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Shanghai Acrobatic Troupe
Zu Besuch bei zwei Shows in der chinesischen Metropole
www.era-shanghai.com

Shanghai, September 2012: Chinesischer Circus wird in Europa oft mit einer Mischung aus Bewunderung und Distanz betrachtet. Artistische Superlative bringen chinesischen Akrobaten regelmäßig die höchsten Auszeichnungen der Circuswelt ein. Chinesische Akrobaten sind es meist, die die Messlatte des Machbaren Jahr für Jahr höher setzen. Und doch ist es uns etwas fremd, das System von absolutem Drill und Disziplin, das diese Leistungen hervorbringt. Ist Circus nicht mehr als das Streben nach Höchstleistungen? Man muss sich wohl auf die Andersartigkeit des chinesischen Circus einlassen.

Dann hat er viel mehr zu bieten, als es die Momentaufnahmen einzelner Festivaldarbietungen und die importierten Shows in Deutschland vermuten lassen. Besonderes Aufsehen haben in jüngster Zeit die Artisten der Shanghai Acrobatic Troupe erregt, wie der goldene Clown für zwei Darbietungen beim letztjährigen Festival in Monte Carlo eindrucksvoll belegt. In Shanghai sind verschiedene Shows dieser Truppe zu sehen. Die „Sensations of Huangpu River“ sind eine Showreihe, die mehrere ähnliche, aber dennoch eigenständige Programme umfasst, die in verschiedenen Theatern in Shanghai gezeigt werden. Daneben gibt es die Show „ERA – Intersection of Time“, eine sehr aufwändig und modern inszenierte Show, die in der Shanghai Circus World zu sehen ist.


Shanghai Circus Wolrld - außen und innen

ERA – Intersection of Time: Die Show ist der chinesische Gegenentwurf zum Cirque du Soleil. Die Show will, so lautet es im Programmheft, „moderne Multimedia-Technologie mit traditioneller chinesischer Akrobatik und Musik verbinden“. Gezeigt wird die Show im Manegenrund, allerdings mit einigen technischen Kniffen. So beginnt die Show mit einem Bild, in dem zur Kontorsionistik-Darbietung in der Mitte der Manege rundherum Handstand-Akrobatinnen auf absenkbaren Podesten aus dem Manegenboden erscheinen. Begleitet wird das Spektakel, was mich sehr positiv überrascht hat, von Livemusik, so geschickt mit elektronischen Effekten verbunden, dass die Übergänge fließend sind. Die Musik wirkt sehr modern, die traditionell chinesischen Einflüsse sind aber unverkennbar. Dass hierfür eigens ein kanadischer Komponist beauftragt wurde, zeigt die Inspiration durch das Vorbild Soleil.


Dreifaches Todesrad, Vasenjonglage, Motorradkugel mit acht Fahrern

Die Einzeldarbietungen sind verknüpft mit großformatigen Videoprojektionen im Hintergrund, die vor allem Impressionen von Shanghai zeigen. Zu sehen sind vor diesem Hintergrund klassisch chinesische Darbietungen. Das Programm startet mit der imposanten Fahrradakrobatik einer Truppe junger Chinesinnen. Ein stimmungsvolles Bild bietet eine Gruppe von vier Frauen, die ihre Kontorsionistik-Darbietung zunächst nur als Schatten hinter einer weißen Leinwand in Szene setzen. Sehr traditionell ist die Vasenjonglage von Kong Xianghong. Das Pas de Deux am Tuch dagegen kommt im eher westlichen Stil daher und bietet eine Trickfolge, die vergleichbar mit guten europäischen Nummern ist. Erster Höhepunkt des Programms ist ein dreifaches Todesrad, auf dem synchron sechs Akrobaten arbeiten. Eine technisch interessante Idee, die ein spektakuläres Bild liefert. Weitere Programmpunkte sind eine Rola-Rola-Darbietung, die mit aufwendiger Requisite auf einem Holzboot stattfindet, sowie eine Schleuderbrett-Truppe, die nicht ganz mit dem hohen Niveau mithalten kann, das in einer anderen Show der Shanghai Acrobatic Troupe gezeigt wird. Sehr temporeich geht es bei den Ringspringern zu, die aus allen Richtungen des Manegenrunds durch sich drehende Ringe in unterschiedlichen Höhen und Ausrichtungen springen. Absoluter Höhepunkt des Programms ist jedoch die Motoradkugel, in der am Ende acht Fahrer gleichzeitig in hohem Tempo ihre Runden drehen.


Schleuderbrett, Glaspyramiden-Balance, Cai Yong

Shanghai Centre Theater - Sensations of Huangpu River: Die zweite Show, von der ich berichten möchte, ist aus der Reihe der “Sensations of Huangpu River”. Sie wird im Theater des Shanghai Centres, eines Shopping- und Hotelkomplexes unweit der buddhistischen Tempelanlage von Jing’an gezeigt. Die Atmosphäre des Theaters kann leider nicht mit der des Circusbaus der Shanghai Circus World mithalten. Dafür ist das Niveau der artistischen Darbietungen noch höher. Den Beginn des Programms macht die Einrad-Jonglage, gezeigt von sechs Chinesinnen, die einen temporeichen und unterhaltsamen Start bringt. Gefolgt sind sie von Ringspringern, die eine aus in Deutschland gezeigten chinesischen Programmen bekannte Sprungfolge zeigten. Sehr ästhetisch und auf hohem technischen Niveau war die darauf folgende Kontorsionistik- und Equilibristikdarbietung. Überboten wird sie später jedoch noch von der überragenden Handstandequilibristik des jungen Cai Yong, der im vergangenen Jahr für diese Arbeit in Monte Carlo mit dem goldenen Clown ausgezeichnet wurde und deutschen Circusfreunden bereits aus der letzten Wintersaison des Circus Krone bekannt ist. Ein sehr ästhetisches Bild bescherte dem Publikum auch eine Balance von Glaspyramiden, die mit dem gleichzeitigen Erklimmen einer auf rundem, beweglichem Untergrund gelagerten Treppe endete. Den komischen Part des Programms übernehmen zwei nur bedingt witzige Tellerjongleure. Die Clownerie ist ein deutlicher Schwachpunkt sämtlicher chinesischer Circusprogramme. Die folgende Partnerakrobatik am Tuch war sehr ähnlich zu der bereits bei ERA beschriebenen. Weitere Programmpunkte waren eine Kontorsionistikdarbietung dreier Chinesinnen, eine tempo- aber weniger trickreiche Balljonglage sowie eine anspruchsvolle Schlappseilnummer, die mit dem Handstand auf dem schwingenden Seil endete. Schlussnummer und Höhepunkt des Programms war die Schleuderbretttruppe, deren Leistungen im vergangenen Jahr ebenfalls mit Gold in Monte Carlo gewürdigt wurden. Die Verbindung des Schleuderbretts mit einem Fänger ermöglicht überaus interessante und beeindruckende Sprungfolgen und zeigt die Kreativität der chinesischen Circusschulen bei der Kombination unterschiedlicher akrobatischer Elemente. Anschließend endet mit einem recht kurzen Finale ein Circusabend mit gemischten Gefühlen. Die Dichte an akrobatischer Höchstleistung war sehr beeindruckend und wäre so kaum in einem europäischen Programm zu sehen. Und so staune ich über das soeben gesehene, das sicherlich den Stand des zurzeit menschlich Machbaren markiert. Doch dann, beim Verlassen des Theatersaals, kommt er doch auf, der Gedanke daran, wie schön es doch wäre, jetzt den Geruch von Sägemehl in der Nase und den Klang eines Circusorchesters im Ohr zu haben. In meiner Zeit in China habe ich den chinesischen Circus schätzen gelernt, lieben werde ich weiterhin den europäischen.

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Text: Daniel Burow, Fotos: Shanghai Acrobatic Troupe, Daniel Burow (1)