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Berliner Artistenschule - Artefex
www.absolventenshow.de

Stuttgart, 24. August 2014: Das ist ein guter Jahrgang, den die Berliner Artistenschule in dieser Saison hervorgebracht hat. Sämtliche Darbietungen könnte man sich von Leistungsstärke und Aufmachung her in vielen Varietéproduktionen und darüber hinaus gut vorstellen. Nun kommt es darauf an, dass die frisch gebackenen staatlich geprüften Artisten den Weg in professionelle Engagements finden. Und dabei soll wiederum die „Absolventenshow“ helfen. Schon traditionsgemäß sind die nun ehemaligen Artistenschüler damit seit Juni und noch bis Ende September auf Tournee.

Rund 25 Gastspiele in ganz Deutschland standen auf dem Tourneeplan, mehr als in allen bisherigen Jahren. Die erste Station im Juni und die letzte am 23. September waren bzw. sind das Wintergarten-Varieté in Berlin. Dazwischen wurden zum Beispiel die Häuser der GOP-Gruppe, kommunale Kulturzentren, mehrere Freilicht-Festivals und wie in jedem Jahr das Friedrichsbau-Varieté Stuttgart besucht. Letzteres wird erst am 4. Dezember seine neue Spielstätte auf dem Stuttgarter Pragsattel beziehen und verfügt aktuell über keine eigene Bühne. Also war man mit der Absolventenshow heuer im Theaterhaus Stuttgart zu Gast. Es liegt unmittelbar neben der Baustelle für das neue Varietégebäude. Das Theaterhaus – eine ehemalige Industriehalle – beherbergt vier Theatersäle, so dass meist mehrere Veranstaltungen parallel stattfinden. Mit dem künftigen Nachbarn Friedrichsbau entsteht so etwas wie eine kleine Kulturmeile. Eine Frontalbühne und 420 Plätze auf steil ansteigenden Rängen bot der Saal im Theaterhaus, der mit seinem kühlen, sachlichen Interieur die Geschichte als ehemalige industrielle Produktionsstätte gar nicht leugnet. Damit war aber auch der perfekte Rahmen für die diesjährige Absolventenshow gefunden. Unter der Regie von Maximilian Rambaek wird hier erzählt, wie die jungen Artisten nicht länger normiert und das Produkt anderer sein wollen. Vielmehr suchen sie einen Weg, ihren Emotionen als Künstler Ausdruck zu verleihen. Während sie in der ersten Spielszene noch als Marionetten agieren, befreien sie sich bis zum Finale aus allen Zwängen und tanzen letztlich wild in Disco-Outfits der 1980er Jahre.


Jakob Vonau, Oscar Kaufmann, Nathalie Wecker 

Jakob Vonau hat sich – immer noch eher ungewöhnlich für einen Mann – das Vertikalseil als Requisit ausgesucht. Er beginnt seine kraftstrotzende, maskuline Arbeit gleich mit dem Genickhang in einer Seilschlaufe und endet mit einem Vorwärtssalto als Abgang. Die Erfolgsgeschichte des Cyr-Rades im modernen Circus macht auch vor der Berliner Artistenschule nicht halt. Oscar Kaufmann hält sich bei seinen Drehungen und Wendungen, bei denen er in dem Reifen steht, mal nur mit dem Kopf, mal nur mit einer Hand. Dann kreiselt er freihändig. Riesenapplaus ist der Lohn der Mühen. Die ehemalige Leistungsturnerin Nathalie Wecker hält bei ihren eleganten Handständen auf einem und zwei Armen einen Ball zwischen den Füßen, in den Kniebeugen oder zwischen Fuß und Schienbein. So wird dem Handstand-Genre eine andere Facette abgewonnen.

 
Marc Dorffner, Fine Zintel, Mario Espanol

Leider arbeiten wieder einmal die meisten Artisten in dieser Absolventenshow in einem introvertierten, eher schwermütigen Stil. Haben die jungen Menschen um die 20 wirklich schon so viel Leid erlebt, dass sie es in leicht depressiven Bühnenperformances ausdrücken müssen? Da setzt der 21-jährige Wiener Marc Dorffner auf erfreuliche Weise einen krassen Kontrapunkt. Bei seinen Jonglagen (sieben Ringe, fünf Keulen), die er mit Balancen auf freistehenden Leitern kombiniert, lacht und strahlt er, sucht offensiv den Kontakt zum Publikum, feiert Gelungenes mit lauten Anfeierungsrufen selbst. Eine Darbietung im klassischen Circusstil, die auch schon in mehreren Manegen – zum Beispiel dem vergangenen Berliner Weihnachtscircus des Circus Voyage – zu sehen war. Auf diesen äußerst positiven Eindruck folgt Stirnrunzeln, als Marc Dorffner vor der Pause eine der zahlreichen Variationen über André Brogers Wischmopp-Reprise zeigt. Kreativ ist das nicht, aber immerhin kommt es blendend an. Fine Zintel beginnt ihre Trapeznummer im freihändigen Stand auf der Stange und überzeugt später mit vielen schnellen, tempogeladenen Positionswechseln. Für seine Kombination aus Handstandequilibristik und Tanz, direkt auf dem Bühnenboden ohne Podium dargeboten, erntet Mario Espanol gleich nach der Pause riesigen Applaus.


Duo Charisma, Finale, Nadja Hawranek 

Besonders erfreulich ist auch, dass die Artistenschule – neben den Solonummern – in diesem Abschlussjahrgang auch wieder eine Duonummer hervorgebracht hat, die zu den Highlights des Programms gehört. Malina Kraft und Christian Möllerstern bilden das Duo Charisma. Dass die Dame zunächst ein langes, weißes Tuch als Schleier trägt, hätte es zur Steigerung der Dramatik gar nicht bedurft. Nachdem sie es abgelegt hat, können noch riskantere Salti, Voltigen und Drehfiguren gezeigt werden. In einem kurzen Zwischenspiel demonstrieren Jakob Vonau und Nathalie Wecker auch ihr Können im Genre Hand-auf-Hand. Den Abschluss des Programms bildet dann eine weitere Trapeznummer. Am so genannten Tanztrapez – einem Solotrapez, das sich um die eigene Achse drehen kann – demonstriert Nadja Hawranek tänzerisches Können und Beweglichkeit, zunächst zu sehr sparsamer musikalischer Begleitung. Ihr Kreiseln in höchster Geschwindigkeit sorgt für große Begeisterung im Publikum.

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Text und Fotos: Markus Moll