Was
alles andere als einfach ist, denn die selbst gelegte Messlatte ist
immens hoch. Auf der anderen Seite erfreuen sich die Veranstalter
selbst an den Shows. Denn die beiden Macher Anne Naumann und Andreas
Matlé sind mit unglaublichem Enthusiasmus bei der Sache. Was sich auf
die Qualität der Programme auswirkt und damit letztendlich wieder dem
Publikum zu Gute kommt. Es gibt also nur glückliche Gewinner. Zum
halbrunden Jubiläum hält die Ovag noch ein ganz besonderes Geschenk
bereit. In einem Buch halten die Veranstalter Rückschau auf all die
großartigen Produktionen. Blicken noch einmal auf all die wunderbaren
Künstler, die das Neujahrs-Varieté zu dem gemacht haben, was es heute
ist. Der wohl hochkarätigsten, großartigsten Varieté-Produktion unserer
Tage.

Finale
Drei
Faktoren kommen hier begünstigend zusammen. Der Zeitraum zwischen
Weihnachtscircussen und Beginn der Sommersaison ist geschickt gewählt.
Viele hochkarätigen Darbietungen sind „frei“. Das Dolce Theater in Bad
Nauheim bietet mit seiner ausladenden Bühne beste Voraussetzungen auch
für große Nummern. Die Veranstaltung muss sich nicht zwingend selbst
tragen. Sie ist ja vor allen Dingen als Dankeschön der Ovag an ihre
Kunden angelegt. Nichtsdestotrotz strömen die Besucher in Scharen.
Oftmals sind die Vorstellungen schon ein Jahr im Voraus
ausverkauft. In diesem Winter kommen insgesamt 31.700 Zuschauer
zu den 43 Vorstellungen in Bad Nauheim und den beiden in Wartenberg.
Die erleben innerhalb von dreieinhalb Stunden einen Höhepunkt nach dem
anderen. Der eigene Geschmack macht letztendlich den Unterschied.
  
Face Team. Mitglied der Chicks of Swing, Housh-Ma-Housh
So
ist gleich die erste Darbietung unser persönliches Highlight. Sieben
Jungs vom ungarischen Face Team sorgen für mächtig Stimmung. Die coolen
Sportler spielen auf zwei Basketballkörbe an den beiden Seiten der
Bühne. Sie bieten eine perfekte Choreographie, in der sie mit Hilfe von
Trampolinen virtuose Sprünge wagen, um den Ball im Netz abzulegen. Es
ist ein ungeheuer lebendiges, mitreißendes Bild, bei dem immer etwas
passiert. Quasi zur Entspannung lassen die trainierten Kerle mal eben
ein Taxi auf der Bühne entstehen. Danach begrüßen uns unsere
Gastgeberinnen. In diesem Jahr gleich drei an der Zahl. Dafür wird auf
ein Ballett verzichtet. Die Chicks of Swing singen und moderieren.
Letzteres teilweise mit witzigen Unterhaltungen aus dem Off. Bei ihren
wunderbaren Songs werden sie von einem Pianisten live begleitet.
Insgesamt hätte ich mir von ihnen etwas mehr Enthusiasmus
gewünscht. Ein wahrer Charakter ist dafür der zweite „rote
Faden“. Housh-Ma-Housh begegnet uns immer wieder. Er macht den Auftakt
und lässt das Face Team als Schattenbild hinter einem riesigen weißen
Tuch „erscheinen“. Der Clown mit der markanten Frisur kommt im Laufe
der Show immer besser in Fahrt. Wenn er mit zwei Zuschauern eine
musikalische Performance hinlegt, ist das Publikum im
Jugendstil-Theater mit vollem Einsatz dabei. Natürlich hat Housh-Ma-Housh auch den Svarovski-besetzten Strick
im Gepäck. Und selbstverständlich ist immer irgend etwas „kaputt“.
  
Cedenos, Triuvare, Duo Urunov
Die
Cedenos kennen wir von Roncalli und vom Heilbronner Weihnachtscircus.
Ikarische Spiele sind die Disziplin, in denen die Brüder aus Ecuador zu
Hause sind. Das Quartett wirbelt sich auf zwei Trinkas gegenseitig mit
den Füßen durch die Luft. Auch den Sprung über Kreuz haben sie im
Repertoire. Nicht zuletzt dank ihrem südamerikanischen Charme kommen
sie bestens an. Ein besonderes Anliegen der Ovag ist es, regionalen
artistischen Nachwuchs zu unterstützen. So erleben wir in diesem Jahr
das Trio Triuvare. Die Mitglieder lernten sich bei Voilà e.V. kennen.
Einem Verein, der aus der Varieté-AG der Freien Waldorfschule Bad
Nauheim entstanden ist. Trotz Arbeit und Studium trainieren Tobias,
Anina und Maurice ein- bis zweimal die Woche. Das merkt man. Ihre
Partnerakrobatik enthält innovative, anspruchsvolle Tricks. Diese
verkaufen sie ungemein sympathisch. Eine kleine Geschichte gibt die
Handlung vor. Diese erschließt sich allerdings erst nach Studium des
ausführlichen Programmhefts vollends. Kostümwechsel in Windeseile sind
das Metier von Elena und Ruslan Urunov. Was sie technisch bieten, macht
ihnen so schnell niemand nach. Man kann kaum mitverfolgen, wie rasant
die beiden ihre Kostüme wechseln. Eine farbenfrohe, faszinierende
Performance.
  
Shirley Larible, Truppe Fantasy, Giang Brothers
Traumhaft
schön ist immer wieder die Kür an den Strapaten von Shirley Larible.
Vor einem Meer von Sternen zelebriert sie ihren kraftraubenden, aber
doch so leicht wirkenden Auftritt. Ohne die Hände zu verwenden, geht
sie vom Stand in den Spagat. Als besonderen Effekt trägt sie während
ihrer Nummer Schuhe mit Absätzen. Musikalisch begleitet wird sie durch
den Gesang ihres Vaters, der hier aber vom Band kommt. Gleich zehn
Personen bringt die Truppe Fantasy auf den vorderen Teil der Bühne.
Eine so große Schleuderbrett-Truppe in einem Varieté-Theater ist
zumindest in der heutigen Zeit eine Rarität. Bis zum Fünf-Personen-Hoch
mit Perchestange bauen die Rumänen ihre Türme. Auch sonst begeistern
sie mit anspruchsvollen Tricks, modernen Kostümen und viel Energie.
Hand-auf-Hand, Kopf-auf-Fuß, Kopf-auf-Kopf – alle Varianten beherrschen
die Giang Brothers in Perfektion. Am faszinierendsten ist das
Treppensteigen im Kopf-auf-Kopf. Das ungeheuer sympathische Bruderpaar
aus Vietnam absolviert diese Übung so sicher, als würde es sich ständig
so durchs Leben bewegen. Ein kürzlich aufgestellter Weltrekord
unterstreicht diese Vermutung.
  
Showgirls of Magic, Alejandro Vanegas, Trio Bellissimo
Für
ein noch größeres Staunen bedarf es schon „echter“ Magie. Bianca Farla
und die Showgirls of Magic sind mit ihren Großillusionen die passenden
Expertinnen dafür. Sie stecken sich gegenseitig in Kisten, durchbohren
sich, verschwinden und tauchen am Ende doch irgendwie wieder auf. Alles
Zauberei. Als Knalleffekt vor der Pause lassen sie scheinbar aus dem
Nichts ein Motorrad erscheinen. Alejandro Vanegas und sein Neffe
Michael gehören zur Spitzenklasse der Todesrad-Artisten. Kaum einer
dreht den Salto auf der Außenseite des rotierenden Rades mit solch
einer Leichtigkeit wie Alejandro Vanegas. Für Nervenkitzel ist während
ihres gesamten Auftritts gesorgt. Immer schneller dreht sich das Rad,
immer waghalsiger werden die Sprünge. Das Duo Vanegas begeistert auf
ganzer Linie und lässt das Publikum mitfiebern. Ein Auftritt von
Housh-Ma-Housh sowie das ausgelassene Spiel von Laura Urunova mit ihren
Hunden sorgen für die dringend benötigte Entspannung. Vor allen Dingen
Pudel sind es, die auf das Kommando der jungen Russin hören. Die
Vierbeiner balancieren auf den Hinterbeinen oder springen locker über
Hürden. Vom Stuttgarter Weltweihnachtscircus ging es für das Trio
Bellissimo weiter nach Bad Nauheim. Hier wie dort überzeugen die
blonden Ukrainerinnen mit ihrer Partnerakrobatik par excellence. Zur
spanischen Version von „All by myself“ arbeiten sie in flüssigen,
ruhigen Abläufen schwierigste Figuren. Höchste Körperbeherrschung und
ein ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl sind hier gefragt.
  
Kai Cao, Tony Farello, Encho Keryazov
Ein
hierzulande noch recht unbekanntes Gesicht ist Kai Cao. Er gehört der
China National Acrobatic Troupe an. Diese Mitgliedschaft weckt hohe
Erwartungen, die der junge Mann quasi spielend erfüllt. Virtuos
jongliert er mit weißen Bällen. Dies zumeist zum Boden. Bis zu neun
Bälle beherrscht er bei seinen Bouncing-Jonglagen gleichzeitig. Auch
das Treppensteigen während des Jonglierens sieht bei ihm ganz einfach
aus. Kai Cao verwöhnt uns mit spannenden neuen Eindrücken. Großes
Improvisationstalent war bei Ralf Lindner, alias Tony Farello gefragt.
Kurz vor dem Engagement beim Neujahrs-Varieté fiel seine Partnerin
Jacqueline Marschan verletzungsbedingt aus. So wurde aus der Duo-
kurzerhand eine Solonummer. Jetzt flitzt Tony Farello alleine auf dem
Einrad die Treppe hinauf und hinunter, fegt über die Bühne und lässt
sich von einem Trampolin in die Luft katapultieren. Jede Menge Energie
wird dabei freigesetzt. Höchstes Tempo und viel Humor sorgen für
ordentlich Stimmung, wenngleich die Unterstützung durch „Frau Schmidt
aus Radebeul“ natürlich fehlt. Tony Farello macht das Beste daraus und
bezieht sogar einen neuen Assistenten ein. Einem goldenem Muskelmann aus
Bulgarien gehört der große Auftritt vor dem Finale. Keine Frage, es
geht um Encho Keryazov. Seine kraftvollen Handstände lassen immer
wieder staunen. Er ist einer der Stars der Szene und gibt dem Programm,
das so viele Schlussnummern enthält, einen würdigen Abschluss.
Auf den schon spektakulären Klötzchentrick folgt der Einarmer auf einer
sehr hohen Stange.
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