Nach
anfänglicher Irritation hat Hieronymus auch schnell die Lacher und
Sympathien auf seiner Seite. Auch seine Zaubereien, im Grunde bekannte
Nummern, gewinnen durch diese ungewöhnliche Art der Präsentation.
Aufgrund Hieronymus` dauerhaft schlechter Laune möchte man eigentlich
das Weite suchen, zugleich wird man von seinem Wortwitz aber sofort
wieder eingefangen. Besonders schräg ist sein Kartentrick mit der
Maulkorb-tragenden, weißen Tiger-Ente.
  
Daniel Forlano, Vanessa Baier, Hieronymus
US-Komiker Daniel Forlano gibt den zweiten Juror, einen eher
introvertiert wirkenden Designer mit extrovertiertem Modegeschmack:
gemusterte Hose, Jacke mit Blumenmotiv und stets Hut. Dieser fällt
natürlich dauernd herunter, und so ist Forlano stets damit beschäftigt,
sich den Hut wieder aufzusetzten. Nicht mit den Händen, denn die sind
meist besetzt, sondern wie es sich für einen Komiker gehört mit viel
Körpereinsatz. Auch ansonsten geschehen ihm allerhand Misslichkeiten.
Bei einem Versuch, eine Katze zu füttern, sind etwa 16 Bücher im Weg,
die Forlano geschickt an seinem Bein entlang stapelt, um dann
festzustellen, dass die Katze längst tot unter der Bücherkiste liegt.
Forlanos eher subtile Intermezzi, die so zum ersten Mal auf einer
deutschen Varieté-Bühne zu sehen sind, stehen im starken Gegensatz zu
den rau wirkenden Auftritten von Hieronymus, dennoch passen beide gut in
Konzept – vielleicht vor allem deshalb, weil sie aus der Rahmenhandlung
rausbrechen. Drittes
Jury-Mitglied ist – als „Quotenfrau“ – Vanessa Baier als
Englisch-säuselndes Möchtegern-Super-Model, deren Kommentare an
Oberflächlichkeit nicht mehr zu überbieten sind. Nicht nur hier lassen
die Macher von Base Berlin in ihrer Inszenierung einer Casting-Show kaum
ein Klischee aus und ziehen dieses Genre trotz (noch) mancher Längen vor
allem im ersten Teil meist sehr gelungen durch den Kakao. Besonders
herrlich geraten die Minuten nach der Pause: Quasi im Schnelldurchlauf
werden all die verkannten Talente gezeigt, für die es dann doch nicht
gereicht hat: vom zu Bandmusik agierenden Glasharfe-Spieler bis hin zu
einem Mann, der mit einen Wandtacker einen Ballon in der Hand seiner
Frau zerschießen möchte und dabei stattdessen deren Silikonbusen trifft.
Wunderbar schräg.
  
Sven Böker und Vanessa Baier
Bei
allem schauspielerischen Talent, liegt das Augenmerk bei Vanessa Baier
natürlich auf der Artistik. Neu einstudiert ist ihr Equilibristik-Solo,
mit dem sie „Back to Base“ quasi eröffnet. Verschiedene Handstände und
Posen werden sicher und elegant präsentiert. Auch Akrobatik-Partner Sven
Böker zeigt erstmals eine eigene Darbietung. Knapp bekleidet, mit
deutlichen Rotlicht-Assoziationen, begibt er sich an die Strapaten und
zeigt an diesem Requisit eine gefällige Nummer, bei der er vor allem mit
kraftvollen Aufschwüngen überzeugt. Sven Böker verkörpert, wie die
übrigen Akteure auch, einen Kandidaten der Casting-Show und so ist die
Inszenierung für die gemeinsame Partnerakrobatik von Vanessa und Sven
schnell gefunden: Jurorin umgarnt Kandidat. Als Schlussnummer
zelebrieren die beiden unter anhaltendem Szenenapplaus ihre starke
Equilibristik, in der sie die tragende Rolle einnimmt. In Schwarz und
Weiß gekleidet und durch farbigen Theaternebel illustriert, ergeben sich
dezente, wunderbare Bilder.
  
Florian Blümmel, Elisabeth Schmidt,
Bertan
Canbeldek
Vanessa
und Sven haben 2010 ihren Abschluss an der Berliner Artistenschule
gemacht. Von dort kommen auch noch zwei weitere Künstler. Allen gemein
ist, dass sie jeweils mit dem „Sprungbrett“ als beste Absolventen ihrer
Abschlussklasse ausgezeichnet wurden. Neuester Preisträger ist Andalousi
Laghmich Elakel aus dem diesjährigen Jahrgang. Er fehlt mit seinen
Handständen auf einem Sessel zurzeit noch verletzungbedingt, soll aber
ab Oktober wieder dabei sein. Vertretungsweise jongliert Bertan
Canbeldek, der bis zu sieben Bälle im Bouncing-Verfahren beherrscht. Er
hat ebenfalls 2010 seinen Abschluss in Berlin gemacht, zwei Jahre vor
Elisabeth Schmidt. Ihre Tücher-Darbietung ist schlicht perfekt; mit
verschiedensten Posen (u.a. Handstand, Spagat) in schneller Folge und im
Schwungteil mit dynamischen Abfallern über den Köpfen des begeisterten
Publikums. Hinzu kommen wunderbare Musik, ein schönes Kostüm und ganz
viel Ausstrahlung der Künstlerin. Super! - Im letzten Jahr gab’s dafür
völlig zu Recht einen Preis in Wiesbaden, im nächsten Jahr könnte ein
weiterer folgen: Elisabeth Schmidt ist mit ihrer Nummer nach Monte Carlo
eingeladen. Auch abseits der
Berliner Artistenschule haben die Show-Macher tolle Akteure gefunden.
Zum ersten Mal auf einer Varieté-Bühne überhaupt steht oder besser fährt
Florian Blümmel. Der Kunstradfahrer kommt eigentlich vom Sport. Blümmel
beherrscht sein Zweirad auch rückwärts, auf einem Rad und selbst dann,
wenn er auf dem Rad steht.
  
Michele Frances Clark, Duo
Complice, Jade Lee Petersen
Mehr Erfahrung haben da schon Célia Grelier
und Fabian Milet als Duo Complice. Am chinesischen Mast wechselt sich
das Spiel zwischen Annäherung und Abstoßung ab, mit gemeinsamen Passagen
(synchrone Posen oder gemeinsame Abfaller) und dem Imponieren
vor dem
jeweils Anderen (Pirouette, Salto am Mast). Nur der Kostüm- und
Musikwechsel innerhalb der Nummer von Edel zu Straßenoutfit ist
Geschmackssache. Der Südafrikaner Jade Lee Petersen wurde mit seinen
unglaublichen Verrenkungskünsten im Internet entdeckt, auf Videos des
dortigen McLaren Circus. Jetzt ist Petersen ebenfalls im Artistenpool
von Base Berlin und hat dort seine Nummer umgestaltet, tritt nun in
einem Rokoko-Rock auf, einem Spinnennetz gleich, das er immer wieder in
seine Figuren einbaut. Einfach sensationell
ist etwa jener Part,
in dem
er – im Handstand auf den Unterarmen liegend – seine Beine im hohen
Tempo um den eigenen Körper kreisen lässt. Eine richtige Entdeckung!
Selbiges gilt auch für Michele Frances Clark aus den USA. Sie
präsentiert eine der außergewöhnlichsten und stärksten Hula Hoop-Nummern
seit längerer Zeit. Elemente aus Tanz
und
Kontaktjonglage
sowie
die eigentlichen Tricks des Genres werden kombiniert und ergeben eine
völlig neue Art der Präsentation.
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