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Friedrichsbau 2018 - "Grande Revue"
www.friedrichsbau.de - 115 Showfotos

Stuttgart, 18. November 2018: Durchs Friedrichsbau-Varieté Stuttgart weht in diesem Winter ein Hauch von Friedrichstadt-Palast Berlin. Denn Regisseur Ralph Sun hat eine „Grande Revue“ geschaffen. Der Titel der Produktion ist Programm: mit fünf schönen Tänzerinnen in wunderbaren Kostümen, mit skurriler Comedy und Livegesang, mit starker Artistik und einem guten Schuss Erotik. 16 Damen und Herren wirken auf der Bühne mit. Somit bietet das Theater das größte Ensemble seit dem Umzug von der Innenstadt auf den Pragsattel vor vier Jahren.

Werner Fritsche hat dazu eine moderne, edel wirkende Bühne mit einer großen Rückwand in Betonplatten-Optik, zentralem Künstlereingang und Treppe gebaut. Links und rechts wurden zwei überdimensionale Stehlampen platziert. Blau angeleuchtete Baumstämme bilden die Lampenständer.


Hot Mr. C., Vegas Showgirls, Bubbles 

Die fünf Tänzerinnen der Vegas Showgirls von Choreographin Camilla Keutel eröffnen das Programm mit einem klassischen Revuetanz, lassen bei der Girlreihe die Beine fliegen. Federschmuck ziert die Köpfe, und die australische Sopranistin Cassie McIvor interpretiert dazu „Hey Big Spender“. Und sogleich hat der große Spender, der Mann von Welt, seinen Auftritt. Es ist Conférencier Hot Mr. C. In einem Kinder-Schaukelgerät in Flugzeugform fährt er standesgemäß auf die Bühne. Seine Erscheinung ist überaus extravagant. Auf seinen Frontzähnen kleben glitzernde Steinchen; seine bei den verschiedenen Auftritten jeweils wechselnden Sakkos sind mit unzähligen Pailletten, üppigen floralen Elementen oder einem blinkenden Star-Wars-Schriftzug verziert. Dazu trägt er kleine Zylinder auf dem Kopf. Gleich gibt er zu Protokoll, aus der Welt des Showbusiness zu kommen, süchtig nach Klatsch und immer etwas „over the top“ zu sein. Stets an seiner Seite ist sein Butler Bubbles. Er trägt die Klingel, um sich rufen zu lassen, praktischerweise gleich auf dem Kopf. Hot Mr. C. nimmt auf erstaunliche Weise scheinbar den eigenen Rumpf von den Beinen ab. Er lädt eine Zuschauerin zur nicht ganz jugendfreien Autofahrt und lässt gleich das ganze Publikum Walzer klatschen. Diese und weitere Auftritte sind mit vielen schlüpfrigen Witzen garniert, die das vorwiegend ältere Publikum an diesem Abend eher irritieren denn amüsieren. Vielleicht auch, weil Hot Mr. C. vorwiegend englisch spricht. In den Tagen nach dem Premierenwochenende wurde der Text laut Varietédirektion komplett auf Deutsch einstudiert.


Anastasiia Potorochenko, Vegas Showgirls, Kukharenko Brothers 

Und natürlich begleiten uns neben Hot Mr. C. und Bubbles auch die Vegas Showgirls weiter durch den Abend, zunächst in einem glamourösen Tanz mit goldenen Umhängen. Der erste artistische Auftritt gehört Anastasiia Potorochenko. An den Tüchern beweist sie ihre Beweglichkeit bei kontorsionistischen Elementen und beeindruckt mit Abfallern. Starker Applaus ist der Lohn. Auf freistehenden Leitern balancieren die Brüder Nikolay und Anatoliy Kukharenko, die als Mitglieder der Truppe Bingo auch schon im Circus Knie gearbeitet haben. Stark und besonders ist ihre Nummer vor allem dadurch, dass sie bei mehreren Tricks gemeinsam auf einer Leiter balancieren. Dabei hängt auch einer der Brüder kopfüber am Requisit, oder beiden liegen bäuchlings in der Waage auf unterschiedlichen Sprossen.


Amit Keng, Vegas Showgirls mit Hot Mr. C., Cécile Magdeleine und Roman Bonaton 

Wenn die Vegas Showgirls mit großen Federfächern tanzen, dann mischt sich Hot Mr. C. unter die aufregend hübschen Damen und plaudert darüber, dass Menschen und Vögel doch identisch seien. Schnapsdrosseln und „Blau“-Meisen sind seine Belege. Um Getränke geht es auch bei den Stabjonglagen von Amit Keng. Er schluckt abwechselnd aus einer roten und einer blauen Tasse Aufputsch- oder Beruhigungsmittel, die sofort das Tempo und den Ausdruck seiner Arbeit beeinflussen. Mein Geschmack ist diese Choreographie nicht. Doch unbestreitbar ist sein hohes artistisches Können. Bis zu vier Stäbe hält er sicher in der Luft, was das Publikum mit einigem Jubel quittiert. Nochmals Gesang und Tanz, nun sexy in schwarz, leiten über zur Pausennummer. Cécile Magdeleine und Roman Bonaton zelebrieren eine sinnlich-erotische Kür. Diese kombiniert Partnerakrobatik in und auf einer wassergefüllten Badewanne sowie Artistik an den Strapaten. Beide übernehmen abwechselnd die tragende Rolle. Hier sprühen Wassertropfen und zwischen dem Paar die Funken. Die Nummer war bereits bei zirzensischen Erotikshows wie „Ohlala“ in Paris oder Franco Dragones „Taboo“ zu erleben.


Vegas Showgirls, Cassie McIvor 

Aufreizend mit pink-schwarzen Schmetterlingsflügeln tanzt das Ballett zu Beginn des zweiten Teils; die begleitende Dance-Musik sorgt für die nötige Power. Stimmliche Kraft und Schönheit beweist dagegen Sängerin Cassie McIvor mit einer Ballade von Céline Dion. „Let Beauty come out of ashes“ lautet der passende Text der Refrainzeile. Einer ihrer stärksten Auftritte während der Show.


Cécile Magdeleine, Vegas Showgirls, Alex und Indra 

Und noch mehr sinnliche Weiblichkeit zelebriert Cécile Magdeleine am Luftring. Sie kreiselt ekstatisch mit dem Requisit, überschlägt sich daran mehrfach rhythmisch. Mitreißend und farbenfroh ist der Sambatanz der Showgirls im Stil des Karnevals von Rio. Den Kontrapunkt setzt gleich darauf Anastasiia Potorochenko mit ihren betont sexy gearbeiteten Kontorsionen, die sie im schwarzen Netzoutfit bei düsterer Lichtstimmung präsentiert. Zu Sias „Chandelier“ zeigen die Showgirls ihre modernste Choreographie. Trotz aller expressionistischen Bewegungen bleibt die klassische wie hochklassige Tanzausbildung jederzeit erkennbar. Tanz und Akrobatik vereinen Alex und Indra bei ihrer Adagio-Nummer. Sie bringt nochmal verruchte Stimmung auf die Bühne. Richtig glamourös wird es dagegen im Finale, mit dem Ballett in Federboa-Outfits, dem temporeichen Song „Midnight Only“ und dem gesamten Ensemble.

Sex sells – mit stilvoll erotisch aufgemachten Programmen hat das Friedrichsbau-Varieté schon in der Vergangenheit einige seiner größten Erfolge gefeiert, sich damit einen besonderen Namen gemacht. Umso erfreulicher, dass trotz vieler sexy Elemente nicht schon wieder die Burlesque-Karte gezogen wurde. Stattdessen ist mit betont sinnlichen Akrobatik-Nummern und dem attraktiven Ballett auf ganz andere Weise für knisternde und prickelnde Momente gesorgt. Diese Show ist tatsächlich eine „Grande Revue“.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll