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Karriere an den Haaren herbeigezogen
Zopfhang-Duo Daramis & Daylis über ihren Werdegang und den Circus in Kuba

Amriswil, 27. August 2013: Tangorhythmen erklingen, die Manege ist in rotes Licht getaucht, und ungläubiges Staunen erfasst das Publikum, wenn Daylis und Daramis sich an ihren eigenen Haaren in die Kuppel des Circus Royal ziehen lassen und ihre Kunst zeigen. In seinem Jubiläumsprogramm „50 Jahre Circus Royal“ präsentiert der Circus von Peter Gasser und Oliver Skreinig erstmals ein komplettes Programm mit Artisten des „Circo nacional de Cuba“ auf großer Tournee durch die Schweiz und Vorarlberg. Das Ensemble, das dieses Jahr beim Circus Royal unter Vertrag ist, besteht aus drei Truppen.

Diese sind der auch in Monte Carlo preisgekrönte doppelte Zopfhang von Daramis & Daylis, die Jongleurtruppe um Pedro Miguel Hernandez Montero und Maylin Gonzalez, welche bereits 2010 am Festival im spanischen Albacete begeisterte, sowie anfangs der Saison die Schleuderbrett-Truppe, welche die beiden letzten Jahre bei Herman Renz in Holland resp. Pinder in Frankreich unterwegs war. Unstimmigkeiten in dieser Truppe führten dazu, dass sie sich im Laufe der Royal-Saison auflöste und die Direktion des Circus Royal in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium in Kuba und der Agentur Diablitos in Paris eine neue Truppe, direkt ab der Artistenschule in Havana, für die restliche Saison verpflichten musste. Anlässlich des Gastspiels in Amriswil konnte ich mit den Zopfhangartistinnen Daramis und Daylis über den Circus in Kuba und ihren Werdegang ein Gespräch führen.


Circo Trompoloco, Trapeznummer des Kubanischen Nationalcircus

Der Circus in Kuba unterscheidet sich grundlegend vom europäischen Circus. Obwohl die Vorstellungen in einem Chapiteau stattfinden, reisen die Unternehmen nicht im Land herum, sondern sind stationär. Der größte und wichtigste Circus steht in Havana selbst und heißt Circo Trompoloco. Sein gelb-lila gestreiftes Chapiteau hat etwa dieselbe Größe wie das Royal-Chapiteau. Jeder Artist in Kuba möchte hier arbeiten können, denn er gilt als Sprungbrett für die weitere Karriere. Ein weiterer Unterschied zum europäischen Circus besteht darin, dass bis auf Hunde und Affen keine Tierdressuren gezeigt werden. Seit 1962 wird der Circus in Kuba zentral verwaltet, und alle Artisten und Truppen unterstehen der Direktion von „CIRCUBA“.

 
Neue Truppe Havanna bei Royal

Zur Zentralorganisation „CIRCUBA“ gehört auch die am 6. Juni 1968 gegründete nationale Circusschule. Nach der obligatorischen Schulzeit mit Abschluss können talentierte Kubanerinnen und Kubaner mit ca. 15 Jahren in die Circusschule aufgenommen werden. Die Auswahl ist streng, und es bekommen nur die besten einen Platz. Heute kommen viele der Artistinnen und Artisten schon mit gymnastischen Vorkenntnissen in die Schule, was natürlich eine gute Grundlage bildet. Die strenge Ausbildung dauert vier Jahre und umfasst alle artistischen Grundlagen. In dieser Zeit bestimmen die Lehrer, wer später welche Nummer zeigen wird. Im Anschluss an die Schule müssen alle Artisten und Truppen zuerst zwei Jahre – sozusagen als Zivildienst – für die staatliche Organisation „CIRCUBA“ im Land selbst arbeiten, bevor sie auch ins Ausland ins Engagement dürfen. Die aktuell bei Royal arbeitende Truppe Havanna mit Schleuderbrett und Handvoltigen bildet da eine große Ausnahme, denn sie kommt direkt von der Circusschule zu Royal. Dies war nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Kultusministerium und der Agentur Diablitos in Paris, welche die kubanischen Artisten nach Europa vermittelt, möglich.


Kubanische Artisten - inzwischen häufiger in europäischen Manegen zu sehen

Dass in den letzten Jahren etliche kubanische Artisten und Ensembles auch außerhalb des eigenen Landes auftreten, ist nicht zuletzt der 1996 gegründeten „Compania Havana“ von Germán Muñoz, einem ehemaligen Jongleur und Artisten auf der freistehenden Leiter, zu verdanken. Diese untersteht ebenfalls der Zentralorganisation „CIRCUBA“. Exklusiv in Europa und Amerika werden die kubanischen Artisten und Ensembles durch die Agentur Diablitos von Lito Cansino in Paris vermittelt und vertreten.

Daylis & Daramis – eine Artistenlaufbahn an den Haaren herbeigezogen


Preisgekrönte Zopfhangnummer von Daylis & Daramis

Die heute 29-jährige Daramis Guerra träumte schon als Kind davon, Artistin oder Tänzerin zu werden. Daher war für sie der Besuch der nationalen Circusschule ein klares Ziel. Noch heute liebt sie ihren Beruf und könnte sich nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Bei Daylis Susel Puron Ayala (24) war es etwas anders, denn sie besuchte bereits mit vier Jahren das Training in rhythmischer Sportgymnastik und wollte unbedingt Tänzerin werden und eigentlich nicht im Circus arbeiten. Für eine Karriere als Tänzerin war sie aber zu klein, und so kam Daylis in die Circusschule. Doch heute liebt auch sie ihren Beruf und das Circusleben. Seit drei Jahren arbeiten Daylis und Daramis nun zusammen ihre Darbietung mit dem einmaligen doppelten Zopfhang, und das kam so: Germán Muñoz, der künstlerische Leiter der „Compania Havana“ hatte die Idee dazu, nachdem er eine ähnliche Darbietung in Amerika gesehen hatte. Er wollte eine solche Darbietung für den „Circo nacional de Cuba“ schaffen, da dies schon lange nicht mehr gezeigt wurde. Daylis wurde dazu auserwählt und begann in der Circusschule zu trainieren. Fünf Monate später kam Daramis dazu, und nach neunmonatigem, gemeinsamem Training hatte die Darbietung Premiere im Circo Trompolonco in Havanna. Bereits kurze Zeit später sah sie Lito Cansino von der Agentur Diablitos und war begeistert von ihrer Darbietung. Er lud sie für 2013 ans Festival von Monte Carlo ein. Die beiden Artistinnen konnten ihr Glück kaum fassen, waren sie doch erst die dritte Darbietung überhaupt aus Kuba, welche an dieses renommierte Festival eingeladen wurde. Ein Traum ging so für sie in Erfüllung, und die Teilnahme wurde mit dem „Prix Louis Merlin“ belohnt. Die Saison bei Royal ist ihr erstes, längeres Auslandengagement. Davor waren Daramis und Daylis erst dreimal im Ausland zu sehen, nämlich in der französischen TV-Sendung „Le plus grand Cabaret du Monde“, 2011 am Golden Circus Festival in Rom und eben diesen Januar in Monte Carlo.


Daramis, Daylis und Carlos, Daylis

Noch bis Anfang Januar werden Daramis & Daylis mit dem Circus Royal unterwegs sein, wo sie nebst ihrem doppelten Zopfhang auch noch im großen Opening sowie in der Nummer an den kubanischen Masten mitwirken. Hier bei Royal hat Daylis auch ihren Partner Carlos Alberto Sánchez Álvarez aus der Schleuderbretttruppe kennen und lieben gelernt. Seit Juli zeigt das Paar zusätzlich ihre innerhalb kürzester Zeit erarbeitete, wunderschöne Adagio-Akrobatik kombiniert mit Tanz zum Song „Je suis malade“ von Lara Fabian. Im kommenden Jahr wird das Ensemble, welches aktuell bei Royal arbeitet, mit doppeltem Zopfhang, Schleuderbrett und Handvoltigen voraussichtlich beim Zirkus Rudolf Probst in Deutschland zu sehen sein.


Daramis mit Requisiteuren am Einlass, Finale, Truppenmitglieder Maylin, Daylis, Carlos und Gaston

Obwohl sehr viele Artisten aus Kuba momentan in europäischen und amerikanischen Manegen zu bewundern sind, gibt es auch in Kuba noch viele Artisten. Etwa die Hälfte aller kubanischen Artisten arbeitet zur Zeit im Ausland, doch schließen jedes Jahr wieder neue junge Leute die Artistenschule ab und begeistern uns mit ihren Darbietungen. Zu den besten Truppen gehören gemäß Daramis Guerra zur Zeit sicher die Schleuderbrettdarbietungen der Truppen Scala (zur Zeit bei Ringling in Amerika) und Ovalerys, aber auch die fantastische Recknummer, welche diesen Sommer am Festival Circuba in Havanna ausgezeichnet wurde und ebenfalls bereits in der französischen TV-Sendung „Le plus grand Cabaret du Monde“ zu sehen war. Um die Zukunft des kubanischen Circus müssen wir uns nicht sorgen, denn kubanische Artisten werden uns auch in Zukunft mit ihrer Lebensfreude zu begeistern wissen.

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Text: Alexander Leumann,
Fotos: Alexander Leumann, Privatbesitz Daramis Guerra, Archiv Circuba, Stefan Gierisch