Die Rahmenhandlung
berichtet davon, wie eine frühere Artistin alias Lara „Grandma“ Paxton
in ihren Lebenserinnerungen schwelgt. Freilich: Es ist eine dieser
Geschichten, bei denen man vor der Show besser die Pressemappe lesen
sollte, um sie richtig zu verstehen. Zu Beginn deckt die „Grandma“ also
einen wahren Zirkus auf, der zunächst noch unter Tüchern verborgen ist.
Dazu gehören ein Artisteneingang, eine Circuskapelle und Manegenkästen.
Und damit beginnt die Zeitreise zu den Erinnerungen, die Zeitreise in
Grandmas frühere Circuslaufbahn. Der Conférencier – im Circus sagen wir
Sprechstallmeister – kündigt eine Show voller Sensationen an. Eine
davon: der schüchternste Mann der Welt! Doch davon später mehr.

Mr. Leu, Michael Clifton und Musiker
Auch am neuen
Standort macht das Friedrichsbau-Varieté keine Abstriche bei der
Qualität. Und so gibt es in dieser Produktion erneut Live-Musik, die
auch eine tragende Rolle spielt. Wieder einmal wurde dafür Mr. Leu
gewonnen, der am Flügel und mit seiner großartigen Stimme durchs
Programm führt. An seiner Seite: die beiden Musiker Ben Perkoff (Saxofon
und Flöte) und Robin Draganic (Kontrabass) sowie Komiker Michael
Clifton. Die meiste Zeit über sitzt er am Schlagzeug, doch später hat er
auch einen seiner berühmten Auftritte in schwarzen Strapsen und mit den
burlesken „Body Drums“. Mr. Leu, Michael Clifton und weitere Künstler in
dieser Produktion gehören zu den Stammgästen in den Produktionen von
Friedrichsbau-Regisseur Ralph Sun. Wie Schauspieler an einem Theater
setzt er sie immer wieder in neuen Rollen ein, um seine Showkonzepte
umzusetzen. Gleichwohl muss er darauf acht geben, dass unter den
wiederkehrenden artistischen Nummern nicht die Abwechslung leidet, die
das „Varieté“ im Namen trägt.
  
Diane Dugard, Juan Cocho
Nachdem wir uns
diesmal also in einem echten Circus befinden, gibt es gleich zwei
Tiernummern im Programm. Diane Dugard zeigt ihre Hühner, die über sie
laufen, während sie einen Zeitlupen-Purzelbaum schlägt oder einen
Handstand drückt. Und auch das Glockenspiel beherrscht das liebe
Federvieh. Auf das Huhn kommt auch Dugards Hund, wenn er mit Hahnenkamm
dekoriert sein Können zeigt. Ums Frauchen kreisen, Rechnen und nach
Seifenblasen schnappen gehören dazu. Diane Dugard verwandelt sich selbst
in ein Huhn, wenn sie im Federkleid und mit überdimensionalen
Hühnerfüßen ihrer Equilbristik-Nummer einen komischen Toch verpasst. Ihr
Partner Juan Cocho, zugleich als Akkordeon-Musiker im Programm
vertreten, trägt später ein Hahnengewand, während er im Cyrrad über die
Bühne rollt.
  
Giulio
Lanzafame, Die Maiers
Eine der weiteren
Circusattraktionen liefert der Italiener Giulio Lanzafame. Auf einem
Stuhl sitzend, jongliert er mit Händen und bestrumpften Füßen mit bis zu
fünf Bällen. Sieben schafft er im Stehen – dann freilich nur mit den
Händen. Später müht er sich auf amüsante Weise, das Schlappseil zu
erklimmen. Natürlich gelingt ihm dies schlussendlich. Allerdings
wiederholt er damit auch die Geschichte der „Maiers“. Das Paar, Sabine
Maier und Jochim Mohr, hat seine liebe Not damit, ans Trapez zu
gelangen. Ein junger Mann aus dem Publikum muss helfen, seinen Stuhl als
Aufstiegshilfe zur Verfügung stellen und diverse störende
Kleidungsstücke entgegennehmen oder wieder bringen.
  
Archie Clapp
(mit Zuschauer), Lara "Grandma" Paxton, Jean Ferry
In Ralph Suns
erster Show unter dem Titel „Clowns“ im Jahr 2012 standen mit den
KGB-Clowns und „I Baccala“ echte, klassische Clowns im Mittelpunkt -
damals bereits ergänzt durch Diane Dugards Hühnerdressur.
Nunmehr wolle er ein „facettenreiches Spektrum an schillernden
Kunstfiguren“ präsentieren, heißt es im Programmheft. Ein Clown im
eigentlichen Sinne, in der Gestalt des modernen Komikers, ist da im
Grunde nur Archie Clapp. Der jongliert auf seiner freistehenden Leiter
mit „nicht brennenden Fackeln“ oder lässt in einer absurden
Lichter-Jonglage leuchtende Punkte von einer Körperöffnung zur nächsten
wandern. Und dies alles gerne im hautengen, rosa „Super-Archie“-Dress.
Doch zurück zum eingangs erwähnten „schüchternsten Mann der Welt“. Der
wird verkörpert vom Berliner Artisten Jean-Ferry. Zunächst versucht „Super-Archie“
ihm zu helfen: Er zeigt Jean-Ferry, wie man zaubert. Davon gestärkt,
wagt sich Jean-Ferry aufs Trampolin, wo bei wilden Sprüngen und Salti
tatsächlich das Selbstbewusstsein in ihm erwacht. Nachdem Grandma ihre
Lebenserinnerungen Revue passieren ließ, wagt sie selbst noch einmal die
große Luftnummer. Sie streift das Kostüm von damals über und zeigt
Akrobatik am fliegenden Rollator. Hier schließt sich auch der Kreis der
Rahmenhandlung: Grandma stellt sich als Jean-Ferrys unerfüllte Liebe
heraus. Seine Schüchternheit stand jahrelang im Weg. Nun läuten die
Hochzeitsglocken. Und der Bräutigam zeigt sein famoses Können auf der
freistehenden Leiter, ehe der rote Vorhang fällt. |