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Friedrichsbau - "Next Level Burlesque"
www.friedrichsbau.de - 99 Showfotos

Stuttgart, 9. Oktober 2019: Ein kleines Jubiläum: Zum fünften Mal seit 2008 stellt das Friedrichsbau-Varieté in einer seiner Produktionen die Burlesque in den Mittelpunkt – den kunstvollen Schönheitstanz, bei dem die letzten Hüllen niemals fallen. Seit „Miss Evi’s Company“ vor zwölf Jahren hat sich das Genre zu einer Spezialität des Hauses entwickelt. Damals wie heute gibt Max Nix den Zeremonienmeister. Er ist einer der Publikumslieblinge in Stuttgart. Zwischen 2007 und 2016 prägte er acht Programme, immer an der Seite seines Bühnenpartners Willi Widder Nix.

Doch die Zeit ist nicht stehen geblieben. Max und Willi, das kongeniale Musikcomedy-Duo, hat sich getrennt – und Max Nix eigentlich den Ruhestand angetreten. Den er nun aus Verbundenheit zum Friedrichsbau unterbricht. Wir waren gespannt: Funktioniert Max auch ohne Willi? Der gesprächige Part des Duos ohne seinen schweigsamen Kompagnon? Schon nach wenigen Augenblicken ist klar: Ja, das tut er.


Max Nix 

Im Opening erleben wir das gesamte Ensemble in einem Tanz. Abwechselnd werden einzelne Akteure im Lichtkegel herausgestellt. Mittendrin Max Nix im farbenfrohen Outfit. Dieses wird ihm entrissen, zum Vorschein kommt ein tadellos sitzender Anzug im Leopardenlook mit Fliege. Das ist auch schon ein wenig burlesk. Ausgerechnet eine kleine Kartenzauberei will Max Nix nutzen, um die Stimmung richtig anzuheizen. So geht es weiter: Mit ironischen, erfreulich kompakten Auftritten führt er durchs Programm. Zum Beispiel bei seinen Seiltricks mit praktischer Hilfe durch einen Magneten. Das Publikum geschickt abzulenken ist das Wichtigste an der Zauberei, lässt er uns wissen. Dann, wenn vor der Pause der Plüsch-Leopard aus dem Zylinder erscheint, unter den Augen seiner fürchterlich gelangweilten Assistentin. Oder in einer richtigen Großillusion, in der sein Körper von der Hand einer Assistentin durchdrungen wird. Nur eine ganz große, ausführlich gespielte Szene gönnt Max Nix sich. Wenn er sich aufs hohe Einrad wagt und „Todes-Slalom“ zwischen einigen „Freiwilligen“ auf der Bühne fährt.


Duo Heart’s Desire, Anja Pavlova, Jonathan Finch-Brown 

Die erste Burlesque-Szene ist gleiche eine der sinnlichsten, prickelnd-erotischsten. Anja Pavlova legt darin erst die bunten Tücher, dann die farbenfrohen Blüten ihres exzellent gearbeiteten Kostüms ab. Auf der Vorbühne, mitten im Publikum, zelebriert sie ihren lasziven Fächertanz. Es knistert im Friedrichsbau. Und das tut es auch beim Duo Heart’s Desire alias Viktoriia Knysh und Dmytro Shmygovskyi aus der Ukraine. Mal rotieren sie bei ihrem Poledance gemeinsam, mal abwechselnd ums Requisit, häufig tanzen sie zusammen am Boden. Ihre Darbietung wird dem Namen des Genres gerecht, ist tatsächlich mehr akrobatischer Tanz als turnerische Höchstleistung. Trotz einiger bemerkenswerter Figuren, wenn sich beispielsweise Dmytro kopfüber von der Stange abdrückt und sie sich auf seinen Füßen in der Waage hält. Klassische Handstände und hohe Beweglichkeit demonstriert Jonathan Finch-Brown im schlichten schwarzen Outfit und voller Dynamik.


Kiki Beguin, Rachel Belle Barum, Janet Fischietto 

Sündig in ihr schwarzes Kostüm eingeschnürt, performt Kiki Beguin ihren Tanz in düsterer Lichtstimmung. Mal verbirgt sie ihren Körper hinter schwarzen Federn, mal lässt sie tiefe Einblicke zu. Gerd Siemoneit-Barum, der weltberühmte Raubtierdompteur und Circusdirektor, hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass seine Enkeltochter einmal in einer erotischen Varietéshow auftreten würde. Frivol im goldenen Vogelkäfig, bekleidet nur mit weißer Unterwäsche, arbeitet Rachel Belle Barum ein anspruchsvolles Repertoire, von Zehen- und Fershang bis Genickhangwirbel. Janet Fischietto verfügt über eine so facettenreich schillernde Persönlichkeit, dass sie zum dritten Mal für eine Burlesque-Produktion des Friedrichsbaus verpflichtet wurde. Schon ihr Körper ist mit vielen Tattoos zum Kunstwerk gestaltet. Die Italienerin erscheint wie eine Diva der Stummfilmzeit, eine mondäne Femme Fatale. In ihrer Performance „Venus meets the Earth“ gibt sie die Göttin der Liebe und Schönheit, die in ihrer Bademuschel die Wassertropfen sprühen lässt – inmitten von zwei leicht bekleideten, golden schimmernden Jünglingen.


Marta Paley, Kiki Beguin, Janet Fischietto 

In origineller Weise kombiniert Marta Paley Jonglagen mit Spitzentanz. Das „Simple Russian Girl“, so der Titel der Musikbegleitung, begeistert die Stuttgarter, sorgt für den bis dahin stärksten Applaus des Abends. Dann, wenn sie mit zwei Zigarrenkisten und einem Ball, mit zwei Bällen und einem Luftballon sowie schließlich klassisch mit Zigarrenkisten jongliert. Ohnehin steigt die Stimmung nun immer weiter an. Zum Beispiel bei der humorvollen Burlesque-Nummer von Kiki Beguin. Ganz und gar neckisch und verführerisch ist die Art und Weise, wie sie auf der Bühne Desserts zubereitet. Nicht an einem Handmixer, sondern an ihren Brüsten befestigt sie zwei voll funktionsfähige Rührbesen. Die erzeugten Leckereien dürfen von einigen Zuschauern gekostet werden. Skurril auch der zweite Burleseque-Tanz von Janet Fischietto, nun mit Katzenmaske und puscheligem Schwanz.


Duo Little Finch, Anna Pavlova, Gomonov Knife Show
 

Deutlich glamouröser wird es dann wieder bei Anja Pavlovas Schönheitstanz. Sie beginnt im Paillettenkleid und bedeckt sich später nur noch mit weißen Fächern. Sexy aufgemacht, mit viel körperbetontem Tanz, ist die „Gomonov Knife Show“. Andrei Gomonov wirft selbst dann Messer in Richtung seiner betörend schönen Partnerin Daria Shereme, wenn diese an eine rotierende Scheibe gefesselt ist. Glücklicherweise wird sie niemals getroffen. Das Duo Little Finch – Jonathan und Bob Finch-Brown – vereint in der Schlussnummer Elemente von „Boylesque“, Drag und Luftakrobatik. Das Bühnen- und Ehepaar arbeitet am Luftnetz in Matrosenoutfit und Damen-Body, eine Hommage an den Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier. Dabei dürfen auch starke Tricks nicht fehlen.

Ob mit dieser Show ein „Next Level“ der Burlesque erreicht wird, bleibt dahingestellt. In jedem Fall ist es Regisseur Ralph Sun wiederum gelungen, eine rundum unterhaltsame Show zu inszenieren. Eben auf bekannt hohem Level, wie in den bisherigen Burlesque-Produktionen auch. Sie bietet viel zu lachen, erotischen Kitzel mit Augenzwinkern und durchaus anspruchsvolle Akrobatik. Und dies wird vom Publikum mit reichlich Applaus quittiert.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll