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Apollo Varieté 2023 - Fiesta Mexicana
www.apollo-variete.com - 140 Showfotos

Düsseldorf, 10. April 2023: Im vergangenen Sommer hat uns das Apollo Varieté das letzte Mal mit auf Reisen genommen. Damals ging es nach Hawaii. Danach wurde gemeinsam mit den Gästen das 25 Jahre-Jubiläum und Weihnachten gefeiert sowie der Rock'n'Roll Circus besucht. Jetzt geht es wieder hinaus in die Welt. Mit „Fiesta Mexicana“ wird die lose Reihe der rund um eine bestimmte Destination inszenierten Shows fortgeführt. Das Land südlich der USA eröffnet eine Fülle an Möglichkeiten, was Musik, Bekleidung und Traditionen angeht. Regisseur Noe Espana kann also aus dem Vollen schöpfen. Zudem hat der Schwager von Eliana Paul eine große Anzahl wunderbarer Artisten zur Verfügung.

In den vergangenen drei Produktionen war immer mindestens eine, zumeist aber mehrere Nummern, von Bingo dabei. Alle von hoher Qualität, keine Frage. Aber man merkt ihnen eben doch die Schule des Circus Theater aus Kiew an. Jetzt gibt es wieder die volle Vielfalt eines internationalen Ensembles. Ein paar wenige der Akteure kommen direkt aus Mexiko. Wie der Vergleich von Flyer und tatsächlicher Spielfolge zeigt, gab es wohl kurz vor der Premiere noch Änderungen.


Szene aus dem Finale

Diesmal nicht dabei sind das hauseigene Ballett sowie eine Liveband. Dafür kommen wir in den Genuss von Tänzerinnen aus Mexiko und einem spanischen Sänger. Von Provoli Espectaculas stammen die vier Damen, die in wunderschönen traditionellen Kleidern die Folklore ihres Landes an den Rhein bringen. Das wirkt alles sehr authentisch, bietet aber nicht die gewohnte Abwechslung zwischen den einzelnen Auftritten. Sänger Luis Polo Martinez kommt in mexikanischer Aufmachung daher und intoniert zum Motto passende Lieder. Das Bühnenbild ist ebenfalls sehr ansprechend im Maya-Stil, beschränkt sich aber auf eine Kulisse, die keine weiteren Funktionen bietet und nicht bespielt werden kann. Die kleine seitliche Bühne beheimatet eine mexikanische Bar, welche aber nur wenig genutzt wird. Das Licht ist wie immer stark und Atmosphäre schaffend eingesetzt.


Garcia Brothers, Baltabarin, Munoz Sisters

Der Auftakt ist sehr stimmungsvoll und bringt uns direkt mittenrein nach Mexiko. Ballett und Sänger in prächtigen Kostümen zeigen eine Choreographie, die die Geschichte des Landes beschwört. Sodann nimmt der Häuptling, verkörpert von Luis Polo Martinez, auf seinem Thron Platz und bewundert mit seinem Hofstaat die Künste seiner Krieger. Als solche aufgemacht erleben wir die Garcia Brothers. Für Connor und Antonio ist es das erste Engagement unabhängig von den Eltern, die derzeit mit ihrer Luftartistik an der Rakete mit Gandey's Circus auf Tournee durch Großbritannien sind. Schon seit vielen Jahren arbeiten die Brüder ihre Partner-Akrobatik und entwickeln sie ständig weiter. Immer wieder sind neue Tricks dabei. Zu ihrem Repertoire gehören neben verschiedenen Handständen unter anderem der mit den Zähnen gehaltene „Kopfstand“ sowie der Bogenschuss mit den Füßen. Als (fast) echter Mexikaner mit Schnauzer und Sombrero präsentiert sich der spanisch-chilenische Komiker Baltabarin, alias Juan Carlos, in seinem ersten kurzen Auftritt. Zopfhang in allen denkbaren Variationen ist die Spezialität der Munoz Sisters. Isabella und Daniela stammen aus einer kubanischen Circusfamilie. Ihre aktuelle Nummer hatte im vergangenen Jahr bei Gifford's Circus Premiere. Darin fliegen sie an den Haaren aufgehängt nebeneinander über die Bühne oder aber im Zopf-an-Zopf. Die Haare der Oberfrau werden auch genutzt, um daran nacheinander Tücher und Luftring zu befestigen. An diesen Requisiten präsentiert die andere Schwester dann verschiedene Tricks.


Luis Polo Martinez, Brandon Popova, Kimberly Zavatta

Das folgende große Bild gestalten das Provoli Ballett sowie Luis Polo Martinez mit Tanz und Gesang. Brandon Popova haben wir 2018 beim Circus Royal in der Schweiz erlebt. Inzwischen hat der Jongleur seine langen Haare gegen einen flotten Kurzhaarschnitt eingetauscht. Rasant und sympathisch jongliert er mit Keulen, Bällen – in die Luft und zum Boden – sowie Strohhüten. Der Sohn des argentinischen Raubtiertrainers Bruno Raffo bringt Tempo in die Show. Originell der Übergang zu Baltabarin. Der Clown würde gerne auch einmal jonglieren, aber Popova will ihm seine Keulen nicht geben. Also nimmt er einfach eigene. Nach dem Wechsel des Oberteils ist er ein „richtiger“ Artist, der sogar neun Keulen gleichzeitig durch die Luft fliegen lässt. Wenn auch mit ein wenig Mogelei. In zum letzten Auftritt leicht modifizierten Kostümen erleben wir das nächste Bild mit Ballett und Sänger. In diesem adressiert Luis Polo Martinez zum ersten Mal an diesem Nachmittag das Publikum direkt. Kimberly Zavatta war im Februar 2020 gemeinsam mit Bruder Holler im Kronebau mit einer Rollschuhnummer engagiert. In Düsseldorf nun erleben wir die hübsche junge Dame im Solo. Jetzt zeigt sie eine traumhafte Kür an den Strapaten. Zusätzlich zu den bekannten Tricks des Genres, die sie sehr charmant präsentiert, arbeitet sie einen Zahnhang. Der spanische Circo Smile ist ihre artistische und familiäre Heimat. Erfolgreich macht Baltabarin einer Senorita seine Aufwartung. Die angebotene Rose nimmt sie gerne entgegen. Und so machen sie sich gemeinsam auf den Weg von der Bühne. Auf dem nun ausgebreiteten Poncho von Baltabarin steht das Wort „Pause“.


Nicol Nicols & Kimberly Zavatta, Baltabarin, Steacy Giribaldi

Nach der Unterbrechung, in der man etwa einen weiteren Gang des speziell auf das Mexiko-Thema abgestimmten Menüs einnehmen kann, empfängt uns das Ballett auf der Bühne, um diese nach dem Tanz für Baltabarin freizumachen. In seine in diesem Programm ausführlichste Szene bezieht er ein junges Paar aus den Zuschauerreihen ein. Vor dem Auftritt gibt es an der Bar gegen die Nervosität Tequila für alle. In dem Sketch geht es um ein Pärchenfoto. Zunächst will der Clown seine Gäste gemeinsam ablichten, dann entscheidet er sich aber, zusammen mit der Dame selbst auf das Bild zu gehen. Die beiden verschwinden hinter dem Vorhang und kommen mit Kinderwagen zurück. Das ist insgesamt wirklich originell, eigenständig und herrlich gespielt. Allerdings zünden die Pointen am Ende nur bedingt, da sie schlichtweg nicht verstanden werden. Die Corona-bedingte Zwangspause hat Nicol Nicols dazu genutzt, sich eine zweite Nummer aufzubauen. In dieser erleben wir ihn als präzisen Schützen mit der Armbrust. An Partnerin Kimberly Zavatta ist es, ihm die Zielobjekte wie eine Spielkarte oder eine Rose hinzuhalten. Im Zahnhang rotierend hat sie zwei Tafeln in der Hand, die Nicol sicher mit seinen Pfeilen trifft. Beim Schlusstrick trägt er den zu durchbohrenden Apfel selbst auf dem Kopf. Möglich wird das durch eine Mehrfachauslösung, die er aktiviert. Baltabarin hat für dieses Kunststück keine so ausgefeilte Technik. Für seine komische Version des Tellschuss bedient er sich eines Zuschauers. Auch bei seinem nächsten Lied wird Luis Polo Martinez wieder vom Provoli Ballett begleitet. Das Quartett ist ebenfalls im Hintergrund dabei, wenn Steacy Giribaldi auf verschiedenen Leitern balanciert. Die Spanierin ist eine der wenigen Frauen, die dieses Genre beherrschen. Elegant, mit viel Ausstrahlung geht es die Sprossen herauf und hinunter. Zum Finale läuft sie mit einer Leiter über auf einem Gestell montierte kleine Plattformen.


Hermanos Rodriguez Jr., Provoli Ballett und Luis Polo Martinez

Bronze gab es für die Hermanos Rodriguez Jr. beim diesjährigen Festival in Girona. Erick und Sergio haben sich den Ikarischen Spielen verschrieben. Nach einem Intermezzo von zwei mexikanischen Tanzpaaren wirbelt der eine Bruder den anderen mit den Füßen durch die Luft. Rasante Salti und andere Sprünge absolvieren die smarten Jungs mit ordentlich Charme. Die beiden wissen einfach, wie man das Publikum abholt. Das Glück, von Ringgirl Steacy Giribaldi angekündigt zu werden, hat Boxer Baltabarin. Er tritt im stilechten Outfit gegen einen imaginären Gegner an. Sei Spiel ist filigran, seine Ideen sind eigenständig. Aber auch hier reagiert das Publikum nicht immer mit einem Lachen, wo dies ganz offensichtlich vorgesehen ist. Wunderschöne weiße Kleider trägt das Ballet bei seiner letzten eigenständigen Choreographie. Und auch Luis Polo Martinez ist wieder mit einem Lied dabei. Noch einmal steht Nicol Nicols im Scheinwerferlicht. Nun in seiner Paradedisziplin, dem Drahtseil. Er startet spektakulär mit dem Sprung durch einen mit Messern besetzten Feuerreifen. Am Ende seiner Darbietung stehen der Rückwärts- und der ungleich schwierigere Vorwärtssalto. Nicols gehört zu den wenigen Artisten, die beide beherrschen. Es folgt das große Finale mit der Einzelvorstellung aller Mitwirkenden, dem Zuprosten mit Tequila und gemeinsamen Choreographien. Dabei hängt eine Pinata über den Akteuren. Leider wird sie nicht zerschlagen, was nochmal ein schöner Effekt gewesen wäre. Einen Epilog gibt es diesmal nicht.

Insgesamt geizt „Fiesta Mexicana“ etwas mit originellen Einfällen abseits der eigentlichen Darbietungen. Da hat uns das Apollo in anderen Produktionen schon durchaus stärker verwöhnt. Zudem besteht über den Nachmittag eine gefühlte Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum. Dafür gibt es die Künstler am Ende im Foyer quasi „zum Anfassen“. Eine schöne Geste, die für Gespräche und Fotos genutzt wird. Insgesamt bietet die Show starke, abwechslungsreiche Artistik, einen außergewöhnlichen Clown sowie stimmige Folklore bei Tanz und Gesang. Alles ist professionell in Szene gesetzt und die Vorstellung hat ein hohes Tempo, es geht Schlag auf Schlag. Ein anregender Kurztrip nach Mexiko also.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch