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Stuttgart,
28. August 2008: Das Friedrichsbau-Varieté in Stuttgart ist nach
einmonatiger Sommerpause in die Saison 2008/2009 gestartet. Die
erste Eigenproduktion der Spielzeit, „Bitter Sweet“, bietet nach
Ausflügen ins Moderne nun wieder klassisches Nummernvarieté mit
Orchester auf der Bühne, Showtreppe und Glitzervorhang, das von
gleich zwei Conférenciers begleitet wird – eben kontrastreich
bitter-süß mit dem gnadenlos schlecht gelaunten Zauberer
Hieronymus und der lasziven Travestie-Diva Tomasz. Ein
vergnüglicher Abend mit einem besonderen artistischen Highlight:
den Ikariern Huseca Brothers. |
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Tomasz, Hieronymus
Was für eine
Kombination: Die mondäne Travestie-Künstlerin Tomasz und der ewig
griesgrämige Zauberer Hieronymus führen gemeinsam durch die neue Show.
Tomasz singt sich vom „Cabaret Paris“ bis auf die „Flügel bunter
Träume“, glänzt in immer neuen, selbst entworfenen Roben („Ich weiß –
eine Paillette mehr und es wäre kitschig“), unterhält mit schlüpfrigen
Sprüchen und legt vor der Pause einen furiosen, atemberaubenden,
hinreißend witzigen Bauchtanz auf das Parkett, der jede Orientalin vor
Neid erblassen ließe. Hieronymus dagegen ist ein Meister der schlechten
Laune, der die eigene Zauberei („Ich kann die Geheimnistuerei nicht mehr
ertragen und erkläre es Ihnen jetzt!“) kaum weniger hasst als sein
Publikum, das er ausdauernd beleidigt („Weiß der Heimleiter, dass Sie
hier sind?“). Besonders schwer hat’s der Zuschauer direkt an der Bühne,
genannt „Blöder Platz“, der immer und immer wieder einbezogen wird ins
garstige Spiel – und mit jeder bösen Pointe liebt das Publikum diesen
Magier mehr, der das Hütchenspiel mit nur einem Hut beherrscht und
mithilfe von Toni, der weißen Tigerente, sogar Gedanken lesen kann. Es
ist schon eine besondere Kunst, die scheinbare Lustlosigkeit und Bosheit
derart zu zelebrieren und dabei ernst zu bleiben, wenn das Publikum sich
kringelt… schließlich aber zeigt Hieronymus als Cowboy doch noch, dass
er auch anders kann - "Kapelle, 'was Peppiges!" In der letzten Aufführungswoche von „Bitter-Sweet", vom 26.
Oktober bis 1. November, wird Tomasz durch Fräulein Wommy Wonder
vertreten. |
   
Rosiris Garrido, Basile Dragon, Daniel und
Reynald, Yulia Fadeeva
Yulia Fadeeva,
ehemalige russische Meisterin der Rhythmischen Gymnastik, eröffnet den
Reigen der artistischen Darbietungen, mit schnellen, tänzerisch
vorgetragenen Kontorsionen zu sphärischen Klängen. Ebenso tänzerisch
geprägt ist die Darbietung am horizontal hängenden Luftring mit drei
Speichen der Brasilianerin Rosiris Garrido, die von ruhiger Livemusik
begleitet wird. Jongleur Basile Dragon aus Frankreich verteilt
schließlich eine Menge roter Bälle aus dem Boden, aus denen er immer
wieder welche herausgreift und mit ihnen arbeitet – fünf Bälle
jonglierend lässt er sich in einen seitlichen Spagat gleiten, später
hält er acht Bälle gleichzeitig in der Luft. Eine interessante Nummer,
trotz einiger Patzer am Abend der Vorpremiere. Zwei Ausfälle hatte das
Varieté an diesem Tag zu verkraften: Klischnigg-Künstler Andrey
Romanowski war krank und musste noch einige Tage pausieren, das
Hand-auf-Hand-Duo Amore aus der bekannten Truppe Bingo dagegen stand
wegen Visumsproblemen noch nicht zur Verfügung. Für letztere wurde
kurzfristig eine Vertretung engagiert: Daniel und Reynald, zwei
Franzosen mit einer genretypischen Hand-auf-Hand-Darbietung, die mit
einem Überschlag rückwärts in den einarmigen Handstand beginnt und in
einer abgewandelten, durchaus weniger anspruchsvollen Variante des
bekannten Stuhl-Tricks endet. |

Nikolai und Giovanni... |
Die
Platzverhältnisse im Friedrichsbau, insbesondere die niedrige
Bühnenhöhe, setzen der Auswahl artistischer Darbietungen Grenzen.
Umso erfreulicher ist, dass die Besucher der Herbstproduktion
einmal ein ganz anderes Genre zu sehen bekommen: ikarische Spiele,
präsentiert von Fumagallis Söhnen Giovanni und Nikolai alias den „Huesca
Brothers“. Die jugendlichen Künstler, 17 und 24 Jahre alt,
begeistern mit anspruchsvollem Repertoire und hoher
Geschwindigkeit – zum Beispiel bei den 16 Flic Flacs zum
Abschluss. Besonders spektakulär in Szene gesetzt wird der
Doppelsalto mit einem dramatisch wirkenden Scheinabsturz, ehe der
Trick dann natürlich doch noch gelingt. |

...alias "Huesca Brothers" |
Der
selbstbewusste, klassisch zirzensische Verkauf der Darbietung, ganz im
Stil der Erranis, tut sein Übriges, um das Publikum in Jubelstürme
ausbrechen zu lassen. Bravo! |
Hausregisseur Ralph
Sun ist mit „Bitter-Sweet“ wieder ein vortrefflicher Varieté-Abend mit
besonderem Akzent auf dem amüsant-unterhaltsamen Element gelungen, der
mit Klischnigg-Künstler Romanovski (und der ursprünglich vorgesehenen
Hand-auf-Hand-Nummer) auch artistisch seinen vollen Reiz noch entfalten
wird. |
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Text: Markus Moll; Fotos: Tobis Erber
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