 |
Stuttgart, 9. September 2018: Sie ist
artistisch stark, herrlich lustig, ungeheuer rasant und sexy
noch dazu: Die neue Show „Servus, Grüezi und Hallo“ im
Friedrichsbau-Varieté Stuttgart macht richtig Spaß. Dabei
versucht das Theater einmal mehr, auf Nummer sicher zu gehen.
Was in der Vergangenheit erfolgreich lief, wird erneut
aufgegriffen. Immer wieder werden hier zum Beispiel Programme
geschaffen, die Magie oder Burlesque in den Mittelpunkt stellen.
Und mit „Servus, Grüezi und Hallo“ wird eine Produktion neu
aufgelegt, die 2011 ein Renner war. |
 |
Dabei ist der Zeitpunkt für das Remake gut
gewählt. Denn mit der „total verrückten Dirndl-Show“, so der Untertitel,
wird auch das 200-jährige Bestehen des Cannstatter Volksfestes gefeiert.
Zu Beginn erzählt uns eine Stimme aus dem Off, wie das Fest entstand und
letztlich auf einen Vulkanausbruch auf den Philippinen zurückgeht. Die
Aschewolken hatten monatelang den Himmel über Württemberg verdunkelt und
damit eine Hungersnot ausgelöst. Das Ende dieser schlimmen Zeit wurde
mit dem ersten Volksfest gefeiert. Das schöne Bühnenbild zeigt einen
Mini-Wasen mit dem Wahrzeichen "Fruchtsäule", Süßwarenstand und
Bierausschank. Aus dem Cast von 2011 ist nur die Film- und
Fernsehschauspielerin Sandra Steffl alias Sandy Beach wieder dabei. Die
kurvige Blondine ist die Zeremonienmeisterin des Abends. Sie begrüßt uns
im „Friedrichsbau-Festzelt“ und stimmt gleich ein engagiertes „Rock mi“
an. Das Ensemble in Dirndl und Lederhosen tanzt ausgelassen mit.
 
Armando Arano, Philipp Tigris
Artist Philipp Tigris, eigentlich ein gestandenes
Mannsbild Mitte 40, darf Sandys achtjährigen Sohn spielen, das „Tigerle“.
Und mit seinem Können mit Hula-Hoop-Reifen überzeugen. Er ist einer der
wenigen Herren, die dieses Genre gewählt haben. Und ein besonders
ehrgeiziger noch dazu. Ganz neu erarbeitet hat er sich den Trick, bei
dem er drei Reifen um das ausgestreckte linke Bein kreisen lässt. Plus
zwei weitere um seine Arme. Außerordentlich stark ist die Darbietung von
Armando Arano. Seine kraftvollen Handstände zelebriert er die meiste
Zeit auf einem Arm. Ein schmales Brett überquert er mit Kopfsprüngen.
Schließlich geht es im einarmigen Handstand die Treppe seines Requisits
hinab und wieder hinauf. Dann krönt er seine Darbietung mit dem
legendären Klötzchen-Abfaller. Nach diesem richtet er sich nochmal
direkt in den Handstand auf. Arano ist wie seine Lebensgefährtin Thais
Ferreira aus dem noch laufenden Saisonprogramm des Schweizer Circus
Royal nach Stuttgart gewechselt.
 
Davide Skizzo
Nicolosi
Für Riesenspaß auf der Friedrichsbau-Bühne sorgt
der italienische Comedy-Magier Davide Skizzo Nicolosi. In seinem ersten
Auftritt gibt er, empfindsame Gemüter mögen ihm verzeihen, Jesus
Christus. Er vermehrt auf wundersame Weise Weißwurst.
Wasser verwandelt er in Wein und Bier und wieder zurück. Man könnte sich auch im
Schaustellergottesdienst im Festzelt wähnen. Im Wasen-tauglichen Outfit,
mit pinker Lederhose und grünem Karohemd, lässt Skizzo später aus
Papierschnipseln eine unversehrte Zeitung entstehen und zaubert aus
Röhren immer mehr Flaschen herbei. Und dies alles mit seiner herrlichen
überdrehten Art, sich mit den Händen ständig durch die lange
Lockenpracht auf seinem Kopf fahrend. Nicht minder verblüffend ist, wie
er später mit einer Kordel eine Brezel, eine Flasche Bier oder eine
Landjägerwurst aus einer Kiste angelt. Er senkt das bloße Seil in die
Box und zieht die Köstlichkeiten sorgsam ans Seil geknotet daraus
hervor. Was dazwischen geschieht, bleibt unserer Fantasie überlassen.
Für Lacher ist auch gesorgt, wenn er den imaginären Floh Renata vom
Sprungbrett in den Pool springen lässt. Nicolosis letzter Auftritt ist
bereits aus seinem ersten Friedrichsbau-Engagement 2017 bekannt, vermag
aber wiederum die Zwerchfelle zu erschüttern. Zunächst malträtiert er
sich selbst mit einem Laubbläser, dann füllt er damit einen großen
Ballon und steigt in diesen hinein. Und dies alles in einem durchaus
neckischen Bade-Outfit.
  
Duo Flash, Alex
und Anna, Sebastian Stamm
Ordentlich Stimmung machen die Kaskadeure des Duos
Flash. Ihre Darbietung enthält viele Salti und Wurfelemente. Es ist
vielmehr eine artistisch richtig starke Nummer mit fröhlichem
Augenzwinkern als, wie in manch anderen Kaskadeur-Nummern, ein Comedyact
mit artistischen Einsprengseln. Das Duo Alex und Anna zeigt eine
klassische Rollschuhnummer mit den typischen Tricks dieser Disziplin,
bis hin zum Genickhangwirbel. Schade nur, dass man auf ein Podest
verzichtet. Das schränkt zum einen die Sicht aufs Geschehen ein. Zum
anderen gehört es ja eigentlich zum wesentlichen Charakteristikum des
Genres, dass nur eine kleine Plattform zur Verfügung steht und eben
nicht der ganze Raum einer großen Bühne. Zum wiederholten Mal im
Friedrichsbau zu Gast ist Sebastian Stamm. Neu ist der Vollbart, den er
sich nun zugelegt hat. Mit Leichtigkeit erklimmt Stamm den Chinesischen
Mast, der hier als Maibaum gestaltet ist, um daran kraftvolle Posen zu
zeigen. Zwischendurch wirft er seine Weste ab und präsentiert den
muskulösen Oberkörper. Kopfüber saust er am Ende den Mast hinunter, um
kurz über dem Boden zu stoppen.
  
Thais
Ferreira, Philipp Tigris, Dmytro Kharlov
Eine bezaubernde Darbietung am Luftring
präsentiert die hübsche Thais Ferreira. Interessante Drehungen um das
Requisit, Rückwärts-Umschwünge und zum Abschluss ein Genickhangwirbel
sind Bestandteile ihres Repertoires. Etwas schade ist nur, dass sie hier
nicht in größerer Höhe arbeiten kann. Sehr beeindruckend ist die
Kontorsionsnummer von Philipp Tigris. Der kräftige Artist demonstriert
hohe Beweglichkeit und beherrscht gar den Mundstand. Dringend notwendig
wäre freilich, dass er seine Kunst auf einem Podium zeigt anstatt auf
dem Bühnenboden. Hier ist die ohnehin eingeschränkte Sicht teils noch
durch die Gerätschaften des Soundsystems am Bühnenrand verdeckt.
Wunderbar stark ist auch die Rola Rola-Nummer von Dmytro Kharlov mit
Assistentin Nataliia. Er wagt gar einen Kopfstand auf einer Walze und
balanciert auf einer Wippe, die auf einem fünfstöckigen Turm aus Rollen
steht.
  
Sandra
Steffl, Inna Zobenko
Inna
Zobenko kniet auf einer Drehscheibe und dreht sich dabei in aberwitzigem
Tempo und mit unglaublicher Ausdauer um sich selbst. Die blonden Haare
fliegen nur so, das Ensemble versammelt sich um sie und feuert sie an.
Später richtet sich die gebürtige Ukrainerin sogar noch auf und steht
auf der rotierenden Scheibe. Ihr Gleichgewicht ist mehr als ausgeprägt,
ein Schwindelgefühl scheinbar nicht vorhanden. Im Grunde sind es nur
zwei Tricks, aus denen diese Darbietung besteht – aber dennoch ist sie
grandios. Kommen wir nochmal zurück zu Sandra Steffl. Sie hat
entscheidenden Anteil am Gelingen dieser Show. Einem Programm, das so
herrlich extrovertiert nach vorne geht. Steffl lässt sich als laszive
„Fischerin vom Bodensee“ im Kleinboot über die Bühne ziehen und geizt
beim burlesken „Glock’n‘Roll“ nicht mit ihren Reizen. Lässt die
Zuschauer ausgelassen schunkeln und „Schatzi, schenk mir ein Foto“
singen. Interpretiert selbst ein traditionelles Gstanzl, in diesem Fall
ein Loblied aufs Starkbier. Und bekennt gesanglich, sie sei „gamsig,
gamsig, gamsig“, zum Breakdance von Sebastian Stamm.
|