In der aktuellen
Version – mit dem deutsch-polnischen Travestiekünstler Diva Tomasz – ist
immerhin das Erotisch-Frivole eine Art Grundmotiv dieses Programms. In
ihrer Begrüßung macht Diva Tomasz deutlich, dass in den vergangenen 20
Jahren im Friedrichsbau mehr als 1700 Künstler in 103 verschiedenen
Shows aufgetreten sind und von insgesamt mehr als zwei Millionen
Besuchern bejubelt wurden. Es grenzt dabei fast schon an ein Wunder,
dass die Geschichte weitergeht. Nach dem überraschenden Rückzug des
Hauptsponsors L-Bank und kurz darauf der Muttergesellschaft DEAG schien
das Friedrichsbau-Varieté zuletzt monatelang vor dem Aus. Doch das Team
um die beiden Geschäftsführer Gabriele Frenzel und neuerdings Timo
Steinhauer hat hartnäckig gekämpft, eine gemeinnützige GmbH gegründet
und zieht bis September in eine neue Spielstätte am Stuttgarter
Pragsattel – die ganze Geschichte gibt’s ausführlich in den
News von Chapiteau.de sowie in der Februar-Ausgabe der Circus-Zeitung.
  
Miss Honey Lulu, Diva
Tomasz, Anatoli Akermann
Doch bleiben wir
beim Erotisch-Frivolen. Dies verkörpert also zunächst Diva Tomasz, die
mit ganz großem Gepäck angereist ist und bei jedem Auftritt in einer
neuen, mondänen Robe erscheint. Die Diva singt à la Hildegard Knef und
Zarah Leander, sie macht schlüpfrige Scherze übers Stiefellecken („aus
Wildleder“) im Fetisch-Club, sie flirtet heftig mit einigen Herren im
Publikum – vor allem aber begeistert sie, wie schon bei ihrem letzten
Friedrichsbau-Engagement im Herbst 2008, mit einem furiosen Bauchtanz,
der das Publikum begeistert mitklatschen und auf offener Szene
applaudieren lässt. Noch mehr Erotik gibt es mit Miss Honey Lulu, der
Burlesque-Tänzerin. Mit dem Thema „New Burlesque“ hatte Hausregisseur
Ralph Sun wohl seinen größten Erfolg am Friedrichsbau. Da ist es nur
folgerichtig, dass der kunstvoll-augenzwinkernde Striptease, bei dem die
letzten Hüllen nicht fallen, auch in der Geburtstagsshow vertreten ist.
Neben einem Fächertanz, der am Vorpremierenabend – pardon! – merkwürdig
unbeholfen wirkt, zelebriert Miss Honey Lulu ihre Performance in der
Teetasse. Nicht ohne sich am Ende lasziv mit Milch aus der großen Kanne
zu übergießen. Das motiviert auch den schrägen Komiker Anatoli Akermann
mit seiner wirren Zauselmähne und dem wulstig ausgestopften Unterleib,
sich – nach seinen spärlich vorhandenen Möglichkeiten – erotisch zu
produzieren. Wie er dann aber einem Zuschauer Schuh und Socke auszog
(was diesem sichtlich missfiel), das war uns doch zu rüde. Besser
gefielen Akermanns Kistenjonglage, sein Streit ums Musizieren mit der
Diva (Darf er Gitarre spielen oder sie singen?) und die bizarre Szene,
in den ihn Geburtstagsgeschenke des Ensembles von Selbstmordplänen abbrachten.
  
M. Lillies und Cortes Young, Anna
Abrams
Das Jonglage-Duo
M. Lillies und Cortes Young (alias Thomas Dürrfeld und Marie Seeberger
aus Deutschland) eröffnet den artistischen Reigen mit Bällen und
beschließt ihn mit Keulen. Leider patzten die beiden bei der Vorpremiere
häufig und blieben eher blass. Originell ist ihr Auftakt, bei dem die
beiden in einem Mantel stecken und so „wie ein Mann“ gemeinsam
mit jeweils einer Hand jonglieren. Ebenfalls aus Deutschland kommt Anna Abrams, die 2013 mit dem Schweizer Cirque Starlight auf Tournee war. In
ihrer Vertikalseilnummer wechseln sich kreative Bewegungen und
interessante Verstrickungen mit gewagten Abfallern ab – begleitet von
Klaviermusik. Bei dieser Darbietung geht so manches Raunen durchs
Publikum.
  
Andrey Ivakhnenko, Darren
Burl, Matthieu Bolillo
Matthieu Bolillo
war erst vor einem Jahr mit seiner „Cirkolution“-Nummer im Friedrichsbau
zu sehen und kehrte nun mit einer ganz neuen, ebenso innovativen
Darbietung zurück. Zwischen den bogenförmigen Holmen seines Recks steht
ein Trampolin. Reck- und Trampolin-Artistik im fliegenden Wechsel werden
von dem Muskelpaket und langjährigen Soleil-Artisten mit Handständen zu
einem kreativen Ganzen kombiniert. Andrey Ivakhnenko, bereits 1995 mit
Bronze beim Cirque de Demain ausgezeichnet, dürfte einer der
bekanntesten Künstler in diesem Programm sein, war er doch u.a. schon
bei Roncalli zu sehen. Noch immer ist Ivakhnenko in seinem bizarren
Stachelkostüm der rote Harlekin auf dem Schlappseil, der von
irrlichternder Musik begleitet wird. Das exzentrische Auftreten paart
sich mit artistischem Können, u.a. bei der Jonglage mit fünf Ringen,
während eine Leiter auf dem Kopf balanciert wird. Als Schlusstrick
balanciert er auf der Leiter selbst. Bekanntes Roncalli-Gesicht? Das
gilt natürlich noch mehr für den amerikanischen Seifenblasen-Künstler
Darren Burl, der dort von 2008 bis 2010 zu erleben war. Er braucht nach
wie vor keinen Pustering, sondern erzeugt seine Seifenblasen nur mit der
geheimnisvollen Seifen-Mixtur und bloßen Händen, zwischen seinen Fingern
hindurch. Als ob das nicht zauberhaft genug wäre, lässt er kleine in
großen Seifenblasen schweben, füllt sie mithilfe eines geheimnisvollen
Apparates mit Rauch oder lässt einen kleinen Plastikfisch in einer
Seifenblase schweben. Grenzenloses Staunen. |