Und
im angegliederten Hotel gibt es genug Zimmer für die Artisten. Diese
sind wiederum handverlesen und zumeist vielfach ausgezeichnet.
Natürlich ist der Zeitraum ideal gewählt. Nach den Weihnachtscircussen
und vor dem Beginn der Sommersaison ist das Angebot an Top Acts vergleichsweise
groß. Die stärkste Konkurrenz kommt da noch von den
Festivals wie denen in Monte Carlo, Budapest oder Massy.
Denn das Neujahrs-Varieté spielt durchaus in der gleichen
Liga. Auch 2016 erleben wir in Bad Nauheim wieder
Clown-Gewinner. Hinzu kommen weitere bekannte Artisten, ebenso
wie Gesichter, die man bislang noch nicht gesehen hat. Alles
in allem eine runde Show, die erst nach dreieinhalb Stunden
beendet ist.

Topas und die Vegas Show Girls
Sie
beginnt mit Schattenspielen hinter einem großen weißen Tuch, welches
über die gesamte Breite der Bühne geht. Es zeichnen sich die
Silhouetten der Vegas Show Girls ab, die nach einem Jahr Pause nun
wieder dabei sind. Als der Vorhang fällt, sehen wir sie in winterlichen
Kostümen. Was nicht heißt, dass die hübschen jungen Damen dick
angezogen sind – im Gegenteil. Es ist ein sehr geschmackvoller Auftakt,
der bestens in die Jahreszeit passt. Natürlich erleben wir das Ballett
noch in weiteren Auftritten. Diese sind immer hinreißend. Ebenso die
Kostüme, die sie dabei tragen. Der Moderator des Abends ist Thomas
Fröschle. Wie der Name vermuten lässt, ist er gebürtiger Schwabe. Mit
charmanten Plaudereien und Anekdoten führt er durchs Programm. Seine
Geschichten spielen etwa bei McDrive oder im Reisebüro. Gekonnt
spontan reagiert er, wenn sich die nächste Nummer bereits lautstark
hinter dem Vorhang ankündigt und somit keiner expliziten Vorstellung
mehr bedarf. Sein eigentliches Metier aber ist die Zauberei. Unter dem
Künstlernamen Topas ist er weithin bekannt und vielfach hochkarätig
ausgezeichnet worden. Auch hier kommen ihm seine Fähigkeiten als
Entertainer entgegen. Denn es geht nicht nur um den eigentlichen Trick,
sondern ebenfalls darum, wie er präsentiert wird. Seinen größten
Auftritt hat er, wenn er unzählige Lautsprecherboxen aus einem Karton
erscheinen lässt. Die Boxen werden nacheinander angeschlossen, der
Raumklang dadurch immer besser. Das Publikum hat seinen gesanglichen
Einsatz immer wieder an einer bestimmten Stelle des dazu gespielten
Songs, und am Ende erscheint Geraldine Philadelphia aus dem
vermeintlichen Nichts. In der Tat eine große Show.
  
Quiddlers, Duo Capilar, Daniel Golla
Die
Quiddlers haben eine ganz eigene Form der Puppen-Comedy kreiert. Sie
setzen ihre eigenen Köpfe ein, den Rest der jeweiligen Figur bildet
eine Puppe. Ihren Körper verstecken sie unter einem schwarzen Tuch.
Daraus ergibt sich ein höchst originelles Bild, welches sie für witzige
Choreographien nutzen. Zunächst erleben wir ein „Short Tribute“ an
Michael Jackson, Schimpanse Bubbles inklusive. Später zelebriert das
US-amerikanische Trio seine lebhafte Version von YMCA. Deutlich
ruhiger, sinnlicher geht es beim Duo Capilar zu. Wenngleich sie ihr
kubanisches Temperament nicht verhehlen, zeigen sie eine traumhafte
Zopfhang-Kür. Darin finden sich außergewöhnliche Tricks wie das Spiel
an Tüchern, welche an den Haaren der Partnerin befestigt sind. Immer
wieder ein ganz besonderes Erlebnis ist die Flugshow von Daniel Golla.
Schließlich ist seine Kunstfliegerei mit Modellflugzeugen nach wie vor
eine Rarität in Circusmanegen und auf Varietébühnen. Zu verschiedenen
Musikstücken steuert der Nordhesse seine selbstgebauten Flieger virtuos
durch den Zuschauerraum und schickt sie präzise durch vom Ballett
gehaltene Reifen.
  
Anaelle Molinario, Alain Alegria, Charly Borra
Unbekümmert,
frech ist die Darbietung von Anaelle Molinario. Zu Beginn und am Ende
wird die junge Französin dabei von Stefan Merour begleitet. In
Anzughose, Hemd und Krawatte hilft er Molinario dabei, ihren Körper in
die verschiedensten Richtungen zu verbiegen. Natürlich schafft sie das
scheinbar spielend auch ganz alleine, wie sie bei ihrer Kontorsions-Kür
beweist. Dank der großen Dimensionen des Bühnenraums kann Alain Alegria
seine Balancen auf dem Washington-Trapez ohne Einschränkungen zeigen.
Zunächst auf dem ruhenden, dann auf dem schwingenden Trapez beweist der
verwegene Mexikaner seinen großartigen Gleichgewichtssinn sowie eine
hohe Risikofreude. Seelöwen auf einer Varietébühne sind leider ein
seltenes Bild geworden. Umso schöner, in Bad Nauheim gleich vier
prächtige Exemplare erleben zu dürfen. Petra und Roland Duss haben
Chico, Charly, Tino und Joe fantastische Tricks beigebracht. Gegen
einen Fisch als Belohnung präsentieren sie diese mit sichtbar viel
Spaß. Natürlich ist auch der kleine Hund mit von der Partie bei dieser
grandiosen Tierdressur. Der große Auftritt vor der Pause gehört Charly
Borra. Und diesen zelebriert der „König der Taschendiebe“ regelrecht.
Bevor es ans Klauen geht, lässt er Zigarettenstummel aus dem Nichts
erscheinen. Mit den beim Rauchen entstehenden Qualmwölkchen zaubert er
faszinierende Gebilde. Komplett in seinem Element ist Borra aber, wenn
er Gästen aus dem Publikum fast alle Wertsachen entwenden kann, die sie
bei sich haben. Mit seinem österreichischen Charme unterhält er nicht
nur das Publikum bestens, sondern lenkt zudem seine „Bühnenpartner“ ab.
Smartphones, Uhren und Schlüssel wechseln so für kurze Zeit den
Besitzer. Sogar Krawatten und Brillen sind vor Charly Borra nicht
sicher.
  
Freddy Nock, Truppe Xinjiang, Leosvel & Diosmani
Verglichen
mit seinen abgefahrenen Rekorden ist die Nummer von Freddy Nock über
der Bühne des Dolce Theaters fast ein Kinderspiel. Für die Gäste auf
den bequemen Sesseln sind seine ungesicherten Eskapaden auf dem
Hochseil aber ein Nervenkitzel. Nock überquert den Draht nicht nur zu
Fuß, sondern ebenfalls mit dem Fahrrad oder auf Stelzen.
Reifenjonglagen und Hula Hoop-Akrobatik verbindet Geraldine
Philadelphia zu einer durchgehenden, sinnlichen Kür. Zur von ihren
Engagements bei Roncalli bekannten Musik arbeitet die junge Artistin
gewinnend ihre ausgefeilte Choreographie. Balancen mit der Schulter-
und Kopfperche sind die Spezialität der Truppe Shagunin. Das russische
Sextett verpackt die für die Untermänner kraftraubenden und für die
oben arbeitenden Artisten riskanten Tricks in ein tänzerisches
Gesamtbild. Beim Schlusstrick steht der Untermann auf einer Stange,
welche auf den Schultern zweier Partner ruht. Am anderen Ende der
Kopfperche zeigt der Obermann einen Kopfstand. Dass es in Peking neun
Millionen Fahrräder gibt, behauptet zumindest Katie Melua. Zu ihrem
Song „Nine Million Bycicles“ zaubern die neun Artistinnen der Truppe
Xinjiang traumhafte Bilder. Dank weißer Kostüme und roter
Handinnenflächen wird ihre Handstandakrobatik ein außergewöhnlicher Genuss. Sie bauen lebende Kunstwerke der Equilibristik. Völlig zu
Recht wurden sie dafür mit Silber beim Cirque de demain ausgezeichnet.
Der artistische Part des Programms endet wie er angefangen hat – mit
einem kubanischen Duo. Leosvel & Diosmani bilden den umjubelten
Höhepunkt der Show. Die Modellathleten erklimmen scheinbar mühelos
ihren Masten, drücken darauf Handstände und bewegen sich in coolen
Drehungen wieder nach unten. Beim einarmigen Handstand auf dem im
rechten Winkel vom Masten abgedrückten Oberkörper des Partners sind die
Bad Nauheimer dann endgültig aus dem Häuschen. |