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Neues Theater - Varieté-Herbst 2019
www.neues-theater.de - 90 Showfotos

Frankfurt-Höchst, 6. November 2019: Dieser Varieté-Herbst ist mit einem Einschnitt verbunden, der für das Publikum so noch nicht sichtbar ist. Denn die aktuelle Show wurde noch von Julius Zier zusammengestellt. Vor vier Jahren hat er die Produktion der Programme von seinem Vater Gerald Zier übernommen. Auf der Homepage des Neuen Theaters ist er allerdings aktuell nicht mehr geführt. Unter „Leitung Varieté“ wird nun Frank Rupprecht genannt. Warum es zu diesem Wechsel gekommen ist, darüber ist bei der Premiere nichts zu erfahren. Zumindest nichts Offizielles.

Frank Rupprecht gehört dem Team des Hauses schon seit längerer Zeit an. Wie seine Handschrift in Sachen Programmgestaltung aussieht, werden wir dann im Verlauf des kommenden Jahres sehen. Im November 2019 gibt es eben noch einmal eine Show mit von Julius Zier engagierten Artisten.


Veronika Teslenko, Teslenko Brothers

Ihm haben wir auch eine Neuerung zu verdanken, die den Gesamteindruck der Auftritte deutlich steigert. Seit Beginn der von Julius Zier verantworteten Varietéshows gibt es eine musikalische Livebegleitung der Darbietungen. Aus dem Ensemble, das zu Beginn und Ende der Programmteile gespielt hat, wurde ein Quartett, das immer dann musiziert, wenn Livemusik sinnvoll möglich ist. Die Tom Schlüter Band ist auch in der aktuellen Show dabei und macht einen wunderbaren Job. So wird die Kür an den Strapaten von Veronika Teslenko zu einem Hochgenuss. Grandiose Tricks, eine hübsche Artistin mit Ausstrahlung, fantastisches Licht und eben die hinreißenden Klänge der Musiker. Ein wahrer Rausch, der einen nach der Pause gefangen nimmt, berührt und fasziniert. Veronikas Ehemann Dmitry Teslenko und seinen Geschwistern Elina sowie Anatoly gehört die Schlussnummer. Die Teslenko Brothers haben im vergangenen Herbst zu fünft bei der Grand Fete Lilloise du Cirque mit faszinierenden Jonglagen unter dem hohen Chapiteau begeistert. Können sie diesen Wirbel auch unter der deutlich niedrigeren Bühnendecke des Neuen Theaters entfachen? Sie können. Und wie. Im Trio lassen sie große Ringe, Reifen und Keulen in den verschiedensten Variationen virtuos durch die Luft fliegen. Es entstehen wunderbare Bilder voller Dynamik. Am Ende fängt einer der Artisten Reifen auf, die ihm immer schneller von seinen Partnern zugeworfen werden.


Guy Waeren-Burgh, Evgenii und Valentina Shulenin, Onni Toivonen

Zwischen den Auftritten der Teslenkos erleben wir Guy Waeren-Burgh. Besonderes Merkmal seiner Tellerjonglagen: er trägt dabei zunächst zwei Eimer übereinander auf dem Kopf. Einen der beiden verwendet er während seines Auftritts, um Scherben darin zu sammeln. Grundsätzlich ist dieses Tellerdrehen mit Handicap eine witzige und vermutlich auch recht anspruchsvolle Angelegenheit. Zahlen an den einzelnen Stäben soll das Publikum offenbar dazu animieren, Waeren-Burgh die Stab-Teller-Kombination zuzurufen, die gerade kurz vor dem Absturz steht. Das geschieht bei der Premiere eher verhalten. Mithin gibt es reichlich zerbrochenes Porzellan, was denn wohl auch so gewollt ist. Für die ganz große Erheiterung sorgt die Nummer damit nicht. Und dies ist der einzige wirklich komisch angelegte Auftritt der Show. Die ersten beiden Darbietungen bieten einen schönen Kontrast zwischen traditioneller und moderner Aufmachung. Den Auftakt machen Evgenii und Valentina Shulenin. In historischen Kostümen arbeiten sie an der Ringperche. Das Duo aus Moskau präsentiert elegant gewagte Balancen, bei denen Evgenii seine Partnerin auf der Stirn balanciert, während Valentina im Ring akrobatische Posen zeigt. Zu moderner (Live-)Musik lässt Onni Toivonen Stäbe durch die Luft fliegen. Der blonde Finne war bereits im März 2018 im Neuen Theater. Damals jonglierte er in einer innovativen, leicht skurrilen Choreographie mit Keulen. Seine jetzt gezeigte Nummer gefällt mir sogar noch ein wenig besser. Sie ist voller Dynamik und neuartiger Abläufe. Bis zu fünf Stäbe jongliert er gleichzeitig. Mit drei davon führt er spannende Touren vor. Oder aber er balanciert einen auf der Stirn. Insofern war es eine wirklich gute Idee, ihn erneut nach Höchst einzuladen.


Shcherbak & Popov, Miles Pitwell

Bereits ihr drittes Engagement innerhalb der letzten vier Jahre an diesem Ort haben Shcherbak und Popov. Einmal mehr begeistern die beiden Ausnahme-Könner mit ihrer Partner-Equilibristik zu „Singing in the rain“, mit der sie 2013 in Monte Carlo Gold gewonnen haben. Anspruchsvollste Figuren werden von den beiden spielerisch leicht dargeboten. Miles Pitwell schließlich ist unser magischer Begleiter durch den Abend. Bei Illusionen kommt es nicht nur auf die Tricks an sich, sondern ebenfalls auf die Verpackung an. Pitwell präsentiert sich als „Professor of Magic“. Seine im Grundprinzip bekannten Zaubereien führt er uns als geheimnisvoller Professor mit abstehenden Haaren und gleich zwei Brillen auf der Nase vor. Er verkettet beispielsweise Ringe ineinander oder zerreißt ein Notenblatt, um es am Ende wieder als Ganzes vorzuzeigen. Am spektakulärsten ist die Befreiung aus einer Zwangsjacke, die ihm von Sergii Popov und Nikolay Shcherback angelegt wird. Das alles in einer mystischen Lichtstimmung, gerne mit Bühnennebel unterlegt. Durch diese Aufmachung ist der Kontakt zum Publikum nicht so leicht herzustellen wie etwa bei einem Comedian. Es bleibt den Abend über bei einer gewissen Distanz zwischen Künstler und Zuschauern. Auch sind Pitwells Auftritte, nach denen er die folgenden Artisten ankündigt, vergleichsweise kurz. Insgesamt dauert diese Show mit zweimal rund 40 Minuten Nettospielzeit nicht allzu lange. Dafür ist sie kurzweilig bis hin zum originell gestalteten Finale, Großillusionen und Jonglagen inklusive.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch