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Stuttgart,
11. November 2008: Die Macher des Stuttgarter
Friedrichsbau-Varietés sind mit der neuen Winterproduktion ein
kleines Wagnis eingegangen: In „Miss Evi’s Company“ steht die
„New Burlesque“ im Mittelpunkt, der Striptease mit komischer
Note, bei dem die letzten Hüllen niemals fallen – ganz in der
Tradition des Burlesque-Genres. Das Richtige für brave Schwaben
und fürs vornehme Varieté-Publikum? Offenbar schon: „Die
Nachfrage ist sehr gut, Sex sells – das gilt erstaunlicherweise
wohl immer noch“, sagt Varieté-Sprecherin Mascha Hülsewig. |
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Für die Wintershow
betreibt das Friedrichsbau-Varieté – wie im Vorjahr – wieder besonders
großen Aufwand. Die Bühne wurde stilecht in einen plüschroten Nachtclub
der 1920er Jahre verwandelt, selbst das Outfit des Servicepersonals
wurde dem Thema angepasst – unter anderem mit schwarzen Hosenträgern und
glitzernden Ärmelraffern. Geboten wird nicht Nummernvarieté, sondern
eine Show mit Handlung: Es geht um Miss Evi, die Nachtclubbesitzern, die
mit mancherlei Talent gesegnet, aber völlig mittellos ist – da kommen
Sir Nickel (mit bündelweise Geld in den Taschen) und sein Assistent Mr.
William W. Rattle jr. gerade recht und werden mit allen Mitteln bezirzt.
   
Miss Evi und das Tier, Max Nix und
Willi Widder Nix, Oleg Dijachik
Durch die Show führt
also Evi Niessner, stimmgewaltige Sängerin aus Berlin, in Begleitung
ihres Partners Mr. Leu – gemeinsam sind sie „Evi und das Tier“. Evi ist
die Rolle der Cabaret-Chefin quasi auf den Leib geschrieben, die mit
Hingabe ihr großes Gesangsrepertoire zelebriert. Ihr Partner „Das Tier“
wartet auf mit Rap-Einlagen oder vollem Körpereinsatz am Klavier.
Einfach eine Wucht sind zudem die schrägen Musik-Komiker Max Nix und
Willi Widder Nix, die bereits in der Herbst-Show 2007 begeisterten. In
ihren neuen Rollen als Sir Nickel und sein Assistent haben sie ganz neue
Späße dabei – vom haarsträubenden Kopfüber-Spiel auf der Tuba bis hin
zur garantiert durchschaubaren Comedy-Großillusion. Für den leisen Humor
ist der kleinwüchsige Oleg Dijachik alias Wachsmut zuständig, als
beiläufiges „Faktotum“ in vielen Szenen und mit einer poetischen
Performamce um einen „Lebensfaden“. |
   
Margot, Tigris, Mikhail Stepanov
Den artistischen Teil
eröffnet der Berliner Tigris – der Muskeltyp und frühere Kontorsionist
tritt mit zwei Genres auf, die ansonsten fast nur von Frauen gezeigt
werden. Am Luftring demonstriert er in exzentrischen Bewegungen seine
hohe Beweglichkeit und endet mit dem Genickhang; später lässt er als
Matrose fünf Ringe kreisen – beide Darbietungen sind nicht frei von
homoerotischer Note. Einen sinnlichen Tango auf einem und zwei Armen
zeigt die junge Handstand-Equilibristin Marie-Marguerite Marcadé alias
Margot aus Frankreich. Und am Ende lässt Strapatenkünstler Mikhail
Stepanov in dramatischen Posen zu ebensolcher Musik die Frauenherzen
höher schlagen. Insgesamt reicht das artistische Programm (mit nur drei
Akteuren!) natürlich nicht ganz an andere Friedrichsbau-Produktionen
heran, aber die Darbietungen haben alle etwas Besonderes – und diesmal
liegen die Schwerpunkte auch auf anderer Art von Körperkunst.
Schließlich sind wir im Cabaret… |
   
Beatrix von Bourbon, Trixee Sparkle, HoneyLulu
…und sehen dort
drei Vertreterinnen der „New Burlesque“. Die Burlesque hatte ihren
ersten Höhepunkt in den 1920er und 1930er Jahren – gemeint ist
kunstvoller Striptease, bei dem die letzten Hüllen eben nicht fallen.
Dafür boten die „Schönheitstänzerinnen“, die sich selbstbewusst in
erotischer Pose präsentierten, ihre Reize mit einem Augenzwinkern, mit
komischen Elementen dar. Ähnlich ist es auch in der heutigen „New
Burlesque“, deren bekannteste Vertreterin wohl Dita von Teese ist. In
„Miss Evi’s Company“ schält sich nun Beatrix von Bourbon, das
tätowierte Pin-up-Model, aus ihrem Wintermantel und lässt selbst die
Schneeflocken auf sich rieseln. Später provoziert sie als Spinne in
Fetisch-Stiefeln mit 20-Zentimetern-Absätzen, die das Laufen unmöglich
machen. Trixee Sparkle gibt die gelangweilte Queen, die sich auf ihrem
Thron entblättert – und HoneyLulu strippt in der Teetasse, nicht ohne
sich am Ende lasziv mit Milch zu übergießen. Gemeinsam zeigen Trixee
Sparkle und HoneyLulu den berühmten Fächertanz. |
Der besondere Reiz
der neuen Show liegt darin, dass sie die volle Bandbreite von Varieté
vereint: Artistik und Zauberei, haarsträubenden Humor und leise Poesie, Live-Musik und -Gesang, Tanz, schräge Typen und ein wenig erotischen
Kitzel – und dies alles
eingebettet in eine Produktion mit besonderer Liebe zum Detail,
prächtiger Ausstattung und einem samtroten Faden anstelle der
herkömmlichen Nummernrevue. Das Ganze kommt offenbar so gut an, dass
auch das Winterprogramm 2009 burlesk werden soll: „Sugarbabe – New
Burlesque and the Fifties“ wird, nach aktuellem Stand, das Motto lauten. |
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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber
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