Brigitte
Probst steht nie in der Manege. Ihr Reich ist der Bürowagen.
Buchhaltung, Einkauf, Genehmigungen, Kontakt mit den Amtstierärzten
– die Verwaltung in einem der größten Circusbetriebe in Deutschland
ist ein Job rund um die Uhr. Kistenweise Post, unzählige Telefonate,
etliche E-Mails: „Es gibt ständig was zu tun“, sagt die
Circuschefin. Doch mehrmals am Tag springt sie von ihrem
Schreibtischstuhl auf, eilt die Treppen des kombinierten Wohnzimmer-
und Bürowagens hinunter und läuft zu den Stallzelten und
Außenkoppeln der Circustiere. Sieht nach dem Rechten, kontrolliert
die Arbeit der Tierpfleger, füttert hier und da, beobachtet ihre
Tiere. „Das ist wie Kurzurlaub“, sagt sie. Dann geht es zurück an
den Schreibtisch. Die 51-Jährige hätte es sich als Jugendliche nicht
träumen lassen, dass sie Circusdirektorin werden würde.

Circusbesuch in
Kindertagen: Die kleine Brigitte (li.), mit Schwester und Tante, klettert bei Barum
auf dem Raubtiertunnel
Geboren in
Neustadt an der Weinstraße, wuchs sie dort in bürgerlichen
Verhältnissen auf. Sie war Jugendwartin beim Reitverein, trat bei
Reit- und Springturnieren an, lernte den Beruf der Pferdewirtin –
und sattelte eine Ausbildung zur Schreinerin drauf, als erste Frau
in Rheinland-Pfalz. Schließlich sollte sie den Betrieb ihres Vaters
übernehmen. Und wenn man ihr prophezeit hätte, dass sie einmal zum
Circus gehen würde? „Dann hätte ich gesagt: greif dir mal an den
Kopf!“. Freilich sei sie als junges Mädchen gerne in den Circus
gegangen, zumal in Neustadt nur große und namhafte Circusse
gastierten. „Aber Fan war ich nicht. Mich haben Pferde, Elefanten
und Luftnummern interessiert, Clownerie und Raubtiere jedoch nie.“
Doch dann legte die Familie Probst in Neustadt eine Pause zwischen
zwei Circus-Engagements ein. Die Pferdenärrin Brigitte Fröhlich, so
ihr Geburtsname, lernte die Circusleute kennen, die ebenfalls Pferde
besaßen. Ging mit Artistenspross Reinhard zum Ausreiten, zeigte ihm
ihre Pferde. Und dann kam die Liebe. Für den Vater der jungen
Brigitte schien alles klar: Der künftige Schwiegersohn würde in die
Schreinerei einsteigen, die Circusschuhe an den Nagel hängen. Es kam
anders. Brigitte Fröhlich heiratete ihren Reinhard und zog mit den
Circusleuten. Im Mai 1981 gründete sie mit ihrem Mann und dessen
Bruder Robert den Circus Probst. Jahrelang trat sie sogar in der
Manege auf: in einer Parterreakrobatik, einer Westenshow, in
Clownentrees.
  
Brigitte Probst in der
Manege: Westernshow, Clownentree, Parterreakrobatik
„Klar, mein
Vater war zunächst sprachlos, aber später hat er sich hier im Circus
immer sauwohl gefühlt und war stolz, unser seriöses Unternehmen
wachsen zu sehen.“ Die „total tierverrückte“ Mutter von Brigitte
Probst reiste sogar jahrelang mit dem Circus mit, arbeitete unter
anderem an Kasse und Restauration. Erst seit April 2010 lebt die
inzwischen 86-Jährige wieder zu Hause in Neustadt. Brigitte Probst
selbst fiel das Circusleben anfangs schwer. „Ich habe meine
Reiterfreunde vermisst und fühlte mich wie eine Fremde.“ Doch sie
lernte, sich durchzusetzen, fand Anerkennung. „Ich bin Sternzeichen
Steinbock, ich hätte nie aufgegeben.“ Zu einer Handvoll Freunde aus
dem „früheren Leben“ in Neustadt hält sie bis heute Kontakt, „und
wenn wir in Speyer oder Bad Dürkheim sind, dann kommen alle vorbei.“
Ohnehin fühlt sich Brigitte Probst auch jenseits der 50 „wie ein
junger Hüpfer, ich bin vom Wesen her ein jugendlicher Typ“.
 
In der Manege und
hinter den Kulissen: Brigitte und Reinhard Probst
Auch die
Arbeit beim Circus und die Zusammenarbeit mit den drei Kindern
Sonja, Stephanie und Andreas halte sie jung. Der schwere Unfall der
ältesten Sonja, die 1999 in Meerbusch vom Vertikalseil stürzte, hat
Mutter und Tochter besonders eng zusammengebracht. „In der schweren
Zeit danach ist etwas zwischen uns gewachsen, wir wurden wie beste
Freundinnen.“ Ohnehin habe der Unfall alles verändert. „Zu dieser
Zeit reiste Uwe Gehrmann mit uns, er hat sich hier am Circus um
alles gekümmert, damit wir bei Sonja im Krankenhaus sein konnten.
Alle Mitarbeiter haben angepackt, damit der Circus weitergehen
konnte, auch wenn mein Mann und ich nicht vor Ort waren“, ist
Brigitte Probst bis heute dankbar. Besonders zu schätzen weiß sie
diesen Einsatz, weil es bim Circus einfach „ständig was zu tun“
gibt. Und die Aufgaben würden immer umfangreicher. „Wir haben ja
alleine bei jedem Umsetzen 47 Transporte zu fahren. Man kriegt alles
irgendwie geh#ndelt, aber ich komme kaum noch vom Platz weg, bin
hier für jeden der Ansprechpartner.“

Keine
Bange vor der Zukunft: Familie Probst
Auch ihr Ehemann Reinhard
arbeite an der Belastungsgrenze, mit viel körperlicher Arbeit zum
Beispiel beim Auf- und Abbau. „Immerhin hat er mittlerweile durch
unseren Sohn Andreas und Stephanies Lebensgefährten Sergiu viel
Entlastung.“ So ist es Brigitte Probst um die Zukunft des
Unternehmens nicht Bange. „Wir haben durch unsere drei Kinder alle
Bereiche abgedeckt. Andreas hatte schon immer den Drang zum
technischen Bereich, Stephanie ist eine hervorragende Tierlehrerin,
und Sonja unterstützt mich immer mehr bei den kaufmännischen Dingen,
wobei sie ihre Intelligenz und ihre Sprachgewandheit voll einsetzen
kann. Und schließlich ist Stephanies Freund Sergiu über die Jahre
wie ein Sohn für uns geworden.“
 
Engagierte Kämpferin für den
guten Circus mit Tieren
Drei
Jahrzehnte, nachdem Brigitte Probst das "bürgerliche" Leben
aufgegeben hat, ist sie Circuschefin mit Leidenschaft und sieht
sich in einer Mission. „Wir wollen zeigen, dass der Circus Kultur
ist, dass er Anerkennung verdient hat und Jung und Alt begeistern
kann. Durch unsere seriöse Geschäftführung wollen wir generell dazu
beitragen, dass der Circus wieder ein besseres Ansehen genießt.“ Vor
allem aber setzt sich Brigitte Probst für den guten Circus mit
Tieren ein. „Wir haben eine mustergültige Tierhaltung, das wird uns
von allen Amtstierärzten bescheinigt. Davon kann sich jeder
überzeugen.“ Das makellose Tierbestandsbesuch sei die Visitenkarte
des Unternehmens, Aktionen wie Informationsveranstaltungen für
Politiker – zum Teil
unterstützt durch die Circusfreunde-Sektion Südhessen – sollen zur
Aufklärung über den guten Tiercircus beitragen. Die Tiere ihres
Circus betrachtet Brigitte Probst als Familienmitglieder. „Sie
bleiben auch bei uns, wenn sie zu alt sind für die Manege. Wir tun
auch dann alles, um den Gesundheitszustand stabil zu halten. Kein
Tier wird weggegeben, solange der Tierarzt nicht sagt, dass es
vernünftiger wäre.“ Und Brigitte Probst ist überzeugt: "Ohne Tiere hätte der
Circus keine Zukunft.“
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