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Frankfurt-Höchst,
10.
November 2016: Ein kurzes musikalisches Intro von der Tom Schlüter
Band, die Begrüßung durch unseren Gastgeber Marcel Kösling, und schon
steht die erste Nummer auf der Bühne. Dieser Abend beim Varieté-Herbst
2016 erscheint noch etwas kurzweiliger, ja flotter als die letzten
Shows im Neuen Theater. Trotzdem fehlt nichts. Im Gegenteil. Es ist
alles dabei, was zu einem abwechslungsreichen Programm gehört. Obwohl
gleich dreimal jongliert wird, ist für unterhaltsame Vielfalt gesorgt.
Die einzelnen Darbietungen – sieben an der Zahl – haben alle ihren
eigenen Stil.
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So
kommt keine Gleichförmigkeit auf. Langeweile schon gar nicht. Bleiben
wir doch gleich bei den Jongleuren. Dass Kerol ein solcher ist, stellt
sich erst recht spät heraus. Der Spanier im dunklen Rock erscheint im
Zuschauerraum und klettert mit Hilfe des Publikums über die Sitzreihen
Richtung Bühne. Ohne Scheu, aber mit ureigenen Charme, bahnt er sich
den Weg. Die akustische Begleitung seiner Nummer übernimmt er selbst.
Denn nebenbei ist der Silbermedaillengewinner vom Cirque de demain
Beatboxer. Die Geräusche, die er virtuos kreiert, steigern die komische
Wirkung ungemein. Aber auch artistisch ist Kerol über jeden Zweifel
erhaben. Seine Touren sind ungewöhnlich, höchst kreativ und
anspruchsvoll.
  
Kerol, Pavel Roujilo, Vanessa Lee
Übertroffen
wird er nur noch von Pavel Roujilo. Bis zu neun weiße Bälle jongliert
der ebenfalls in Paris ausgezeichnete Russe gleichzeitig. Die Jonglage
steht bei seiner Choreographie „Dangerous Minds“ ganz klar im
Vordergrund. Was nicht heißt, dass nicht auch Roujilo Wert auf
Präsentation legt. Seine technisch perfekten, kreativen Jonglagen und
sein eher in sich gekehrter Auftrittsstil ergeben ein phänomenales
Gesamterlebnis. Die Arme und Beine zum Jonglieren verwendet Vanessa
Lee. Damit hält sie Hüte in der Luft. Dank dieser originellen
Kombination bildet sie das Plakatmotiv des Herbst-Varietés. Was auf dem
Papier nicht rüberkommt, wirkt dafür umso mehr auf der Bühne: Sie
kombiniert die Jonglagen mit Tanz und Akrobatik. So sorgt sie für
ordentlich Schwung nach der Pause.
  
Vanessa Lee, Tuk & Sofie, Richardo
Bereits
im ersten Teil dürfen wir die junge Berlinerin am Trapez erleben. Hier
gefällt sie mir noch ein wenig besser. Ihre Figuren am ruhenden Trapez
sind neuartig, eigenständig. Wer meint, an diesem Requisit schon alles
gesehen zu haben, wird von Vanessa Lee eines Besseren belehrt.
Wenngleich das Trapez nicht weit schwingt, präsentiert sie uns eine
äußerst lebhafte Kür. Nicht zuletzt die zahlreichen Umschwünge sorgen
für ordentlich Bewegung. Bei der musikalischen Unterstützung darf sie
nicht nur auf die Tom Schlüter Band zählen. Kollegin Sofie singt
wunderbar dazu. Dafür verzichtet sie bei ihrem eigenen Auftritt ganz
auf Musik. Gemeinsam mit Partner Tuk zeigt sie sehr starke
Hand-auf-Hand-Akrobatik. Wobei sich das Adjektiv „stark“ sowohl auf die
artistische Leistung als auch auf ihren Ausdruck bezieht. Das zunächst
so ungleiche und doch so gut harmonierende Paar wirbt umeinander, um am
Ende zueinander zu finden. Dabei kommen die Dänen mit nur wenigen Tönen
aus. Mimik und Körpersprache sagen genug. Die Figuren des Genres
Hand-auf-Hand gelingen auf zwei Armen genauso souverän wie auf
einem. Ebenso die gewagten Flugelemente von Sofie, die Tuk sicher
fängt. Aus dem Nachbarland Schweden stammt Richardo (Ljungman). Er
beherrscht die faszinierende Kunst der Glasbalance. Auf einem Mundstab
hält er ein Weinglas im Gleichgewicht, welches auf einem Luftballon
ruht. Richardo zersticht den Ballon, und schon steht das Glas sicher auf
dem Stab. Nach einem Trick mit Golfschlägern wird wieder mit dem Mund
balanciert. Diesmal hat er einen Geigenbogen im Mund. Darauf setzt er
filigran einen roten Ball und Gläser in drei Etagen. Als ob dies nicht
genügt, spielt er mit Bogen und zugehöriger Geige ein Lied. Das
Publikum kommt aus dem Staunen nicht heraus.
  Duo Leya, Marcel Kösling
Lasziv-erotisch
geht es bei der Doppel-Kontorsion des Duo Leya zu. Yana Kapusta und
Elena Oleynichyuk wurden an der „Academy for Circus und Variety Acts of
Kiev“ ausgebildet. Ihre faszinierenden Körperverbiegungen haben sie als
Liebesspiel angelegt. Die eindrucksvollen Figuren bekommen so eine
besondere, verruchte Note. Um da einen kühlen Kopf zu bewahren, braucht
es schon einen jungen Kerl aus dem hohen Norden. Marcel Kösling ist ein
echter „Hamburger Jung“, der dankenswerterweise mit seinem
hanseatischen Zungenschlag nicht weiter kokettiert. Das hat der
Neu-Dreißiger auch gar nicht nötig. Seine Geschichten sind zumeist –
mehr oder weniger – „biografisch“ angelegt. Als Kind, so berichtet er,
musste man für Geld nicht arbeiten. Für die Besuche auf dem Hamburger
Dom gab es stets Geld von den Verwandten. Auf diesem Volksfest spielt
auch eine seiner Geschichten. Herrlich gelangweilt gibt er die
osteuropäische Schaubuden-Schönheit Danuta, die mit bewundernswertem
Desinteresse die Attraktionen ankündigt. Dank Köslings magischen
Fähigkeiten erscheinen mit Unterstützung einer Zuschauerin etliche
Tücher aus einem Beutel. Kleine Illusionen zeigt er außerdem mit einer
brennenden Brieftasche und einem Geldschein. Immer witzig verpackt mit
einer kleinen Anekdote. Einen Holztisch etwa lässt er im Stil von David
Copperfield schweben, den er in seiner Jugend verehrt hat. Sein mit der
Gitarre begleitetes Lied handelt vom Kleidungskauf und Dingen, die
dabei so passieren. Zum Finale lässt er weiße Papierschnipsel fliegen.
Das winterlich anmutende Bild wird vom Lichtdesign bestens unterstützt.
So wie die gesamte Vorstellung. Ein Lob auch an die Bühnencrew für die
flotten Umbauten. Last not least sei hier noch einmal die Tom Schlüter
Band genannt, die jetzt zum zweiten mit dabei ist und den
Gesamteindruck enorm steigert.
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