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Friedrichsbau - "Dream Factory"
www.friedrichsbau.de - 138 Showfotos

Stuttgart, 18. November 2022: In der Show „Dream Factory – Varieté meets Hollywood” im Friedrichsbau-Varieté Stuttgart warten die Künstler nicht aufs Christkind, sondern auf den Regisseur. Doch der kommt einfach nicht, als hier in einem Filmstudio der Traumfabrik ein neuer Streifen gedreht werden soll. So macht das Team der Regie-, Ton- und Kamera-Assistentinnen, was es will – angeführt vom Drehbuchautor, der seine Ideen auf Zelluloid bannen möchte. Dies ist die Grundidee dieser wunderbaren Produktion, die uns in die Vereinigten Staaten der 1940er Jahre entführt.

Markus Schimpp gibt den Drehbuchautor – im Opening spielt er am Klavier „Mister Sandman“, singt dazu und erzählt, wie in dem geplanten Film aus seinen Visionen Realität werden soll. Und wenig später davon, wie so manche Romanze am Set nur bis wenige Tage nach dem letzten Drehtag hält. Schimpp ist ein klassischer Conférencier, der sein Programm speziell für das Hollywood-Thema adaptiert hat und sich so perfekt in das Showkonzept einfügt. Nicht nur hierfür wurde bemerkenswerter Aufwand betrieben, sondern auch für das Bühnenbild mit großer, zweiflügeliger Showtreppe, die Werner Fritzsche nach den Vorstellungen von Regisseur Ralph Sun gebaut hat. Auf dieser verfolgt das Ensemble aufmerksam das Treiben.
 


Fanny di Favola, Oleksandra Leuta, Vegas Showgirls

Oleksandra Leuta umkreist in ihrer Darbietung kraftvoll die Polestange, begleitet von Jazzmusik. Dafür erntet sie großen Applaus. Gemeinsam tanzt das ganze Ensemble auf der Bühne, bis schließlich die Frage aufkommt, wo denn die Diva sei – auch sie wird noch vermisst. Doch im Gegensatz zum ausbleibenden Regisseur können wir sie gleich entdecken, in ihrer Garderobe mit Kosmetiktisch und Spiegel, die am rechten Bühnenrand erscheint. Eigentlich hätte Jonathan Finch-Brown diese Diva spielen sollen, doch der Künstler steht verletzungsbedingt noch nicht zur Verfügung. So wurde die Stuttgarter Burlesque-Tänzerin Fanny di Favola als Vertretung gewonnen, und sie überzeugt dabei vollauf. Aus ihrem mondänen Glitzerkleid entblättert sie sich kunstvoll bis auf knappste Unterwäsche. Als große Film-Diva gibt sie dem Burlesque-Thema nochmal eine ganz andere Note als bei den Performances dieser Art, die in den letzten Friedrichsbau-Shows zu sehen waren. Um das ewige Thema der Liebe dreht sich auch Markus Schimpps freches Lied, in dem er schlüpfrig beschreibt, wie er die Frauen „in allen Variationen liebt“. Und sie dabei alle ganz pauschal „Schatz“ nennt, um nicht mit Namensverwechslungen in Fettnäpfchen zu treten. Ganz bezaubernd und sympathisch begleiten uns die fünf Tänzerinnen der Vegas Showgirls durch den Abend, zunächst mit einer Choreographie mit Stepptanz-Elementen zum Song „Just Dance“. In diesem Auftritt tragen alle Tänzerinnen unterschiedliche, aber durchweg kokette Kostüme und überraschen mit sorgfältig aufeinander abgestimmten Soloparts.


Vitzo und Lui Nereus, Marta Paley

Ein sehr selten gezeigtes Genre bringt Vitzo Nereus bei ihren Glasbalancen auf die Bühne. Gleich zu Beginn gelingt es ihr, das Tuch zwischen Mundstab und darauf balanciertem Glas herauszuziehen. Später dreht sie sich einmal um die eigene Achse, während sie einen Turm aus vier Gläsern auf dem Stab balanciert. Und zum Schlusstrick platziert sie eine Flasche auf einem Luftballon, lässt diesen platzen und die Flasche auf den Mundstab fallen, ohne dass das Gefäß zu Boden geht. Auch wenn der große Regisseur weiter auf sich warten lässt, dreht das Filmteam schon mal die „große Szene unter der Laterne“. Hierbei präsentiert Lui Nereus ein weiteres klassisches wie rares Genre, die Balancen auf einem schwankenden Mast. Dieser ist hier als Straßenlaterne gestaltet, in die er letztlich die fehlende Glühbirne eindreht. Zuvor jedoch gerät er in der turbulenten Trickfolge unter die Laternenfüße und lässt so keinen Zweifel daran, dass das Requisit bei falschen Bewegungen umzustürzen droht. Dennoch wagt der Herr im besten Alter obendrauf Kopfstand, freien Stand und Handstandwaage, verliert die Hose und baumelt schließlich an sich selbständig machenden Hosenträgern. Das kommt bei den Premierengästen super an. Beim Dreh für „die große Revueszene“ wird auch das Publikum einbezogen, das bei Markus Schimpps Gesang mit einem „Yeah“ unterstützen soll – im Zuge der Geschlechter-Gleichberechtigung von den Damen entschlossen-tief gesprochen und von den Herren bitte „schüchtern, aber doch willig“ intoniert. Die Tanz- und Kostümprobe des Balletts mündet dann doch noch in eine perfekt ausgeführte Choreographie in Showgirl-Kostümen. „I’m a simply juggling girl“ – der Begleitsong bei den Jonglagen von Marta Paley strahlt Understatement aus. Dabei ist ihr Können doch famos, wenn sie zuerst mit zwei kleinen Bällen und einem Luftballon, dann mit Zigarrenkisten jongliert – letzteres in einer eindrucksvollen Kombination mit Spitzentanz.


Thula Moon, Vegas Showgirls, Andrii Fidyk

Nach der Pause zelebriert Thula Moon zu dramatischer Musik eine aufregende, sinnlich-erotische Kontorsionsnummer – in einer Badewanne, auf deren Rändern und auf dem Bühnenboden davor, allerdings als „Trockenübung“ ohne Einsatz von Wasser. Am Ende verschwindet sie voll und ganz in der Wanne. Der Tanz des Balletts in mondänen, goldfarbenen Kostümen leitet über zu Andrii Fidyks Balancen auf der Rola Rola. Die Musikbegleitung im Tangorhythmus gibt diesen ihre außergewöhnliche Prägung. Mit einem beherzten Rückwärtssalto vom Piedestal auf die Bühne verabschiedet er sich. In amüsanter Weise lässt uns Markus Schimpp bei seinem nächsten Lied wissen, worauf er denn alles keine Lust hat. Konversation mit seiner Frau gehört ebenso dazu wie arbeiten, Steuern zahlen und krank sein. Und auch wenn eines Tages der Tod zu ihm kommt, schickt er ihn einfach weg, denn er hat ja keine Lust darauf! Am Telefon erfährt er, der Drehbuchautor, dass der Regisseur nun definitiv nicht ans Filmset kommen wird, er hatte einen Unfall. Das Ensemble quittiert es mit Jubel und tanzt ausgelassen in Partystimmung.


Marta Paley, Vegas Showgirls, Ben Finch-Brown

Für frivole Stimmung ist weiterhin gesorgt, wenn die beiden großen Brüste in Marta Paleys Kostüm sich als Jonglierkugeln entpuppen – und sich am Ende der Darbietung drei dieser vollen „Brüste“ in ihrem schwarzen Büstenhalter finden. Mindestens genauso gewagt geht es weiter, wenn Markus Schimpp in Damenunterwäsche zu einer Party gehen will und über den „Sex-Appeal“ singt. Und die erotische Stimmung setzt sich fort bei Fanny di Favolas zweiter Burlesque-Performance, in der sie eine fast endlos lange Stola in unerhört lasziver Weise einsetzt. Keck und glamourös bezirzen uns die Vegas Showgirls zunächst in eleganten weißen Kapitäns-Anzügen, um diese bald abzulegen und in knappen, glitzernden Matrosinnen-Outfits über die Bühne zu wirbeln. Aufgrund der genannten Verletzung seines Ehemannes Jonathan arbeitet Ben Finch-Brown bei der Schlussnummer im Solo statt zu zweit. Am Luftnetz folgen auf ruhige Posen dynamische Parts, Genickhang und ein Kreisel kopfüber.


Vegas Showgirls

In seinem letzten großen Auftritt zieht das Ballett auf den Flügeln der Showtreppe in einer weiteren Choreographie von Camilla Keutel und Debbie Paul nochmals alle Register. Der Auftritt in edlen Kostümen mit opulentem Federschmuck, glitzernden Pailletten und exquisiten Kopfbedeckungen bringt den Glanz einer großen Revue in den Friedrichsbau. Diese Szene leitet direkt über ins große Finale mit dem gesamten, 14-köpfigen Ensemble. Das Premierenpublikum nimmt die Vorstellung begeistert und mit lange anhaltendem Applaus auf.

Dass eine Gruppe Künstler notfalls auch ohne Regisseur auskommt, ist sicher nur eine augenzwinkernde Quintessenz dieser festlichen Winterproduktion. Vielmehr hat Ralph Sun mit seiner neuesten Kreation einmal mehr bewiesen, dass es im wahren Leben ohne die Ideen und die ordnende Hand eines versierten Regisseurs natürlich nicht geht. Die betörende Mischung aus glamourösem Showdance, artistischen Raritäten, ironisch-frechen Gesangseinlagen und erotischem Kitzel in nostalgischer 40er-Jahre-Szenerie verleiht dieser festlichen Winterproduktion das Prädikat „rundherum empfehlenswert“.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll