Er
ist der langjährige Vorsitzende des „Bund für Volksbildung Frankfurt am
Main-Höchst e.V.“, der dieses Theater betreibt. Selbst Zauberer „im
Nebenberuf“, hob er vor 28 Jahren das Varieté aus der Taufe. „Wir waren
die ersten in Deutschland“, berichtet Zier in einem Zeitungsinterview.
Nur das Hansa-Theater in Hamburg habe es damals schon gegeben. Die
Leidenschaft wurde ihm offenbar in die Wiege gelegt, arbeitete sein
Vater doch als Kellner im Stuttgarter Friedrichsbau. In den
Anfangsjahren wurde in Höchst immer an den Wochenenden gespielt. Die
Artisten kamen aus allen Himmelsrichtungen angereist, um ihre Künste zu
zeigen und dann für den Rest der Woche wieder zu entschwinden. Genauso
alt wie das Varieté im Neuen Theater sind auch die Söhne von Gerald
Zier und seiner Frau. Einer der beiden hat mit diesem Herbst-Varieté
die Produktion der Shows vom Vater übernommen. Und so steht Julius
Zier, selbst Zauberer, zu Beginn der Premiere vor dem roten Vorhang und
begrüßt das Publikum im komplett gefüllten Saal. So wird diese Premiere
zu einer doppelten. Der blonde junge Mann macht seine Sache
überzeugend. Die Sympathien des Publikums hat er ohnehin, sitzen doch
viele Stammgäste im Zuschauerraum. Nicht nur die Einleitung in den
Abend gelingt bestens. Auch sein erstes eigenes Programm hat der
28-jährige wunderbar zusammengestellt. Was keinesfalls einfach ist,
denn wir erleben in Monte Carlo mit Gold prämierte Stars aus der Ukraine
genauso wie den Nachwuchsartisten aus dem benachbarten Dreieich. Einige
der Darbietungen sind durchaus „speziell“. Es wird nicht einfach
jongliert oder mit Hula Hoop-Reifen gearbeitet. Die Auftritte beinhalten
eigenwillige Interpretationen der jeweiligen Genres.
  
Anastasia Mazur, Matze Rapido, Marianna de Sanctis
Vergleichsweise
einfach macht es uns da noch Anastasia Mazur. Ihre Kontorsions-Kür ist
trickstark und wird harmonisch zelebriert. Ruhig zeigt die beim „Cirque
de demain“ ausgezeichnete Ukrainerin, wie ästhetisch es sein kann,
seinen Körper in ungewöhnlichster Weise zu verbiegen. Wunderbar
unterstützt wird die Wirkung durch das effiziente Lichtdesign. Matze Rapido hat seine Diabolos bestens im Griff. Der hochgewachsene junge
Mann aus dem Rhein-Main-Gebiet schickt die kleinen Spulen auf die
unglaublichsten Bahnen – und die Handstäbe samt Schnur gleich mit. Bis
zu drei Diabolos jongliert er gleichzeitig. Noch agiert er etwas
zurückhaltend, wenngleich sehr sympathisch. Seine Bühnenpräsenz wird er
mit zunehmender Erfahrung ausbauen. Schön, dass er im Neuen Theater die
Möglichkeit dazu bekommt. Den Auftritt von Marianna de Sanctis zu
beschreiben, stellt schon eine größere Herausforderung dar. Mit „Hula
Hoop Exzentrik“ unternimmt das Programmheft einen Versuch, der dem
Ganzen recht nahe kommen dürfte. Als grantelnde Störenfriedin im
Publikum betritt sie die Szenerie. Auf der Bühne angekommen, legt sie
mit ihrem langen Haar eine bemerkenswerte Performance hin. Ihre Haare
nutzt sie etwa dazu, einen Reifen mit einem Zopf in Schwung zu halten.
Dann balanciert sie ihr Requisit auf der Stirn, steckt es unter den
Rock oder wirbelt es um ihren Körper. Marianna de Sanctis agiert dabei
sehr ausdrucksstark, ihr Stil ist äußerst eigenwillig.
   Anastasia Makeeva, Florent Lestage, Passe Pieds
Anastasia
Makeeva füllt mit ihrer Luftakrobatik an geflochtenen Tüchern spielend
den Raum unter den großen Chapiteaus. Monte Carlo, Weltweihnachtscircus
und Knie waren einige ihrer letzten Stationen. In Frankfurt nun hat
sie deutlich weniger Platz. Die Bühne ist zwar recht hoch, aber eben
nicht mit den Dimensionen einer Zeltkuppel vergleichbar. Anastasia Makeeva hat sich intensiv auf die besondere Situation vorbereitet und
meistert sie bravourös. Ich zumindest habe keinen ihrer teilweise
riskanten Tricks vermisst. Hinzu kommt eine intime Form der
Präsentation. Im roten kurzen Kleid mit weißem Pelzkragen betritt sie
die Bühne, um dann zu einem französischen Chanson ihre Nummer zu
arbeiten. Mit Frankreich geht es auch nach der Pause weiter. Dieses
Land ist die Heimat von Florent Lestage. Er ist wieder einer dieser
„speziellen“ Fälle. Ihn einfach als Jongleur zu bezeichnen ist zwar
nicht falsch, wird seinem Auftritt aber nicht annähernd gerecht.
Der Silbermedaillengewinner beim „Cirque de demain“ kommt mit Mantel,
Zeitung und Stock auf die Bühne. Zeitung und Mantel legt er bald
beiseite, den Spazierstock integriert er in seine Keulenjonglagen. Er
wirft seine Requisiten in die Luft, um sie wieder aufzufangen,
balanciert sie auf verschiedenen Körperteilen und lässt die
Keulen mithilfe des Stocks scheinbar fliegen. Eine ausgefeilte
Choreographie, die aus dem Rahmen des Üblichen fällt. Nicht alltäglich
ist ebenfalls die Nummer am Trapez von Passe Pieds. Am European Youth
Circus 2012 nahmen sie erfolgreich teil. Damals wie heute begeistert
das belgisch-deutsche Duo mit witzig kommentierten Eskapaden in der
Luft. Die beiden Frauen beschreiben verbal, was sie da gerade tun und
schrecken vor kleinen gegenseitigen Gemeinheiten nicht zurück. Ihre
lockere, sympathische Art ist ungeheuer erfrischend, ihre Haltefiguren
und Voltigen beweisen das hohe artistische Können.
   Julius Zier, Shcherbak & Popov, Bert Rex
Auf
die zwei jungen Damen folgen zwei junge Herren. (Nikolay) Shcherbak
& (Sergii) Popov scheren sich nicht um den Regen. Vielmehr tanzen
die beiden Modellathleten in Latzhosen darin. „Dancing in the rain“
dient als musikalische Untermalung für ihre enorm starke
Handstandakrobatik, mit der sie in Monte Carlo einen „Goldenen Clown“
gewannen. Scheinbar unbekümmert zeigen sie schwierigste Figuren, die
einfach nur Staunen lassen. Bereits im Frühjahr 2014 haben sie im Neuen
Theater begeistert, jetzt tun sie es wieder. Keine leichte Aufgabe hat
Bert Rex. Er darf als Conferencier dieses facettenreiche Programm
zusammenhalten. Das macht der nüchtern aussehende Thüringer ganz
vortrefflich. Korrekt gekleidet im dunklen Frack mit bei fast
jedem Auftritt wechselnden farbigen Accessoires, ist er unser
zuverlässiger Begleiter durch die Show. Das Äußere täuscht natürlich,
denn Bert Rex hat es faustdick hinter den Ohren. Humorvoll und zaubernd
hat er das Publikum fest im Griff. Berührungsängste gibt es dabei
nicht. Wer mag – oder ganz sanft dazu gebeten wird – darf ihn auf der
Bühne bei seinen magischen Kabinettstückchen unterstützen. Seine
Plaudereien sind allesamt wirklich witzig und unterhalten bestens. Das
Timing beherrscht er schon bei der Premiere traumwandlerisch. Und sein
großes Versprechen zum Finale hält er ebenfalls ein. Wenngleich etwas
anders, als es wohl die meisten Zuschauer erwartet hätten. Hinreißend,
das sei hier noch erwähnt, ist das Vorführen von Zaubertricks in
Zeitlupe. Arbeiten alle Nummern zur Konserve, wird auf Livemusiker
dennoch nicht verzichtet. Die NTH Combo unterhält jeweils zu Beginn der
beiden Programmteile mit im besten Sinne des Wortes „hausgemachter
Musik“, vornehmlich Jazz. Zudem ist das Quartett für die
Begleitung des kreativen Finales verantwortlich. |