In den vergangenen
drei Produktionen war immer mindestens eine, zumeist aber mehrere
Nummern, von Bingo dabei. Alle von hoher Qualität, keine Frage. Aber man
merkt ihnen eben doch die Schule des Circus Theater aus Kiew an. Jetzt
gibt es wieder die volle Vielfalt eines internationalen Ensembles. Ein
paar wenige der Akteure kommen direkt aus Mexiko. Wie der Vergleich von
Flyer und tatsächlicher Spielfolge zeigt, gab es wohl kurz vor der
Premiere noch Änderungen.

Szene aus dem
Finale
Diesmal nicht
dabei sind das hauseigene Ballett sowie eine Liveband. Dafür kommen wir
in den Genuss von Tänzerinnen aus Mexiko und einem spanischen Sänger.
Von Provoli Espectaculas stammen die vier Damen, die in wunderschönen
traditionellen Kleidern die Folklore ihres Landes an den Rhein bringen.
Das wirkt alles sehr authentisch, bietet aber nicht die gewohnte
Abwechslung zwischen den einzelnen Auftritten. Sänger Luis Polo Martinez
kommt in mexikanischer Aufmachung daher und intoniert zum Motto passende
Lieder. Das Bühnenbild ist ebenfalls sehr ansprechend im Maya-Stil,
beschränkt sich aber auf eine Kulisse, die keine weiteren Funktionen
bietet und nicht bespielt werden kann. Die kleine seitliche Bühne
beheimatet eine mexikanische Bar, welche aber nur wenig genutzt wird.
Das Licht ist wie immer stark und Atmosphäre schaffend eingesetzt.
  
Garcia
Brothers, Baltabarin, Munoz Sisters
Der Auftakt ist
sehr stimmungsvoll und bringt uns direkt mittenrein nach Mexiko. Ballett
und Sänger in prächtigen Kostümen zeigen eine Choreographie, die die
Geschichte des Landes beschwört. Sodann nimmt der Häuptling, verkörpert
von Luis Polo Martinez, auf seinem Thron Platz und bewundert mit seinem
Hofstaat die Künste seiner Krieger. Als solche aufgemacht erleben wir
die Garcia Brothers. Für Connor und Antonio ist es das erste Engagement
unabhängig von den Eltern, die derzeit mit ihrer Luftartistik an der
Rakete mit Gandey's Circus auf Tournee durch Großbritannien sind. Schon
seit vielen Jahren arbeiten die Brüder ihre Partner-Akrobatik und
entwickeln sie ständig weiter. Immer wieder sind neue Tricks dabei. Zu
ihrem Repertoire gehören neben verschiedenen Handständen unter anderem
der mit den Zähnen gehaltene „Kopfstand“ sowie der Bogenschuss mit den
Füßen. Als (fast) echter Mexikaner mit Schnauzer und Sombrero
präsentiert sich der spanisch-chilenische Komiker Baltabarin, alias Juan
Carlos, in seinem ersten kurzen Auftritt. Zopfhang in allen denkbaren
Variationen ist die Spezialität der Munoz Sisters. Isabella und Daniela
stammen aus einer kubanischen Circusfamilie. Ihre aktuelle Nummer hatte
im vergangenen Jahr bei Gifford's Circus Premiere. Darin fliegen sie an
den Haaren aufgehängt nebeneinander über die Bühne oder aber im
Zopf-an-Zopf. Die Haare der Oberfrau werden auch genutzt, um daran
nacheinander Tücher und Luftring zu befestigen. An diesen Requisiten
präsentiert die andere Schwester dann verschiedene Tricks.
  
Luis Polo
Martinez, Brandon Popova, Kimberly Zavatta
Das folgende große
Bild gestalten das Provoli Ballett sowie Luis Polo Martinez mit Tanz und
Gesang. Brandon Popova haben wir 2018 beim Circus Royal in der Schweiz
erlebt. Inzwischen hat der Jongleur seine langen Haare gegen einen
flotten Kurzhaarschnitt eingetauscht. Rasant und sympathisch jongliert
er mit Keulen, Bällen – in die Luft und zum Boden – sowie Strohhüten.
Der Sohn des argentinischen Raubtiertrainers Bruno Raffo bringt Tempo in
die Show. Originell der Übergang zu Baltabarin. Der Clown würde gerne
auch einmal jonglieren, aber Popova will ihm seine Keulen nicht geben.
Also nimmt er einfach eigene. Nach dem Wechsel des Oberteils ist er ein
„richtiger“ Artist, der sogar neun Keulen gleichzeitig durch die Luft
fliegen lässt. Wenn auch mit ein wenig Mogelei. In zum letzten Auftritt
leicht modifizierten Kostümen erleben wir das nächste Bild mit Ballett
und Sänger. In diesem adressiert Luis Polo Martinez zum ersten Mal an
diesem Nachmittag das Publikum direkt. Kimberly Zavatta war im Februar
2020 gemeinsam mit Bruder Holler im Kronebau mit einer Rollschuhnummer
engagiert. In Düsseldorf nun erleben wir die hübsche junge Dame im Solo.
Jetzt zeigt sie eine traumhafte Kür an den Strapaten. Zusätzlich zu den
bekannten Tricks des Genres, die sie sehr charmant präsentiert, arbeitet
sie einen Zahnhang. Der spanische Circo Smile ist ihre artistische und
familiäre Heimat. Erfolgreich macht Baltabarin einer Senorita seine
Aufwartung. Die angebotene Rose nimmt sie gerne entgegen. Und so machen
sie sich gemeinsam auf den Weg von der Bühne. Auf dem nun ausgebreiteten
Poncho von Baltabarin steht das Wort „Pause“.
 
Nicol Nicols &
Kimberly Zavatta, Baltabarin, Steacy Giribaldi
Nach der
Unterbrechung, in der man etwa einen weiteren Gang des speziell auf das
Mexiko-Thema abgestimmten Menüs einnehmen kann, empfängt uns das Ballett
auf der Bühne, um diese nach dem Tanz für Baltabarin freizumachen. In
seine in diesem Programm ausführlichste Szene bezieht er ein junges Paar
aus den Zuschauerreihen ein. Vor dem Auftritt gibt es an der Bar gegen
die Nervosität Tequila für alle. In dem Sketch geht es um ein
Pärchenfoto. Zunächst will der Clown seine Gäste gemeinsam ablichten,
dann entscheidet er sich aber, zusammen mit der Dame selbst auf das Bild
zu gehen. Die beiden verschwinden hinter dem Vorhang und kommen mit
Kinderwagen zurück. Das ist insgesamt wirklich originell, eigenständig
und herrlich gespielt. Allerdings zünden die Pointen am Ende nur
bedingt, da sie schlichtweg nicht verstanden werden. Die Corona-bedingte
Zwangspause hat Nicol Nicols dazu genutzt, sich eine zweite Nummer
aufzubauen. In dieser erleben wir ihn als präzisen Schützen mit der
Armbrust. An Partnerin Kimberly Zavatta ist es, ihm die Zielobjekte wie
eine Spielkarte oder eine Rose hinzuhalten. Im Zahnhang rotierend hat
sie zwei Tafeln in der Hand, die Nicol sicher mit seinen Pfeilen trifft.
Beim Schlusstrick trägt er den zu durchbohrenden Apfel selbst auf dem
Kopf. Möglich wird das durch eine Mehrfachauslösung, die er aktiviert.
Baltabarin hat für dieses Kunststück keine so ausgefeilte Technik. Für
seine komische Version des Tellschuss bedient er sich eines Zuschauers.
Auch bei seinem nächsten Lied wird Luis Polo Martinez wieder vom Provoli
Ballett begleitet. Das Quartett ist ebenfalls im Hintergrund dabei, wenn
Steacy Giribaldi auf verschiedenen Leitern balanciert. Die Spanierin ist
eine der wenigen Frauen, die dieses Genre beherrschen. Elegant, mit viel
Ausstrahlung geht es die Sprossen herauf und hinunter. Zum Finale läuft
sie mit einer Leiter über auf einem Gestell montierte kleine
Plattformen.
 
Hermanos
Rodriguez Jr., Provoli Ballett und Luis Polo Martinez
Bronze gab es für
die Hermanos Rodriguez Jr. beim diesjährigen Festival in Girona. Erick
und Sergio haben sich den Ikarischen Spielen verschrieben. Nach einem
Intermezzo von zwei mexikanischen Tanzpaaren wirbelt der eine Bruder den
anderen mit den Füßen durch die Luft. Rasante Salti und andere Sprünge
absolvieren die smarten Jungs mit ordentlich Charme. Die beiden wissen
einfach, wie man das Publikum abholt. Das Glück, von Ringgirl Steacy
Giribaldi angekündigt zu werden, hat Boxer Baltabarin. Er tritt im
stilechten Outfit gegen einen imaginären Gegner an. Sei Spiel ist
filigran, seine Ideen sind eigenständig. Aber auch hier reagiert das
Publikum nicht immer mit einem Lachen, wo dies ganz offensichtlich
vorgesehen ist. Wunderschöne weiße Kleider trägt das Ballet bei seiner
letzten eigenständigen Choreographie. Und auch Luis Polo Martinez ist
wieder mit einem Lied dabei. Noch einmal steht Nicol Nicols im
Scheinwerferlicht. Nun in seiner Paradedisziplin, dem Drahtseil. Er
startet spektakulär mit dem Sprung durch einen mit Messern besetzten
Feuerreifen. Am Ende seiner Darbietung stehen der Rückwärts- und der
ungleich schwierigere Vorwärtssalto. Nicols gehört zu den wenigen
Artisten, die beide beherrschen. Es folgt das große Finale mit der
Einzelvorstellung aller Mitwirkenden, dem Zuprosten mit Tequila und
gemeinsamen Choreographien. Dabei hängt eine Pinata über den Akteuren.
Leider wird sie nicht zerschlagen, was nochmal ein schöner Effekt
gewesen wäre. Einen Epilog gibt es diesmal nicht. |