 |
Berlin, 8.
Juli 2008: Die Badewannen der Vorgänger-Show „Soap“ haben Berlin
verlassen; seit 8. April wird nun im Chamäleon-Varieté in den
Hackeschen Höfen die neueste Produktion aus dem Hause „Circle of
Eleven“ gezeigt: „My Life“ heißt das Programm. Die Grundidee
ist, kurz gefasst, dass die Akteure von sich selbst und ihrem
Künstlerleben erzählen. Dafür wurde erneut eine spektakuläre
Bühnenkonstruktion geschaffen: Während die Akteure bei „Soap“
ihre Darbietungen in Badewannen auf unterschiedlichen Ebenen
einer Frontalbühne zeigten, hat das Kreativteam die Bühne nun in
die Mitte des Raumes verlegt. Sie kann sich heben und senken, in
der Mitte ist ein rundes, ausfahrbares Podium. Das Publikum
sitzt um die Bühne herum, rückt also näher an die Akteure heran,
die Atmosphäre wird noch intimer. |
„Soap“ war
weitaus gefälliger angelegt als die aktuelle Produktion „My
Life“, die ganz im Stil des modernen kanadischen Theater-Circus
gestaltet wurde – die Präsentation ist eher experimentell denn
traditionell, ohne „Komplimente“ oder typische Varieté-Kostüme,
die Lichtstimmungen sind düster, die Botschaften nicht auf
Anhieb klar. Die acht Akteure stammen nicht aus
Artistenfamilien, sondern wurden in der Mehrzahl an
Artistenschulen, unter anderem in Montreal, oder als Tänzer
ausgebildet. Jeder von ihnen zeigt eine oder mehrere eigene
Darbietungen und wirkt darüber hinaus in verschiedenen Szenen
mit. Dadurch und durch das dichte und hohe Leistungsniveau aller
Artisten entsteht der Eindruck einer geschlossenen
Ensembleleistung anstelle eines Nummern-Programms. Regisseur ist
diesmal Randy Glynn, professioneller Tänzer aus Kanada. |

Stefan Sing |
Die Bühne fährt hoch,
das Ensemble tanzt, auf zwei Leinwänden an den Kopfenden des
Varietésaales ziehen Bilder aus Berlin vorbei – und aus dieser
Eröffnungsszene entwickelt sich die erste Nummer. Luftakrobatin
Elizabeth Williams greift zwei Schlaufen, die von der Decke hängen,
zieht sich daran empor, rennt im Kreis über die Rücken ihrer knienden
Kollegen und startet so zu ihrer Kür in der Luft. Stefan Sing jongliert
Bälle in außergewöhnlichen Posen, Anke van Engelshoven wird von dem
Podium in der Bühnenmitte zum Trapez gefahren und nach ihrer Darbietung
von den Mitakteuren aufgefangen. |

Anke van Engelshoven |
   
Michelle Sargent, Phillipe Renaud und Justine Méthé-Crozat, Martin
Frenette, Jenny Adler
Das Cyr-Rad,
sozusagen ein halbes Rhönrad aus nur einem Reifen, ist in jüngerer Zeit
in modernen Varieté- und Circusproduktionen beliebt geworden; hier dreht
Phillippe Renaud seine Kreise darin, sogar auf der kleinen, runden
Plattform in der Bühnenmitte, die kaum Platz dafür lässt.
Besonders interessant
sind das Requisit und die ganze Darbietung von Martin Frenette, der 2007
damit im Schweizer Circus Monti zu sehen war: Am doppelten Schwungseil
schwebt er im Spagat und im Genickhang, schlägt Salti und fängt sich
wieder, lässt sich in den Fershang fallen – und erntet großen Jubel. Auf
den Luftdarbietungen liegt der klare Schwerpunkt des artistischen
Programms; als nächstes geht Michaelle Sargent in die Luft. Bei ihren
Ver- und Entwicklungen am Vertikaltuch wird sie von Livegesang
begleitet. Jenny Adler wagt ein interessantes musikalisches Experiment,
nimmt ihre eigene Stimme in der Show auf Band auf und begleitet sich auf
diese Weise dann selbst mehrstimmig – ihre Stimme beeindruckt; dass Sie
gleichzeitig am Luftring schwebt, ist mehr Zugabe denn echte artistische
Darbietung. Schlusspunkt und artistisches Highlight der Show ist die
wunderbar leistungsstarke Hand-auf-Hand- und Handvoltigendarbietung der
beiden Kanadier Phillippe Renaud und Justine Méthé-Crozat.
 
Justine Méthé-Crozat:
Handstand wird im Video zum "Wände hochgehen"
Während „Soap“ stark
auf aberwitzigen Humor setzte, gibt es in „My Life“ nur leise Komik:
„Wall Clown“ Justine Méthé-Crozat turnt in einer um 90 Grad nach links
gekippten Zimmer-Kulisse – der „Boden“ steht also senkrecht. Das Ganze
wird gleichzeitig auf eine Leinwand übertragen, das Bild wieder um 90
Grad nach rechts gekippt. Wenn die Künstlerin nun real einen Handstand
macht, sieht das im gedrehten Videobild aus, als liefe sie auf Händen
die Wände hoch. So wird Leichtes schwer und Schweres leicht – ein
hübscher, zunächst sehr amüsanter Effekt, der sich aber bei mehreren
Auftritten durch die ganze Show hindurch etwas abnutzt.
Und dann ist da ja noch das Motto der Show „My
Life“. Dies ist als roter Faden sparsam dosiert: Mal erzählen die
Artisten in einer Videoeinspielung von Trainingsunfällen, die sie nicht
aufgeben ließen, weil sie ihren verrückten Beruf lieben. Mal singt
Michelle Sargent einen Song mit Titel „My Life“, zu dem wir Bilder aus
Berliner Straßenzügen sehen, mal tanzt das Ensemble mit
Roboter-Bewegungen in Business-Outfits und gibt gehetzte Großstädter.
Andere Einfälle erschließen sich nicht so leicht, weil man dazu etwa dem
Text französischer Begleit-Lieder folgen (können) müsste. |
Insgesamt macht die
gesamte Produktion einen sehr hochwertigen Eindruck, alles wirkt edel,
die artistischen Darbietungen überzeugender als in „Soap“. Das Publikum
war jedenfalls sehr begeistert, und zum lebensfrohen Finale mit Tanz und
Gesang gab es im fast voll besetzten Saal frenetischen Jubel, einige
Besucher applaudierten gar im Stehen. |
__________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Markus Moll,
Marc Theis (großes Bild, Luftring)
|