten Erzählungen über das Hören von Howard-Carpendale-Kassetten enden in einer originellen Choreographie. Emi Velkova und Carlos Triberti sorgen mit rasanter Rollschuhakrobatik für Schwung. In hohem Tempo erzeugen die beiden auf runder Fläche einen guten Schuss Nervenkitzel. Die gewagten Touren werden sehr charmant verkauft.


Rabia Ahmadi, Giacomo Jasters, Alessio Fochesato

Eine Herzensangelegenheit war den Produzenten das Engagement von Rabia Ahmadi. Die vierzehneinhalbjährige Gymnasiastin kommt aus Kabul. Sie ist Mitglied des Mobile Mini Circus of Children (MMCC). Der MMCC ist eine Nichtregierungsorganisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, sich um Kinder in Kabul und den Provinzen zu kümmern. Unter professioneller Anleitung sollen sie über einen künstlerischen Weg gefördert werden, wie das Programmheft informiert. Rabia Ahmadi jongliert mit Bällen und Keulen. Das auf dem Boden, auf der Rola Rola und auf einer Kugel. Zum Schluss hält sie vier Fackeln in der Luft. Gemeinsam mit ihrem Trainer Hamid verabschiedet sie sich mit der Fahne ihres Heimatlandes in der Hand. Rabia Ahmadi bestreitet den berührendsten Auftritt des Abends. Sie agiert verständlicherweise noch recht zurückhaltend, dafür umso authentischer. Damit gewinnt sie das Publikum im Nu für sich. Ebenso mit ihrem artistischen Können, das wirklich sehenswert ist. Die Jasters sorgen seit 1992 in den großen Manegen der Welt für Nervenkitzel. Giacomo ist der präzise Messerwerfer und Armbrustschütze. Elena die wagemutige Partnerin, die sich ans Messerbrett stellt und Gegenstände hält, die von Pfeilen durchbohrt werden. Spektakulär sind immer wieder der Tellschuss und das Werfen mit Messern auf ein rotierendes Brett. Glücklicherweise geht alles gut, und das sympathische Ehepaar kann die Bühne wohlbehalten verlassen. Nach dem ersten Auftritt von Otto Wessely geht es weiter mit Alessio Fochesato und seinen Papageien. Der Italiener braucht nur wenige Requisiten, um mit den prächtigen Vögeln herrliche Kunststücke zu zeigen. Seine einzigartige Dressurnummer ist inzwischen bestens bekannt. Insbesondere die ausdauernden Flüge der Papageien sind immer wieder eine wahre Freude.


Duo Yingling, Duo Stauberti, Katrin Weißensee

Äußerst witzig ist die Einleitung zur Partnerakrobatik des Duo Yingling. Mit Selfiestick und Smartphone spielen sie mit dem Klischee chinesischer Touristen in Europa. Dabei sind die beiden Artistinnen aus Shanghai längst in Freiburg und Bern heimisch geworden, was sie zur Verblüffung der Zuschauer offenbaren. Traditionell chinesisch ist aber ihre eigentliche Darbietung, in der sie Kontorsion, Equilibristik und Tücherjonglagen verbinden. Hoch hinaus geht es für Nancy Stauberti. Auf langen Perchestangen balanciert sie ihr Onkel Dimitr. Dies auch dann, wenn er auf einer freistehenden Leiter oder einem Einrad das Gleichgewicht hält. Nancy zeigt oben Tricks wie den Handstand. Für das Duo Stauberti gab es 2018 einen Silbernen Clown in Monte Carlo. Flüchtige Kunstwerke aus winzigen Körnern zaubert Katrin Weißensee. Die studierte Diplom-Betriebswirtin wurde in eine Artistenfamilie in Thüringen hineingeboren. Im deutschsprachigen Raum gilt sie als „Sandmalerin der ersten Stunde“, so das Programmheft. Sie lässt uns am Entstehen ihrer Kunstwerke aus Sand teilhaben. Wir sind dabei, wenn sie mit geschickten Fingern immer neue Details herausarbeitet, bis das endgültige Bild fertig ist. So geht es mit einer ruhigen Stimmung in die Pause.


Black Blues Brothers, Romina Micheletty, Miracle of Love

Umso lebhafter beginnt der zweite Teil. Dafür sorgen die Black Blues Brothers. Die fünf vor Energie strotzenden jungen Kenianer erfreuen das Publikum mit Menschenpyramiden und einer akrobatischen Variante des Seilspringens. Dazu tragen sie schwarze Anzüge mit weißen Hemden und Krawatten. Die passende Musik macht das Blues Brothers-Feeling komplett. Den Kontrapunkt dazu setzt Romina Micheletty. Sie verzaubert mit einem ungeheuer sinnlichen Tanz, bei dem sie mit ihren goldenen Reifen „spielt“. Die attraktive Französin verwöhnt uns mit fließenden Bewegungsabläufen. Darin eingebunden sind Handstandakrobatik, Kontorsion und eben Jonglage. Am Ende lässt sie etliche Ringe um ihren Körper kreisen. Das traumhafte Lichtdesign sei hier nochmals explizit erwähnt. Und wieder gibt es einen Stimmungswechsel. Auf Körperbeherrschung pur folgt Dilettantismus. Der ist natürlich gewollt und zum Brüllen komisch, Otto Wessely sei Dank. Der Magier aus Wien beherrscht sein Handwerk exzellent, etwa wenn er Rasierklingen schluckt und dann an einer Schnur wieder aus dem Mund holt. Aber die Präsentation ist höchst eigenwillig. Wenn am Zaubertisch die vorderen Beine wegbrechen, kippt er die Requisiten einfach den Zuschauern in der ersten Reihe vor die Füße. Den großen Pokal funktioniert er kurzerhand zum Aschenbecher um. Er wirkt missmutig und doch liebenswürdig zugleich. Partnerin Christa versucht, in dem Chaos den Überblick zu behalten. Comedy vom Feinsten. Anmutig präsentierte Spitzenakrobatik servieren danach zehn Vertreterinnen des Chinesischen Nationalcircus in Peking. „The Mircale of Love“ nennen sie ihre Artistik auf Fahrrädern. In goldenen Kleidern und mit Fächern kreieren sie wunderschöne Bilder. Ganz gleich, ob sie mit mehreren Rädern Formationen fahren oder zu siebt auf einem Fahrrad unterwegs sind.


Strahlemann & Söhne, X-treme Brothers, Diorios

Aus Berlin kommen zwei Businessmen auf die Bühne des Dolce Theaters und jonglieren mit Keulen. So weit, so gut. Doch während der Passings tauschen sie die Outfits. Sie ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus und dann mit den Klamotten ihres Gegenübers wieder an. Die Kleidungsstücke wechseln in der Darbietung von Strahlemann & Söhne gemeinsam mit den Keulen den Partner. Gleich oberkörperfrei treten Laurentiu, Valentin und Ionut ins Scheinwerferlicht. Sehr zur Freude des weiblichen Teils des Publikums. Mit ihrer Partnerakrobatik überzeugen die X-treme Brothers dann aber alle Gäste im Saal. Neben Kraft ist dafür ein ausgeprägter Gleichgewichtssinn notwendig. Beides besitzen die Rumänen, die sich seit ihrer Kindheit kennen. So haben sie etwa den Trick im Repertoire, bei dem ein Artist seinen Partner im Handstand balanciert, dann auf einem Stuhl nach hinten über die Lehne herunter und anschließend wieder zurück in den Stand geht. Spektakulär endet die Show mit der Motorradkugel der Diorios. Bis zu vier Fahrer jagen gleichzeitig durch die Kugel, die sich für eine kurze Zeit sogar in der Mitte öffnet. Verletzungsbedingt an diesem Abend nicht dabei ist Anastasia Makeeva mit ihrer Luftakrobatik an geflochtenen Tüchern. Wie immer ausführlich zelebriert wird das Finale. Ein furioser Abschied einer fulminanten Show.

Auch in der Spielzeit 2019 sind wieder alle Vorstellungen ausverkauft. So wie die insgesamt 408 bislang gespielten Aufführungen des Internationalen Neujahrs-Varietés. Mithin wurden seit Start der Veranstaltung vor 16 Jahren rund 290.000 Zuschauer gezählt. Die Artisten wiederum kamen in dieser Zeit aus 41 Ländern. Dazu halten rund 60 Mitarbeiter im Hintergrund die Produktion am Laufen. Diese und weitere eindrucksvolle Zahlen hält das Programmheft bereit. So eindrucksvoll eben, wie die jährlichen Shows. Die Ausgabe 2019 jedenfalls war wieder ein Hochgenuss!

________________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch