In kurzen Szenen mit
wenigen Worten, mit ganz wenigen Federstrichen, gelingt es, das Leben
der Piaf in Grundzügen nachzuzeichnen. Der Vater war Kontorsionist im
Wandercircus, die Mutter Kaffeehaussängerin; Piafs Kindheit wurde
geprägt von Hunger, dem Alkoholismus des Vaters, der Gewalttätigkeit des
Millieus, in dem sie aufwuchs. Mit 15 Jahren schlägt sie sich allein als
Straßensängerin durch Paris und wird von dem Kabarettbesitzer Louis
Lepplé entdeckt. Er gibt Edith Giovanna Gassion den Namen, unter dem sie
bekannt wird (La mome Piaf – Kleiner Spatz), und wird später ermordet.
Regisseur Ralph Sun zeigt nach intensiven Studien ihrer Biographie Piafs
Schmerz, ihre Melancholie und ihre Liebessehnsucht, ihre selbst
erschaffenen Dramen, die sie hinter den Kulissen lebt. Und er zeigt
ihren Triumph bei den ganz großen Auftritten. Die Töne eines sich
einstimmenden Orchesters, eine große Ansage aus dem Off schaffen dazu
die Konzerthausatmosphäre. Später dann der Tod ihrer großen Liebe, des
Boxers Marcel Cerdan. Für Piaf ein Schicksalsschlag, von dem sie sich
nie mehr erholt.
"Wir brauchen noch
Zeit, um etwas zu erleben, an das wir uns erinnern können", fleht sie zu
Gott und singt "Mon dieu".
Zahlreiche Liebschaften und mehrere Ehen,
Medikamentensucht und Alkoholexzesse – das wahre Leben der Piaf war wohl
noch drastischer und abgründiger, als es die Show „Excentrique“ vermuten
lässt, als es eine Unterhaltungsshow zeigen kann. Zu Beginn sehen wir
Edith Piaf auf dem Sterbebett. „Nein, es tut mir nicht leid“, sagt sie
und schaut zurück auf ihr Leben. Vor dem Finale wieder das Sterbebett,
nun bis zu ihrem letzten Atemzug.
  
Evi Niessner,
Mr. Leu
Halbtransparente
Raumteiler, die gedreht und verstellt werden können, ermöglichen
schnelle Szenenwechsel, fast wie bei einer Drehbühne. Filme und Dias aus
Piafs Leben, Überblendungen und projizierte Grafiken – geschaffen von
der Berliner Projektionskünstlerin Yuti K. Feiler – schaffen
authentische Szenerien von Pariser Straßenzügen bis zu verrauchten
Kabaretts. Und in dieser Kulisse agieren Evi Niessner als Edith Piaf und
ihr Partner Mr. Leu. Beide sind keine Unbekannten im Friedrichsbau,
führten im Winter 2008/2009 bereits durch die Burlesque-Show „Miss Evi’s
Club“. Niessner, ausgebildete Opernsängerin, hat sich bereits in anderen
Theaterproduktionen und Soloprogrammen einen Namen als Piaf-Interpretin
gemacht. Sie singt die Piaf nicht nur, sie lebt sie. Von den glücklichen
Momenten bis zu den Zusammenbrüchen, so authentisch, dass man das
Original vor sich glaubt. Sie habe bewusst keine Filme über die Piaf
gesehen, sagte Niessner im Interview mit den Stuttgarter Zeitungen –
aber die Musik, die der Piaf auf den Leib geschrieben wurde, habe etwas
Physisches, das dazu zwinge, sich so zu bewegen. Mr. Leu agiert an
Niessners Seite in unterschiedlichsten Rollen, von ihrem Entdecker
Lepplé bis zum Komponisten Charles Dumont, treibt die Handlung voran,
hält ihr als Hofnarr den Spiegel vor. Und zeigt an Piano und mit
großartiger Stimme seine hervorragenden musikalischen Fähigkeiten. Alle
großen Lieder der Piaf haben Platz in diesem Programm. „La vie en rose“,
„Non, je ne regrette rien“, „Milord“ – letzteres ganz kurz, als
Pausengag, auch in der jecken Textfassung vom „Roten Pferd“.
  
Erna Sommer,
Mathias Romir, Benno und Johannes
Sorgfältig ausgewählt
sind wiederum die artistischen Darbietungen, die sich bestens in die
Färbung der Piaf-Show einfügen. Den Auftakt macht der Nürnberger
Matthias Romir mit einer heiteren, außergewöhnlichen Jonglage mit drei
Gegenständen: Hut, Brille und Ball. Mehrmals stehen Absolventen der
Berliner Artistenschule auf der Bühne. Zu ihnen gehören Benno und
Johannes mit ihrer sympathisch-furiosen Diabolojonglage. Auf dem
Laufsteg mitten im Publikum lassen sie die goldfarbenen Diabolos, zum
Teil samt Seilen und Stöcken fliegen. Ein ungeheuer dynamisches Bild und
ein wenig Schrecken für die Besucher auf den direkt angrenzenden
Plätzen. Die bezaubernd hübsche Erna Sommer zeigt am Trapez eine
technisch anspruchsvolle Arbeit mit zarter Anmutung. Zu Klaviermusik und
im langen, braunen Abendkleid hängt sie im Fers- oder Genickhang, zeigt
diverse Umschwünge und pustet am Ende ganz sachte einen Papierschnipsel
aus ihrer Hand.
  
Sarah Trägner, Yann und
Geg, Jérome Murat
Drittens kommt auch
die Schlappseilkünstlerin Sarah Trägner von der Berliner Artistenschule.
Vom Kopfstand auf dem Boden, mit den Füßen im Seil eingehakt, wechselt
sie zum Kopfstand auf dem Seil. Ebenfalls an Artistenschulen, allerdings
in Frankreich und Kanada, wurden Yann und Greg ausgebildet. Ihre
Darbietung über einen Schriftsteller, der mit seinem Gewissen in Gestalt
eines Engels konfrontiert wird, ist doch reichlich verkopft, auch wenn
sie einige feine Leistungen des Hand-auf-Hand-Genres beinhaltet. Die
größte Überraschung war für uns, dass diese Bronze-Preisträger vom
jüngsten „Cirque de Demain“ nun rasch in einem der renommiertesten
Varietéhäuser arbeitet. Wir hätten der Nummer eher eine auf die
französische „Cirque Nouveau“-Szene begrenzte Zukunft vorhergesagt. In
den großen Häusern wie Lido und Crazy Horse zu Hause ist Jérome Murat,
die lebende Statue mit zwei Köpfen. Der zweite Kopf, zunächst auf dem
Arm getragen, schwebt später frei und wechselt dann seinen Platz mit dem
Haupt der Statue. Eine Kombination aus Pantomime, Illusion und Poesie –
ebenso wie Yann und Greg ein wenig zu „künstlerisch“ für den
persönlichen Geschmack des Autors, mit allzu großem Deutungsspielraum. |