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Friedrichsbau-Varieté - Fantastique
www.friedrichsbau.de

Stuttgart, 2. August 2012: Zum dritten Mal nach 2009 und 2011 hat Regisseur Ralph Sun eine Illusionsshow im Friedrichsbau-Varieté zusammengestellt – und, gemessen an den vorherigen Zauber-Programmen, sein Meisterwerk geschaffen. „Fantastique – das Magische Kabinett der Madame Roxanne“ verlegt die Zauberei in einen ebenso eleganten wie geheimnisvollen Salon Anfang des 20. Jahrhunderts. Die lose Handlung dreht sich darum, dass Gastgeberin Madame Roxanne die Besten ihrer Zunft zu einem magischen Zirkel geladen hat, bei dem jeder sein erstaunliches Können präsentiert.

Für die Show wurden ausschließlich Künstler ausgewählt, die in diesen historisierenden Kontext passen. So ist eine Illusionsshow neuer Prägung entstanden, die sich durch eine faszinierende Stummfilm-Ästhetik anstelle immer irgendwie aufgesetzt wirkender Las-Vegas-Haftigkeit auszeichnet. Großen Anteil an der Gesamtwirkung des Abends hat auch die Musikauswahl, von Thomas Rother als „buckeligem Pianisten“ umgesetzt. Sie reicht von Filmmusiken aus der „Addams Family“ oder „The Sixth Sense“ bis zu Ralph Benatzkys „Klopfgeist“ und unterstreicht so die geheimnisvolle Atmosphäre zwischen Spukschluss und Gruselfilm.


Jan Becker: Gedankenleser, Mutmacher, Hypnotiseur 

Wiederum lässt Ralph Sun seine Künstler in Spielszenen miteinander interagieren, formt sie zum Ensemble. Dennoch steht in dieser Show ein Mann klar im Mittelpunkt: Jan Becker, der „Wundermacher“, Gewinner der „Next Uri Geller Show“ im Jahr 2009. Ganz in schwarz, mit Weste und Gehrock, tritt der Berliner vors Publikum. Auf dem kahlrasierten Schädel wurde nur ein markanter, geschwungener Streifen Haar gelassen. Seine ruhige und beruhigende Stimme, mit der er fortwährend spricht, sein gesamter Duktus verbreitet eine positive Wärme. Gleich im ersten Auftritt dringt er, anscheinend oder auch nur scheinbar, in die Gedanken von Besuchern ein. Errät Zahlen auf einem Würfel, gleichgültig, ob dieser vom Zuschauer zufällig geworfen oder eine Zahl bewusst gewählt worden war. Errät die Begriffe zu bestimmten Kategorien, die drei Zuschauerinnen sich im Stillen überlegen sollten. „Unser Körper verrät in minimalen Bewegungen, was der Kopf denkt“, beschreibt Becker im Zeitungsinterview seine Kunst.


Jan Becker: Den Herzstillstand erfühlen

Einer Zuschauerin verleiht er das Gefühl, Wärme oder wahlweise Kälte in ihrer Hand zu spüren – und lässt sie fühlen, wie er für Momente sein Herz „stillstehen lässt“. Durch sechs Frauen, die sich mit ihm zu einem Kreis aufstellen, lässt er „Energie schießen“ – so deutlich, dass die Damen just im gleichen Moment erschrocken zusammenfahren. „Ja, ja, es war wirklich so“, sagt eine Frau flüsternd zu ihren Begleitern, als sie zu ihrem Platz zurückgeht. Doch es geht Becker nicht ums Erschrecken, sondern vielmehr ums Aufbauen seiner Gäste. Einer Frau verleiht er solche Kräfte, dass sie, nur auf einem Bein stehend, nicht mehr umzuwerfen ist und ihre auf den Kopf gelegte Hand nicht mehr gelöst werden kann. Becker hält das Publikum fest in seiner Hand. Er stößt nicht auf Gegenwehr, sondern löst eher einen Run auf die Bühne auf, als Freiwillige für eine Blitz-Hypnose gesucht werden. Binnen kürzester Zeit liegen drei Zuschauer tief schlafend auf der Bühne und erhalten eine Art heilsamer Stärkung. Dabei behauptet Becker gar nicht, Reales zu kreieren – vielmehr spricht er davon, wie die Menschen die Wirklichkeit durch ihre Fantasie gestalten könnten, anstatt ihr ausgeliefert zu sein. Auch vor Experimenten mit dem gesamten Publikum, in denen jeder Gast die Kraft der eigenen Fantasie erspüren kann, schreckt Becker nicht zurück. Für ein Liebespaar, das auf die Bühne gerufen wird, wird das geglückte und beglückende Experiment einer „Gedankenübertragung“ unvergesslich bleiben.


Roxanne 

Roxanne, im wahren Leben Ehefrau des renommierten Illusionisten Topas, ist die elegante Gastgeberin im magischen Salon. Mit einer kleinen Pistole „schießt“ sie sich einen Ring an den Finger und lässt auf andere erstaunliche Weise kostbaren Schmuck erscheinen und wieder verschwinden, später bringt sie mit dem Ensemble ein Tischchen zum Schweben, ergründet mit dem Publikum das Geheimnisvolle in einem alten Foto und führt mit weiteren Illusionen, zum Teil aber auch singend, durch den Abend.

 
Rafael, Sebastian Nicolas, Alberto Giorgi

Außergewöhnliche Großillusionen steuern Alberto Giorgi und Laura zu „Fantastique“ bei – außergewöhnlich vor allem auch durch die erstklassig-detailreich gestalteten Requisiten im historischen Stil, auf die natürlich auch Kostüme und Gesamtauftritt abgestimmt sind. Da verschwindet der Körper der Assistentin, wo der Kopf noch zu sehen ist; da trennt der Magier scheinbar den eigenen Rumpf von den Beinen; da wird die Frau von herabstürzenden Speeren „durchbohrt“. Das Genre Manipulation wurde mit Sebastian Nicolas exquisit besetzt – elegant, geheimnisvoll und durchweg nach Belieben lässt der 25-Jährige Kugeln, Spielkarten und Uhren erscheinen oder verschwinden. Kleine Wunder, die nur durch Geschick und Fingerfertigkeit entstehen. Der Belgier Rafael bringt eine humorvolle Note ins Programm, ob er nun scheinbar seine Zunge durchbohrt oder sich durch die Verwandlung eines einzigen Huts in verschiedene Rollen von der Nonne bis zu Napoleon begibt. Von seiner Partnerin Jenny und dem Magier Adrian Soler wird der Komiker schließlich, in einer Pappkiste stehend, zum Schweben gebracht. Wenig später ist es wieder Rafael, der zwei Damen durch eine große Presse auf Papierformat „kurbelt“ und aus den zu Plakaten gewalzten Assistentinnen selbstredend wieder Frauen aus Fleisch und Blut macht.

„Fantastique“ ist eine relativ ruhige Show, zugleich aber auch eine der fesselndsten und interessanten Produktionen, die Ralph Sun im Friedrichsbau je zusammengestellt hat – besonders der Eindruck des „Wundermachers“ Jan Becker wirkt noch lange nach. Die starke Besetzung und ein rundum überzeugendes Gesamtkonzept machen dem Motto der Show alle Ehre: Fantastique!

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber