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Mit Harlekin durch die Schweiz
Der 17-jährige Simon Preißing reiste eine Woche beim Circus mit

Berner Oberland, 4.-11. Juni 2017: Schon seit langer Zeit träumte ich davon, einmal beim Circus mitreisen zu können. Durch die Vermittlung eines guten Freundes wurde dieser Wunsch im Juni 2017 beim Schweizer Circus Harlekin von Pedro Pichler und Monika Aegerter wahr. Am Pfingstsonntag machte ich mich von meinem Heimatort in der Nähe von München auf den Weg in das kleine Örtchen Sigriswil bei Thun. Dort steht Harlekin immer zur selben Zeit auf einem sehr kleinen Platz, von dem aus man einen Blick auf das herrliche Bergpanorama hinter dem Thuner See hat. Nach einer langen Bahnfahrt mit mehreren Umstiegen kam ich dort an.

Bei meiner Ankunft, an diesem spielfreien Tag, begegnete ich als erstes der Schleuderbrett-Truppe Alexander, deren Mitglieder im Vorzelt frisch gefangenen Fisch aßen und mich gleich davon kosten ließen. Nachdem alle anderen Artisten, Mitarbeiter sowie die Direktion eintrafen, wurde mir mein vorübergehendes Zuhause – ein Abteil in einem Mannschaftswagen – gezeigt. Außerdem standen der Dusch- und der Küchenwagen zur Mitbenutzung zur Verfügung.


Das Harlekin-Team besuchte gemeinsam den in der Nähe gastierenden Circus Nock

Am Abend ging es mit dem gesamten Team zum Circus Nock, der ganz in der Nähe spielte. Am nächsten Morgen sah ich mit der 10.30 Uhr-Show zum ersten Mal ein Programm des Circus Harlekin. Es herrscht ein ganz besonderes, herzliches Flair, und man bemerkt die Liebe des Circus zu seinen Besuchern und umgekehrt. Hier wird mit viel Leidenschaft Circus gemacht. In zum Teil kleinen und kleinsten Dörfern werden hochwertige Programme gezeigt.


Abbau in Sigriswil und Aufbau in Lützelflüh

Gleich danach folgte auch schon der Abbau, bei dem ich, wie in der ganzen Woche, fleißig mit anpackte, zum Beispiel beim Auf- und Abbau des Gradins. Auch die Mengen an Sägemehl müssen wieder aufgekehrt werden, um sie beim nächsten Gastspielort neu zu benutzen. Durch die ungünstigen Platzverhältnisse dauerte der Aufbau um ein Vielfaches länger als sonst. Gegen 18 Uhr nahm mich dann der ukrainische Musiker Vasily mit zum nächsten Gastspielort und erzählte dabei viel aus seiner Zeit beim Circus. Nach der Ankunft im eine Stunde entfernten Lützelflüh wurden noch die Tiergehege aufgebaut und alle Wagen platziert, ehe ich todmüde ins Bett fiel. Da am nächsten Tag ein Sturm herrschte, musste der Aufbau, nachdem die Masten standen, bis zum nächsten Tag unterbrochen werden. Den Nachmittag verbrachte ich dann bei Kaffee und viel Gesprächsstoff im Camping des Platzmeisters und Clowns Lukas Böss, bevor ich am Abend noch einmal den Circus Nock im Nachbarort Langenthal besuchte.


Circus-Idyll in Lützelflüh

Am nächsten Morgen verschlief ich ein wenig. Als ich um halb zehn die Tür meines Abteils aufmachte, stand daher schon das Zelt mit fast seiner gesamten Inneneinrichtung. Die zwei Shows an diesem Tag verbrachte ich backstage sowie im Publikum. Für mich war es die Ruhe vor dem Sturm, denn direkt nach der Abendvorstellung wurde alles schon wieder komplett abgebaut. Der Auf- und Abbau ist gut organisiert, und jeder hat seine festen Aufgaben. Bis vom Spielzelt nichts mehr übrig ist, dauert es bei normalen Platzverhältnissen gute zwei Stunden.


Aufbau in Linden, Blick ins Winterquartier 

Am Donnerstagmorgen begann dann um halb neun der Transport ins 35 Kilometer entfernte Linden. Dort wurde die kleine Circus-Stadt auf einem sehr engen Parkplatz mit anschließender Wiese mitten im Ortskern aufgebaut. Am Nachmittag ging es dann mit Lukas und dem Sohn des Zeltmeisters, Robert, in das Winterquartier bei Spiez. Dort wurden Sachen abgeliefert, und ich hatte die Gelegenheit, mir alles ganz genau anzuschauen. Das Gebäude beinhaltet eine Werkstatt u.a. für den Wagenpark, Lagerräume für Requisiten sowie den Kostüm-Fundus, Büros, Trainingsmöglichkeiten und das Lokal des Vereins der Freunde des Circus Harlekin mit einem Karussell. Das Vereinslokal ist im Winter immer sonntags geöffnet. Später fuhren wir zurück zum Circus. Am Abend schmiss die Truppe Alexander den Grill an, wozu sich einige Artisten und Mitarbeiter gesellten.


Das gewohnte Zuhause gegen den Abteilwagen getauscht - und u.a. bei der Reklame geholfen

Am Freitagmorgen fuhr ich mit dem Orchesterleiter Vadym und seiner Frau zum Reklame machen. Wir beschränkten uns an diesem Tag ausschließlich auf die Ladenreklame. Da Harlekin in seiner Reiseregion sehr bekannt und beliebt ist, nahm an diesem Tag ausnahmelos jedes Geschäft die Werbung freudig an, und das ganz ohne Freikarten. Nachmittags und abends stand dann jeweils eine Vorstellung auf dem Programm. Dort half ich beim Einlass und durfte mich am Spot versuchen. Auch an diesem Tag folgte wieder der Abbau bis in die Nacht, und am nächsten Morgen rollten die Wagen ins nur fünf Kilometer entfernte Heimenschwand. Bei der Ankunft wunderte ich mich und dachte mir „Hier kann doch niemals ein Circus stehen“, in diesem winzigen Ortsteil Bätterich. Doch weit gefehlt, neben einem Seniorenheim, mitten im Nirgendwo, baute Harlekin auf, und am Abend strömten die Leute aus allen Himmelsrichtungen zu ihrem „Berner Oberland Circus“. Bevor dies geschah, rührte ich allerdings noch einmal die Werbetrommel. Dieses Mal half ich der Tierlehrerin Susanne Mani bei der Schilderreklame.


"Mitten im Nirgendwo" aufgebaut in Heimenschwand, doch das Publikum strömt von allen Seiten 

Die darauf folgende Show genoss ich dann nach dem Einlass noch einmal in vollen Zügen und verbrachte danach den letzten Abend bei den Direktoren Pedro Pichler und Monika Aegerter sowie vielen Stammbesuchern im legendären Barwagen. Am Sonntagvormittag musste ich mich dann leider schon wieder auf die achtstündige Heimfahrt machen. Zu Hause angekommen, ist mir nach dieser Reise noch einmal deutlich geworden, was Circus eigentlich bedeutet: harte Arbeit bis in die Nacht, zur Toilette manchmal 100 Meter durchs nasse Gras laufen, Familie, Zusammenhalt und vor allem Leidenschaft.

Innerhalb einer Woche war der Circus Harlekin an vier verschiedenen Gastspielorten zu Gast. Das Mitreisen war ein unvergessliches Erlebnis und eine ganz wertvolle Erfahrung. Mein besonderer Dank gilt Monika und Pedro mit ihrem gesamten Team. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen in diesem ganz besonderen Schweizer Circus.

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Text: Simon Preißing, Fotos: Simon Preißing und Harlekin-Mitarbeiter