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Neues Theater - Varieté-Herbst 2016
www.neues-theater.de - 65 Showfotos

Frankfurt-Höchst, 10. November 2016: Ein kurzes musikalisches Intro von der Tom Schlüter Band, die Begrüßung durch unseren Gastgeber Marcel Kösling, und schon steht die erste Nummer auf der Bühne. Dieser Abend beim Varieté-Herbst 2016 erscheint noch etwas kurzweiliger, ja flotter als die letzten Shows im Neuen Theater. Trotzdem fehlt nichts. Im Gegenteil. Es ist alles dabei, was zu einem abwechslungsreichen Programm gehört. Obwohl gleich dreimal jongliert wird, ist für unterhaltsame Vielfalt gesorgt. Die einzelnen Darbietungen – sieben an der Zahl – haben alle ihren eigenen Stil.

So kommt keine Gleichförmigkeit auf. Langeweile schon gar nicht. Bleiben wir doch gleich bei den Jongleuren. Dass Kerol ein solcher ist, stellt sich erst recht spät heraus. Der Spanier im dunklen Rock erscheint im Zuschauerraum und klettert mit Hilfe des Publikums über die Sitzreihen Richtung Bühne. Ohne Scheu, aber mit ureigenen Charme, bahnt er sich den Weg. Die akustische Begleitung seiner Nummer übernimmt er selbst. Denn nebenbei ist der Silbermedaillengewinner vom Cirque de demain Beatboxer. Die Geräusche, die er virtuos kreiert, steigern die komische Wirkung ungemein. Aber auch artistisch ist Kerol über jeden Zweifel erhaben. Seine Touren sind ungewöhnlich, höchst kreativ und anspruchsvoll.


Kerol, Pavel Roujilo, Vanessa Lee

Übertroffen wird er nur noch von Pavel Roujilo. Bis zu neun weiße Bälle jongliert der ebenfalls in Paris ausgezeichnete Russe gleichzeitig. Die Jonglage steht bei seiner Choreographie „Dangerous Minds“ ganz klar im Vordergrund. Was nicht heißt, dass nicht auch Roujilo Wert auf Präsentation legt. Seine technisch perfekten, kreativen Jonglagen und sein eher in sich gekehrter Auftrittsstil ergeben ein phänomenales Gesamterlebnis. Die Arme und Beine zum Jonglieren verwendet Vanessa Lee. Damit hält sie Hüte in der Luft. Dank dieser originellen Kombination bildet sie das Plakatmotiv des Herbst-Varietés. Was auf dem Papier nicht rüberkommt, wirkt dafür umso mehr auf der Bühne: Sie kombiniert die Jonglagen mit Tanz und Akrobatik. So sorgt sie für ordentlich Schwung nach der Pause.


Vanessa Lee, Tuk & Sofie, Richardo

Bereits im ersten Teil dürfen wir die junge Berlinerin am Trapez erleben. Hier gefällt sie mir noch ein wenig besser. Ihre Figuren am ruhenden Trapez sind neuartig, eigenständig. Wer meint, an diesem Requisit schon alles gesehen zu haben, wird von Vanessa Lee eines Besseren belehrt. Wenngleich das Trapez nicht weit schwingt, präsentiert sie uns eine äußerst lebhafte Kür. Nicht zuletzt die zahlreichen Umschwünge sorgen für ordentlich Bewegung. Bei der musikalischen Unterstützung darf sie nicht nur auf die Tom Schlüter Band zählen. Kollegin Sofie singt wunderbar dazu. Dafür verzichtet sie bei ihrem eigenen Auftritt ganz auf Musik. Gemeinsam mit Partner Tuk zeigt sie sehr starke Hand-auf-Hand-Akrobatik. Wobei sich das Adjektiv „stark“ sowohl auf die artistische Leistung als auch auf ihren Ausdruck bezieht. Das zunächst so ungleiche und doch so gut harmonierende Paar wirbt umeinander, um am Ende zueinander zu finden. Dabei kommen die Dänen mit nur wenigen Tönen aus. Mimik und Körpersprache sagen genug. Die Figuren des Genres Hand-auf-Hand gelingen auf zwei Armen genauso souverän wie auf einem. Ebenso die gewagten Flugelemente von Sofie, die Tuk sicher fängt. Aus dem Nachbarland Schweden stammt Richardo (Ljungman). Er beherrscht die faszinierende Kunst der Glasbalance. Auf einem Mundstab hält er ein Weinglas im Gleichgewicht, welches auf einem Luftballon ruht. Richardo zersticht den Ballon, und schon steht das Glas sicher auf dem Stab. Nach einem Trick mit Golfschlägern wird wieder mit dem Mund balanciert. Diesmal hat er einen Geigenbogen im Mund. Darauf setzt er filigran einen roten Ball und Gläser in drei Etagen. Als ob dies nicht genügt, spielt er mit Bogen und zugehöriger Geige ein Lied. Das Publikum kommt aus dem Staunen nicht heraus.


Duo Leya, Marcel Kösling

Lasziv-erotisch geht es bei der Doppel-Kontorsion des Duo Leya zu. Yana Kapusta und Elena Oleynichyuk wurden an der „Academy for Circus und Variety Acts of Kiev“ ausgebildet. Ihre faszinierenden Körperverbiegungen haben sie als Liebesspiel angelegt. Die eindrucksvollen Figuren bekommen so eine besondere, verruchte Note. Um da einen kühlen Kopf zu bewahren, braucht es schon einen jungen Kerl aus dem hohen Norden. Marcel Kösling ist ein echter „Hamburger Jung“, der dankenswerterweise mit seinem hanseatischen Zungenschlag nicht weiter kokettiert. Das hat der Neu-Dreißiger auch gar nicht nötig. Seine Geschichten sind zumeist – mehr oder weniger – „biografisch“ angelegt. Als Kind, so berichtet er, musste man für Geld nicht arbeiten. Für die Besuche auf dem Hamburger Dom gab es stets Geld von den Verwandten. Auf diesem Volksfest spielt auch eine seiner Geschichten. Herrlich gelangweilt gibt er die osteuropäische Schaubuden-Schönheit Danuta, die mit bewundernswertem Desinteresse die Attraktionen ankündigt. Dank Köslings magischen Fähigkeiten erscheinen mit Unterstützung einer Zuschauerin etliche Tücher aus einem Beutel. Kleine Illusionen zeigt er außerdem mit einer brennenden Brieftasche und einem Geldschein. Immer witzig verpackt mit einer kleinen Anekdote. Einen Holztisch etwa lässt er im Stil von David Copperfield schweben, den er in seiner Jugend verehrt hat. Sein mit der Gitarre begleitetes Lied handelt vom Kleidungskauf und Dingen, die dabei so passieren. Zum Finale lässt er weiße Papierschnipsel fliegen. Das winterlich anmutende Bild wird vom Lichtdesign bestens unterstützt. So wie die gesamte Vorstellung. Ein Lob auch an die Bühnencrew für die flotten Umbauten. Last not least sei hier noch einmal die Tom Schlüter Band genannt, die jetzt zum zweiten mit dabei ist und den Gesamteindruck enorm steigert.

Somit gerät dieser Varieté-Herbst 2016 zu einer rundum gelungenen Unterhaltung. Bunt und abwechslungsreich ist er, voller neuer Gesichter. Wir erleben junge Artisten, die voller Enthusiasmus bei der Sache sind. Das gilt natürlich ebenso für Julius Zier. Der Produzent hat auch mit seiner dritten Show im Neuen Theater viel Geschick beweisen. Bei der Zusammenstellung ebenso wie bei der Inszenierung.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch