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Friedrichsbau - "Mrs. Nana's Gallery"
www.friedrichsbau.de - 114 Showfotos

Stuttgart, 21. April 2017: Was sich wohl hinter dem Titel „Mrs. Nana‘s Gallery" verbirgt? Diese Frage stellen sich bestimmt nicht wenige Besucher der Abend-Premiere auf dem Stuttgarter Pragsattel. Das Friedrichsbau-Varieté liefert in den nächsten zwei Stunden, so viel vorweg, eine eindeutige Antwort darauf: eine randvoll gefüllte „Wundertüte“, die mit vielen komischen, artistischen, magischen und sogar tierischen Überraschungen begeistern kann. Im Gegensatz zur letzten Eigenproduktion „NEON“ hat die neue Show eine durchgehende Rahmenhandlung.

Hauptfigur ist dabei Mrs. Nana, eine Puppenfigur, die sich nach Auftritten in Varietés rund um die Welt auf Schloss Silberberg zur Ruhe gesetzt hat und dort eine Galerie eröffnen will. Das schöne Bühnenbild zeigt ihren Salon mit den ausgestellten Bildern. Mrs. Nana wird von Gordon Leif im Rahmen seiner „Nanaischen Spiele“ dargestellt. Das ostsibirische Volk der Nanai hat diese Art des Spiels mit überdimensionalen Puppen einst für traditionelle Feste erfunden, heißt es in der Presseinformation zur Show. Leif, der schon mit dem bekannten Jonglage-Duo Strahlemann & Söhne im Friedrichsbau aufgetreten ist, versteht es hervorragend, dieser Figur und im Verlauf der Show auch anderen Puppen ganz eigene Persönlichkeiten zu geben. Dabei steckt er jeweils in einem schwarzen Ganzkörperoutfit, das ihn vor dem Bühnenbild fast unsichtbar werden lässt und bewegt die Puppen vor sich. Besonders gelungen ist seine Darstellung der überheblich-überdrehten Mrs. Nana. Als deren Juwelen verschwinden, muss ihr Verehrer, Kommissar Erwin Duckdich (ebenfalls eine Puppe, aber eine deutlich kleinere), diese wieder finden. Die Suche nach dem Schmuck zieht sich als ein Handlungsstrang durch die gesamte Show.


Rodrigue Funke und Gordon Leif alias Mrs. Nana, Jennny Thiem

Der zweite ergibt sich aus den Bildern an der Wand. Sie zeigen die auftretenden Künstler. Wenn Mrs. Nana anhand der Gemälde über ihre Erinnerungen spricht, werden diese auf der Bühne lebendig. Die Artisten erscheinen hinter einer Glastür im Nebel, als kämen sie aus einer weit entfernten Vergangenheit. Durch dieses Portal betreten sie die Bühne. So werden die Nummern der abgebildeten Artisten eingeleitet und in die Handlung integriert. Weitere Bilder liefern kleine Hommagen an große Künstler wie Heinz Ehrhardt und Marlene Dietrich. Insgesamt schafft die Gemäldekulisse genau den richtigen Rahmen für diese Show. Doch von vorne: Nachdem Mrs. Nana das Publikum in ihrem Schloss begrüßt hat, stellt sie ihr Personal vor. Den ersten Auftritt haben dann ihre Sicherheitsmänner, die für viele Lacher sorgen. Edd und Lefou alias Steffen Lemke und Nils Hellmuth-Truchseß überraschen mit den verschiedensten Varianten des „High-Five-Handschlags“. Für mich setzen sie die komischsten Akzente in der „Gallery“. Ein Gesamtkunstwerk schafft Jenny Thiem an den Tüchern. Mit „Diamonds are a girl‘s best friend“ begleitet sie ihre starken Tricks gesanglich. Hinzu kommt die überaus sympathische Ausstrahlung der Artistin.


Ully Loop, Emiria Snyman, Rodrigue Funke

Magier Ully Loop überbringt Mrs. Nana einen Fruchtbarkeitsbaum und hat dann seinen ersten Auftritt. Er verbindet drei Ringe von Zuschauern zu einem und löst sie wieder voneinander. Seine skurrile Art gibt dem Ganzen das gewisse „magische“ Extra. Als Erwin Duckdich Mrs. Nana die Juwelen zurückbringen will, befindet sich in der Tasche leider nur eine Ratte. Mit dieser und einem Artgenossen zeigt Rodrigue Funke, ehemals Teil des Trapez-Duos Sorellas, einige Tricks rund um Mrs. Nanas unzählige Taschen. Die japanisch-südafrikanische Kontorsionistin Emiria Snyman demonstriert sehr fließend und elegant ihre Verbiegungen. Etwas an Wirkung verliert ihr Auftritt an diesem Abend durch den nicht sicher gehaltenen Mundstand als Schlusstrick. Wort- und witzreich erläutert uns sodann Mrs. Nana alle möglichen Bedeutungen des Wortes „Hut“. Auf der Hut sein muss definitiv Rodrigue Funke im Anschluss bei seiner Dressur mit Foxterrier-Dame Lulu. Diese spielt ihrem Herrchen nämlich gerne den einen oder anderen Streich. Vielfältig sind zudem die Tricks des ungleichen Duos. So läuft Lulu unter anderem Kreise um Funkes Arme, wenn er im Handstand steht. In die Pause geht es mit einer besonderen Version der Nanaischen Spiele. Dabei führt Mrs. Nana einen lustigen Tanz mit Kommissar Duckdich auf. Bemerkenswert ist die Körperbeherrschung, die Gordon Leif als gleichzeitiger Darsteller beider Figuren zeigt.


Rodrigue Funke, Edd und Lefou,
Gwenaelle

Dem Reiz der Schuhe für die Dame widmet sich Mrs. Nana nach der Pause, um dann für den komischen Boxkampf von Edd und Lefou Platz zu machen. Zu Giuseppe Verdis „Vorspiel zum ersten Akt“ aus „La Traviata“ und mit humorvollen Kommentaren aus dem Off läuft der harte Kampf in einer präzisen Zeitlupe ab. Schluss ist erst, wenn beide Kämpfer scheinbar mehrere Zähne verloren haben. Während Mrs. Nana nun mit „Ein bisschen Frieden“ eine Hommage an „ihre Freundin“ Nicole darbietet, lässt Rodrigue Funke auf der Mittelbühne im Zuschauerraum eine weiße Taube kleine Tricks zeigen und sorgt damit für den dritten tierischen Auftritt im Programm. Neben Ully Loop gibt es noch eine zweite Vertreterin der Sparte Magie in Mrs. Nanas Galerie. Auch Gwenaelle macht einen leicht verrückten Eindruck, gibt sich dabei jedoch der Faszination der Schmetterlinge hin. Ehe ihre eigene Verwandlung per Quick Change zum Schmetterling ansteht, zaubert sie kleinere Exemplare aus ihren Fingern. Charmant sind auch ihre weiteren Tricks, wie die Sonnenbrille, die hinter einem Tuch aufgesetzt wird, das sie mit beiden Händen hält. Sogar ein Pferd hat den Weg auf den Stuttgarter Pragsattel gefunden. Es handelt sich jedoch um ein Individuum mit hohem Stoffanteil. Das „alte Circuspferd“, vorgeführt von Mrs. Nana, bewegt sich dann auch durch die Zuschauerreihen.


Ully Loup, Stanislav Vysotsky

Einem guten Drink scheinen die wenigsten Besucher ablehnend gegenüber zu stehen. Zauberkünstler Ully Loup erfüllt „auf Kosten des Hauses“ (fast) jeden Wunsch – indem er Wasser in das gewünschte Getränk verwandelt. Nur beim Eierlikör muss er an diesem Abend passen. Amaretto, Ramazotti und Co. stellen dagegen kein Problem dar. Herrlich komisch, wenn auch mit zahlreichen Obszönitäten geschmückt, ist Mrs. Nanas anschließendes Gedicht auf den menschlichen Körper. Selten treffen vollmundige Ankündigungen vollkommen zu. Der als „Newcomer der Jongleure“ annoncierte Stanislav Vysotsky kann den Erwartungen jedoch standhalten. Temporeich jongliert er bis zu sieben Bälle. Interessant ist die starke Einbeziehung der Füße in seine Darbietung, zum Beispiel bei der Jonglage von drei Bällen mit einem Fuß. Für noch mehr Tempo sorgt dann ein artistisches Intermezzo mit Rodrigue Funke und Mrs. Nana. Passend zum 80er Hit „I need a hero“ von Bonnie Tyler gibt es dazu grelle Kostüme. Einfach genial ist die Idee eines gemeinsamen Keulenpassings von Puppe und Artist. Gewachsen ist inzwischen auch der Fruchtbarkeitsbaum, dessen Blüten nun gepflückt werden können. Im ersten Teil des Finales werden alle Artisten noch einmal vorgestellt. Doch eine Sache wurde vergessen: Mrs. Nanas Juwelen sind immer noch nicht aufgetaucht. Durch ein verdächtiges Rascheln finden sie sich in einem Schrank, geklaut von den Ratten. Nun hat auch die Gastgeberin ihre Schätze wieder, und kann beruhigt das Schlossleben genießen. Dann genießen die insgesamt neun Akteure die Begeisterung des Premierenpublikums. Diese gebührt am Premierenabend sicher auch Regisseur Ralph Sun, der diesmal auf mitgebrachte Szenen von Gordon Leif aufbauen konnte.

Mit Mrs. Nana‘s Gallery gelingt dem Friedrichsbau-Varieté eine mitreißende Show, die schon am Premierenabend wunderbar eingespielt wirkt. Diese letzte, herrlich skurrile Eigenproduktion der Spielzeit 2016/17 kann noch bis Mitte Juni in Stuttgart besucht werden.

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Text: Jonas Haaß; Fotos: Tobias Erber