Der
zweieinhalbstündige Abend im gemütlichen Theater vergeht wie im Flug.
Zusammengehalten wird das aktuelle Herbst-Varieté von Thomas Otto. Otto
ist Entertainer und Zauberkünstler gleichermaßen. Beide dieser
Facetten seines Künstlerberufs beherrscht er exzellent, lässt sie
miteinander verschmelzen.

Thomas Otto
Zaubernde
Conferenciers gab es in Höchst schon oft. Die Kunststücke von Thomas
Otto verblüffen aber noch einmal mehr. Faszinierend, wie er einen 100-Dollar-Schein verschwinden und dann auf schier unglaubliche Wiese
wieder erscheinen lässt. Unfassbar, wie er Unmengen von Salz aus seiner
Hand rieseln lässt. Wozu das führt, erleben die Zuschauer nach der
Pause. Den Salzberg darf der Magier höchstpersönlich aufkehren. Noch an
einer anderen Stelle nimmt er - im wahrsten Sinne des Wortes -
den einmal gesponnenen Faden wieder auf. Eine Geschichte, die Otto
zuvor beiläufig erzählt hat, wird ein origineller Teil des Finales. Die
Moderationen, die seine Illusionen begleiten, sind immer höchst
amüsant. Das Publikum wird des öfteren einbezogen. Sei es im
Zuschauerraum oder auf der Bühne. Nie aber werden die Gäste vorgeführt.
Immer haben die Mitwirkenden auf Zeit Spaß bei ihren Auftritten. Thomas
Otto bekommt in dieser Produktion sehr viel Raum. Vielleicht ein wenig
zu viel. Was nicht heißt, dass er langweilt – im Gegenteil. Aber im
Verhältnis zu den Auftritten der weiteren Artisten ist er recht oft
präsent. Ein rein quantitatives Thema. Denn er spielt sich nie in den
Vordergrund. Otto nimmt sich ausgiebig Zeit, seine Künstlerkollegen
anzukündigen. Immer gibt es eine individuelle Vorstellung. Im Fall von
Andrey Katkov sogar eine eigene Geschichte, die den Auftritt des
Equilibristen stimmungsvoll einleitet.
  
Jonas Slanzi, Herr Kasimir, Serge Huercio
Los
geht es aber mit dem Duo E1NZ. Die Artisten aus der Schweiz
präsentieren eine äußerst originelle Darbietung, die letztendlich zwei
Disziplinen beinhaltet. Zunächst jonglieren Esther und Jonas Slanzi mit
Champagnerflaschen, die sie sich auf einem angekippten Tisch zuschieben
und -werfen. Dabei agieren sie sehr sympathisch. Auf den gleichen
Requisiten zeigt Jonas dann einen Flaschenlauf. Das ist nur ein
Ausschnitt aus ihrem Repertoire, ergibt aber eine rundum gelungene
Auftaktnummer des Herbst-Varietés. Es folgt der erste größere von
mehreren Auftritten des Herrn Kasimir. In klassischem, nicht ganz
korrekt sitzendem Outfit, hat der Komiker uns bereits mit einer großen
Glocke begrüßt. Den Hasentrick interpretiert er mit einem flauschigen
Langohr auf seine eigene Weise. Er jongliert mit Hut, Stock und Ball
oder spielt auf zwei Blockflöten gleichzeitig. Mit der Nase
wohlgemerkt. Zudem ist er der kongeniale Bühnenpartner von Thomas Otto.
Kasimir assistiert nicht nur auf witzige Weise, sondern scheint manches
Kunststück erst möglich zu machen. Das Outfit von Serge Huercio ist
genauso klassisch wie sein Auftrittsstil. Mit fröhlicher Miene dreht
der Franzose seine Runden auf einem Fahrrad. Dies tut er in immer
wieder neuen Varianten: vorwärts, rückwärts, auf einem und auf zwei
Rädern. Einfach virtuos. „Kurz und gut sind die Jonglagen von Alexander
Koblykov. Als schwankender Seemann wirft er unzählige Bälle in die Luft
und fängt sie wieder auf. Dies tut der junge Ukrainer in einem
atemberaubenden Tempo und so perfekt, dass keines der weißen Requisiten
zu Boden fällt.“ Das schrieb ich 2013 über Andrey Koblikovs Auftritt
beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo. Damals gewann er
einen Silbernen Clown. So wie er die Jury im großen Chapiteau von
Fontvieille überzeugt hat, begeistert er jetzt das Publikum im Neuen
Theater.
  
Andrey Katkov, Charlotte & Emma, Claudius Specht
Nach
der Pause begibt sich Andrey Katkov hinter Gitter. In einem Käfig
zelebriert der Russe seine Equilibristikkür. Das ausdrucksstarke Spiel
wird durch das wunderbare Lichtdesign von Philipp Zier genial
unterstützt. Es ist eine kleine Symphonie in Weiß und Rot. Im
Mittelpunkt stehen aber natürlich die kraftvollen und doch so leicht
aussehenden Handstandvariationen von Katkov. Charlotte de Bretèque und
Emma Laule waren beide erfolgreiche Teilnehmerinnen des European Youth
Circus. De Bretèque gewann 2012 mit einer anderen Partnerin in
Wiesbaden den Publikumspreis, Laule 2016 im Solo Silber. Ihre jeweilige
Disziplin war schon damals das Vertikalseil. Seit rund drei Jahren
arbeiten die beiden jungen Damen daran eine gemeinsame Nummer. Das
französisch-deutsche Duo erinnert in seiner kecken Art ein wenig an das
Trapez-Duo Passe Pieds. Immer mal wieder „zicken“ sie sich gegenseitig
an. Das natürlich gewollt und durchaus charmant. Ihre Tricks sind vom
Feinsten und zum Teil nicht ungefährlich. Die sympathischen Artistinnen
servieren somit einen wirklichen Hingucker. Für Livemusik sorgt die Tom-Schlüter-Band. Das Quartett begleitet uns durch den ganzen Abend. Beim
Auftritt von Claudius Specht spielen sich die Musiker in einen wahren
Rausch. Und so wird der letzte Auftritt des Abends ein Hochgenuss. Der
gebürtige Basler ist nicht nur ein genialer Jongleur, sondern ebenfalls
ein großartiger Showman. Letzteres auf eine ungemein sympathische,
bodenständige Art ohne billige Effekthascherei. Er muss nicht um
Applaus buhlen. Dieser fliegt ihm nur so entgegen. Ungeheuer mitreißend und anspruchsvoll jongliert er mit Keulen. Faszinierend ist
zudem sein Spiel mit silbernen Bechern, die er in die Luft wirft und
dann alle mit dem untersten wieder auffängt. Claudius Specht setzt den
fulminanten Schlusspunkt hinter diesen Varieté-Herbst 2017. In
Wirklichkeit aber ist es ein dickes Ausrufezeichen. Den Epilog bildet
das wie immer sehr originell gestaltete Finale.
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