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Berliner Artistenschule - M-Box
www.absolventenshow.de ; 45 Showfotos

Darmstadt, 25. Juni: Noch bis zum 30. August ist der aktuelle Abschlussjahrgang der Staatlichen Schule für Artistik Berlin gemeinsam auf Tournee. Die frisch gebackenen staatlich geprüften Artisten wollen auf diese Weise durchstarten, Auftrittserfahrung sammeln, sich bei Agenten und Direktoren bekannt machen. Im Juni waren die Abschlussprüfung und die große öffentliche Abschlussgala im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in der Hauptstadt. Bereits zwei Tage später begann die Deutschland-Tournee mit einem gefeierten Auftritt im Kulturzentrum Bessunger Knabenschule in Darmstadt.

Choreograph und Regisseur Ivan Luzan hat die einzelnen Darbietungen mit vielen schönen Ideen und kleinen Ensembleszenen zu einer Show mit Titel „M-Box“ (wie Musikbox) zusammengefügt. Um ein komplett abendfüllendes Programm gestalten zu können, werden die Absolventen alljährlich auf Tournee von Artistenschülern begleitet, die das letzte Jahr ihrer Ausbildung noch vor sich haben.


Bertan, Jeffrey Hein, Philip

Einer von ihnen ist Bertan, der fröhlich, natürlich und ungekünstelt wirkende Bouncing-Jongleur. Bis zu sieben Bälle lässt er über den Boden springen, stets eingebettet in Hip Hop-Tanz. Eine eher selten gezeigte Disziplin hat auch Judith Pietsch gewählt – das Schlappseil. Zu den Besonderheiten der Darbietung gehört, dass die junge Artistin bei vielen ihrer Tricks nicht auf dem Seil steht oder geht, sondern daran auch hängend Elemente aus Trapezdarbietungen wie Fers- und Kniehang zeigt. Hochhackige Schuhe, Netzstrümpfe und Netzoberteil, pinkfarbene Handschuhe, Make-up: Sozusagen mit geballter Weiblichkeit provoziert Hula-Hoop-Künstler Philip bei seinem Auftritt mit bis zu fünf Reifen. Die funkige Musik lässt das Publikum begeistert mitgehen – freilich würden wir ihm dennoch empfehlen, von seiner Darbietung noch zusätzlich eine im Auftreten gemäßigtere Variante anzubieten, um über breitere Auftrittsmöglichkeiten zu verfügen. Ein echtes Circuskind ist Jeffrey Hein vom früheren Circus Hein; seine Familie arbeitet heute vor allem in Parks. Er ist laut Programmheft bereits das neunte Familienmitglied, das die Berliner Artistenschule durchläuft – seine Handstanddarbietung auf dem klassischen hohen Piedestal zeigt er zu einem fröhlichen Popsong, während er mit Artistenkollegin Liv – am Fuße des Requisits mit einer Rose wartend – flirtet. Anschließend erklimmt Liv das Solotrapez, und Jeffrey beobachtet sie bei klassischen Trapeztricks und kontorsionistischen Elementen.


Aniko, Vanessa und Sven, Benno und Johannes

Bei durchweg hohem Niveau der Darbietungen dieser Absolventenshow ist ein besonderes Glanzlicht der Auftritt der Equilibristen Vanessa und Sven. Hier ist die etwas größere Partnerin die Unterfrau, die – unter anderem in verschiedenen Spagatständen – den muskulösen Herrn in schwierigsten Posen trägt. Sicher, leistungsstark, elegant, toll choreografiert – das Paar hat noch ein Jahr an der Artistenschule vor sich, seine Darbietung aber wirkt jetzt schon fertig und könnte bereits überall arbeiten. Zu Recht die ausgiebig bejubelte Pausennummer. Erfreulich auch: Im Gespräch berichten die beiden, dass sie nicht nur in Varietés und bei Galas, sondern gerne auch im Circus arbeiten möchten. - Nun aber zu jenen jungen Künstlern, welche die Artistenschule bereits tatsächlich abgeschlossen haben. Zu ihnen gehört Seraina mit ihrem poetischen Auftritt am Solotrapez. Aus dem Off wird das Rilke-Gedicht „Die Welt die monden ist“ rezitiert, während die Künstlerin zunächst in einen weißen Umhang gehüllt am Boden kauert, dann tanzt. Am Solotrapez präsentiert sie schließlich zu wundervoller, ruhiger Cellomusik ein umfassendes Repertoire mit diversen Abfallern und bis hin zum Genickhang. Interessant, weil ungewöhnlich sind ihre Umschwünge vor- und rückwärts um die Trapezstange. Ein Drahtseilapparat, an den beiden Plattformen links und rechts jeweils ein Telefon – das ist das Requisit von Aniko, welches sie zunächst als Sekretärin mit grauem Rock, Hemd und Krawatte, vor allem aber auf hohen Absatzschuhen überquert. Dann streift sie aber das Buisness-Outfit ab und tanzt als schwarz-rote Femme Fatale auf dem Seil, unter anderem mit Spagat, Seilspringen und Spagat im Stehen. Zum Song „Sweet Dreams“ in der Version von Marilyn Manson präsentiert Jakob Kraft und Können an den Strapaten – freihändiger Spagat zwischen den Schlaufen, Auf- und Abwickeln und Flugpassagen gehören zum breiten Repertoire. Der junge Berliner tritt als Maler auf, der zwischen den Darbietungen einige Striche auf die am Boden liegende Leinwand setzt. Der Österreicher Carlo Schöbel, Mitglied der fünften Generation einer Artistenfamilie, ist zwischen den Darbietungen omnipräsent als eine Art fantasievoll gekleideter Zeremonienmeister. Gegen Ende des Programms präsentiert er seine expressive Handbalancing-Darbietung mit kontorsionistischen Elementen. Den Schlusspunkt setzen die famosen Diabolo-Jongleure Benno und Johannes, trickstark und mit toller, mitreißender Bühnenpräsenz. Bis zu fünf goldfarbene Diabolos lassen sie gemeinsam fliegen.

Gemessen an den euphorischen Publikumsreaktionen und dem kaum enden wollenden Schlussapplaus war die Premiere in Darmstadt ein rauschender Erfolg. Da störten auch kleine Fehler und Unsicherheiten in manchen Darbietungen nicht, die so kurz nach der Abschlussprüfung wohl noch unvermeidlich sind.

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Text: Markus Moll; Fotos: Stefan Gierisch