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Krystallpalast Leipzig - "Girlpower"
www.krystallpalast.de

Leipzig, 11. Oktober 2020: Der Krystallpalast Leipzig ist liebgewonnene Heimat der jährlichen Newcomershow. Anlass genug, dem kleinen und feinen Varieté einen Besuch auch abseits des Talentwettbewerbs abzustatten. Für die diesjährige Herbstshow hat der künstlerische Leiter Urs Jäckle nach rein männlichen Ensembles vor zwei bzw. vier Jahren nun einen komplett weiblichen Cast zusammengeholt, spannende Neuentdeckungen inklusive. „Girlpower“ ist der gut gewählte Titel, der dazugehörige Slogan „Tanz trifft Artistik“. In der besuchten Vorstellung nimmt das Publikum die akrobatischen Darbietungen stark an. Die tänzerischen Choreografien hingegen entfachen erstaunlicherweise nur selten mitreißende Wirkung.

Die Zuschauer scheinen zuweilen unberührt von der eigentlich implizierten Dynamik des Stückes. Über die Gründe kann man rätseln. Vielleicht liegt es an der Musikauswahl? In der Playlist finden sich neben Songs bekannter Namen wie Beyoncé, Pink oder Billie Eilish eben auch viele elektronische Dance-Musiken, die sicher nicht jeder kennt und mag. Oder liegt es am Lichtdesign? Das an sich einfache Bühnenbild mit mehreren Stelen strotzt vor Licht und sorgt für eine durchgehend starke Illumination des Bühnengeschehens. Der Zuschauerraum aber bleibt weitestgehend dunkel, eine Trennung zwischen Künstlerinnen und Gästen stets bestehen.


Seilspringen des Ensemble 

Oder liegt es an den Tänzen selbst? Schließlich lässt Choreografin Claudia Scharf viele moderne Richtungen wie Voguing, eine spezielle Form des Hip Hop, tanzen. Auch das trifft vielleicht manche Erwartung nicht. Dabei sind es gerade die vielen Tänze, die die Künstlerinnen – in unterschiedlichsten Konstellationen – als Kollektiv agieren lassen und das Programm zusammenhalten (sollen). Höhepunkt der gemeinsamen Szenen ist eine akrobatische, wenn das Ensemble Seil springt. Da kommt, pünktlich zur Pause, Stimmung im Publikum auf. Nicht wirklich gelingen will es hingegen, der Show durch das wiederholte Einspielen alter 50er-Jahre-Werbespots zum Rollenbild der (Haus-)Frau im Kontrast zu den Nummern der Künstlerinnen einen emanzipatorischen Charakter anzudichten. Das ist nämlich gar nicht nötig, die Auftritte der Artistinnen sprechen für sich!


Michela Pesce, Michaela Stará, Shena Tschofen 

Das trifft ganz besonders auf Michaela Stará zu. Die Tschechin ist die spannendste Neuentdeckung des Programms. Zugleich ist ihr Auftritt der am schwierigsten Beschreibbare, mischt sie doch pantomimische und tänzerische Bewegungen mit der Objektmanipulation eines Tischtennisballs. Den jongliert sie nicht nur mit dem Mund, sondern lässt ihn auch scheinbar um den Körper wandern. Eine skurrile Darbietung, absolut sehenswert. An Starás Seite ist Michela Pesce alias Samaki. Mit Stepptanz statt Klatschspiel interagiert die Italienerin mit den Zuschauern, zudem zeigt sie immer wieder Elemente ihrer Hut-Jonglage. Stará und Samaki sind ohne Vertun die nicht ganz so heimlichen Hauptdarstellerinnen dieser Show. Dritte im Bunde ist Shena Tschofen, die lange Zeit bewusst etwas verträumt durchs Programm wirkt. Am Ende gehört ihr mit ihrem atmosphärischen und im letzten Jahr beim Gewinn der Newcomershow auch hier auf Chapiteau.de mit Lob überschütteten Auftritt am Cyr der Höhepunkt dieser Show. Seltenheitswert hat ihre zweite Darbietung mit dem Lasso.


Claudia Baricz und Ingrid Korpitsch

Stark ist auch die rhythmische Nummer von Ingrid Korpitsch am Luftring. Mit Spagat und Wirbel sorgt die Österreicherin für Jubel gleich zu Beginn. Ihre Darbietung an den Tüchern kombiniert sie als Duett mit einer Tänzerin am Boden und ist trotz Abfallern ruhiger. Mit Landsfrau Claudia Baricz hat Korpitsch einen gemeinsamen Auftritt an den Strapaten kreiert. Beide zeigen Tricks wie Aufschwünge zumeist im Wechsel. Leider gibt es nur wenige Sequenzen, in denen beide zusammen agieren. Solo ist Baricz dann als coole Kontorsionistin sowie mit Luftakrobatik an einem kleinen Würfelgestell zu sehen. Dieses dient Pantomimin Stará in einer weiteren Ensemble-Szene als „Aquarium“. Es gibt einige dieser kleinen netten Einfälle. Nur: im Kopf bleiben sie kaum. Was der Show mitunter fehlt, sind starke emotionale Momente abseits der eigentlichen Darbietungen. Das kann auch ein insgesamt ausstrahlungskräftiges und spielfreudiges Ensemble nicht ausgleichen.


Anna Shvedkova, Anna Herkt, Kata Bánhegyi

Plakat-Model Anna Shvedkova bietet die fünfte Luftnummer im Programm. Der Auftritt der Deutschen am Tanztrapez ist technisch versiert und beinhaltet unter anderem Knie-, Zehen- und Genickhang. Anna Herkt, ebenfalls aus Deutschland, hat auch an der Newcomershow teilgenommen und ist nun mit ihrer tänzerischen Pole-Akrobatik zurück im Krystallpalast. Die Ungarin Kata Bánhegyi sorgt mit schnellem Ropeskipping für Dynamik. Valérie Bédard aus Kanada präsentiert mit Hula Hoop-Reifen zeitgleich ruhige und temporeiche Bewegungen zu afrikanisch-orientalischer Musik. Zu Beginn der Spielzeit hat Antipodistin Val Jauregui aus Mexiko sie vertreten.

„Girlpower“ hinterlässt einen gemischten Eindruck. Während insbesondere die Tänze nicht wie erwartet mitreißen können und es mehr emotionale Momente bräuchte, punktet das Programm mit starker Akrobatik und ausstrahlungskräftigen Künstlerinnen.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Krystallpalast