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Friedrichsbau-Varieté - "Circus Circus"
www.friedrichsbau.de - 97 Showfotos

Stuttgart, 17. Dezember 2017. Die Zeiten sind schwerer geworden für den großen, reisenden Circus. Doch die Faszination des magischen Wortes bleibt ungebrochen. Bei den Weihnachtscircussen landauf, landab läuft das Publikum den Veranstaltern die Türen ein. Ausverkaufte Zelte überall. Mit „Greatest Showman“ flimmert der Circus aktuell auf den Kinoleinwänden. Und das Friedrichsbau-Varieté Stuttgart baut für die wichtige Winterproduktion auf die Zugkraft der Manege. „Circus Circus – Show, Freaks & Sensationen“ lautet der Titel der Produktion.

Damit tut Regisseur Ralph Sun das, was er in ähnlicher Form bereits vor sieben Jahren mit seiner Show „Nostalgia“ gemacht hat: Er entwirft, jedenfalls fragmentarisch, das Bild eines nostalgischen Circus, einer Manege früherer Zeit. Die Sideshow inklusive. Doch während es 2010 noch ein aufwendiges Bühnenbild gab, muss in dieser Spielzeit darauf verzichtet werden, abgesehen von orangefarbenen Tafeln links und rechts. Dafür ist vor dem Friedrichsbau ist ein „Circuszelt“ aufgebaut, das als Entree zum Theater dient und aufs Kommende einstimmt. Natürlich waren wir besonders gespannt, wie das Circus-Thema umgesetzt werden würde.


Silea, Merlin
 

Um es gleich vorweg zu sagen: Über drei Szenen dieser Show haben wir uns sehr geärgert. Eine besteht daraus, dass Artistin Silea Rasierklingen verspeist und diese, aufgefädelt an einer Schnur, wieder aus ihrem Mund zieht. Dazu tropfen größere Mengen Kunstblut aus dem Mund auf ihr weißes Kleid. Das gab es schon in der Produktion „Nostalgia“, in der Silea ebenfalls mitwirkte. Unwillig sehen wir zu, der Applaus im Saal bleibt praktisch aus. Es bleibt das Geheimnis der Regie, warum dies auch noch die Pausennummer sein muss. Wütend macht die Episode, in der eine Stoffkatze durch einen Reifen springen soll. Das scheinbar vor Angst zitternde „Tier“ wird zum „Todessprung durch den Höllenring“ (Zitat) gezwungen und verliert dabei den Schwanz. Die Mär von der Tierquälerei im Circus ist nicht lustig. Wer mit dem guten Namen des Circus wirbt, muss diesen nicht in den Schmutz ziehen. Ungläubig verfolgen wir auch einen der Auftritte von Weißclown Merlin, besser bekannt als Ferkel Johnson. Er fragt einen Zuschauer in der ersten Reihe nach Vorname und Geburtsjahr. Und schreibt beides auf einen Grabstein, ergänzt um die Jahreszahl 2017. Der Gast wird mit der Möglichkeit des eigenen Todes noch im gleichen Jahr konfrontiert. Er soll ein einziges Wort nennen, das sein bisheriges Leben beschreiben, zusammenfassen könnte. Doch der Gast weigert sich an diesem Abend. Wir verstehen ihn gut. Niemand soll in einer Unterhaltungsshow mit der Option des baldigen Ablebens konfrontiert werden. Auch wenn Merlin für diese geschmacklose Übung laut Medienberichten bewusst nur jüngere Zuschauer wählt.


Ruslan Sementsov, Olga Golubeva, Jacopo Candeloro
 

Wenn man diese Szenen striche, bliebe ein schönes, durchweg unterhaltsames Programm übrig. Es beginnt mit Olga Golubeva und ihrer Akrobatik am Flying Pole. Ihr frei schwingend aufgehängter Mast ist wie eine Straßenlaterne gestaltet. Sie zeigt daran kraftvolle Posen, überraschende Abfaller und kreiselt wie in einem Karussell am rotierenden Requisit. Der Auftritt ist der Vorstellung wie ein Prolog vorangestellt. Erst danach zieht das Ensemble in einer Parade in den Varietésaal ein. Merlin, in der Art eines Rekommendeurs, verspricht eine Show „so großartig, dass Ihnen die Ohren schlackern werden.“ Heiter geht es los mit dem Duo „Circus Follies“ aus Italien. Jacopo Candeloro jongliert im nostalgischen Karo-Outfit mit drei Keulen und bis zu vier Zylindern. Dabei wird er von seiner Frau Flor Luludi augenzwinkernd ums Jackett erleichtert. Ganz ernsthaft geht es dagegen zu, wenn Ruslan Sementsov seine kraftvollen Runden im Cyrrad dreht. Die Maskerade mit schwarz lackierten Fuß- und Fingernägeln sowie geschminkter Teufelsfratze wäre verzichtbar.


Denis Klopov, Dan Marques, Silea

Zu den schönsten Nummern des Abends gehört der Auftritt von Dan Marques. Nach Belieben lässt er die Knöpfe an seinem Kostüm erscheinen, die Position wechseln, verschwinden und auf riesenhafte Größe wachsen. Eine charmante Illusionsnummer zum Schmunzeln. Dass Silea das Kunstblutspucken und ihre „Raubtierdressur“ nicht nötig hätte, zeigen ihre weiteren Auftritte. Dabei erweist sie sich als hervorragende Akrobatin, die an der Berliner Artistenschule ausgebildet wurde. Originell sind ihre Balancen auf frei stehenden Flaschen. Sie dreht sich, mit einem Fuß auf einem Fläschchen stehend, einmal um die eigene Achse. Und sie erklimmt erfolgreich eine „Treppe“ aus unterschiedlich hohen Flaschen. Ein Mitspieler aus dem Publikum stellt die Flaschen auf. Charmant plaudert Silea mit französischem Akzent mit dem Gast. Außergewöhnlich und stark ist die Darbietung von Denis Klopov. Er lässt Bälle auf den Spitzen von kleinen und großen Schirmen kreiseln. Wirklich originell sein Schlusstrick. Insgesamt zwölf Bälle drehen sich hier auf seinen Fingern sowie auf Mini-Schirmen, die er an den Schuhspitzen, am Körper und an einem mit den Zähnen gehaltenen Gestell befestigt hat.


Tito Medina und Eduardo Lamberti 

In der Pause wird auf der Bühne der gewaltige Apparat für die Fangstuhlnummer von Tito Medina und Eduardo Lamberti aufgebaut. Sie produzieren sich mit Genickhangwirbel, Salto und Blindsprung sowie haarsträubenden Gags wie einem Scheinsturz am Gummiband. Die Mischung aus Comedy und Akrobatik bekommt verdientermaßen den größten Applaus des Abends. Gute Laune macht auch der zweite Auftritt von „Circus Follies“. Nun zeigen sie eine Passingjonglage mit sieben Keulen. Er balanciert dabei auf einer großen Kugel, sie auf einem Einrad. Merlin alias Ferkel Johnson stand bereits im Herbst 2016 auf der Bühne des Friedrichsbaus. Nun zeigt er als Weißclown neue Facetten seines Könnens. Außer in der missglückten Grabstein-Szene weiß er wieder mit seiner Mischung aus Poesie und Provokation, Witz und Melancholie zu gefallen. Am allermeisten in seinem ergreifenden Gedicht auf den Circus.


Lucky Hell, Silea, Nanou 

Ihre Kunst auf dem Drahtseil zeigt Silea unter anderem beim Aufstehen aus der Hocke, beim Gleiten in den Spagat und bei gewagten Sprüngen. Schwertschluckerin Lucky Hell präsentiert sich als über und über tätowiertes Pin-up-Girl. Lasziv im Burlesque-Stil schluckt die kurvige Blondine im knappen Outfit lange und gewellte Schwerter und als Spitzentrick gar zwei Schwerter auf einmal. Seriös und elegant dagegen agiert Nanou bei ihren Handständen. Als Schlussnummer zelebriert sie diese inmitten des Publikums auf der kleinen Mittelbühne. Diese Nähe von Zuschauer und Geschehen ist ein wichtiger Teil der Zauberwelt Zirkus. In ihrer Bühnen-Version wird sie im Finale mit anhaltendem Applaus bedacht.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber