Die Truppen und
Circusse, die wir in sechs europäischen Ländern für den
Dokumentarfilm „World Circus Culture“ begleitet haben, setzten sich
aus Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen. Was die
Kommunikation für sie genauso schwer zu machen schien, wie für uns
Filmemacher. Die Dreharbeiten fokussierten sich auf fünf
Darbietungen, die sich auf den Wettbewerb beim 34. Circusfestival
von Monte Carlo vorbereiteten. Dafür übertraten wir alle Landes- und
Sprachgrenzen und folgten ihnen durch Europa und nach Monte Carlo,
wo die Artisten auf ein genauso internationales Publikum trafen.

Truppe Yakubov
Die Circusmenschen,
die wir auf Film gebannt hatten, waren die coolsten,
interessantesten und intelligentesten Leute, die wir je getroffen
haben. Es haut dich einfach um, wenn ein fünfjähriges Mädchen für
einen übersetzt. Circusfamilien können aufgrund ihres ständigen
Unterwegsseins ihre Kinder zwar oft nicht in „normale“ Schulen
schicken, dafür ist es aber so, wie es Gilian Dieck über ihren Sohn,
den Löwentrainer Tom Dieck junior formulierte: „Er konnte bereits in
sehr jungen Jahren in drei Sprachen lesen und schreiben.“ „Und“,
ergänzt sie lachend, „er konnte genug Mathe, um seine Löwen zu
zählen“. Womit bewiesen wäre, globales Verständnis geht oft viel
weiter als der traditionelle Schulstoff. Der reisende Charakter des
Circus bringt Sprachen aus der ganzen Welt zusammen und um eine, wie
es die Artisten nennen, „familienähnliche Gemeinschaft“ unter den
Circusmenschen zu erschaffen, müssen die Sprachen gelernt und
geteilt werden.
Auf der Suche nach
der Kultur des Circus war einer der bemerkenswertesten Befunde
der, dass viele Circusleute sich in einer Vielzahl von Sprachen
verständigen konnten. Roland und Petra Duss zum Beispiel
beherrschen fünf Sprachen, wenn man „Seelöwisch“ dazu zählt,
sind es sogar sechs. Und so wechseln sie beim Scherzen am Rand
des Seelöwenpools problemlos in die Sprache des jeweiligen
Gesprächspartners. Englisch, Spanisch und Deutsch mischen sich
sogar in den Kommandos, wenn sie mit den Seelöwen arbeiten. Jede
Sprache, erklären Roland und Petra Duss, steht dabei für einen
bestimmten Tonfall, in dem sie mit ihren Tieren arbeiten.
Deutsch kommt zum Beispiel zum Einsatz, wenn etwas mehr Druck
erforderlich ist. Dem stimmt auch Löwentrainer Martin Lacey
junior zu: Deutsch verleiht den Kommandos zusätzliche Power.
|

Roland Duss |
Obwohl in England
geboren, lebt Martin seit zwölf Jahren in Deutschland und so kommt
es in Gesprächen mit ihm oft vor, dass ein englisches Wort
unbeabsichtigt durch ein deutsches ersetzt wird. Auch Rob Torres,
der schon in über 43 Ländern aufgetreten ist, unterstreicht die
Wichtigkeit von Sprache. Wenn man auf der Bühne in der Landessprache
spricht, bringt das nicht nur Respekt, sondern auch ein besseres
Verständnis. Aber Rob meint auch: „Wir haben diese fixe Idee, dass
es nicht möglich sei, über Sprachgrenzen hinweg miteinander zu
arbeiten. Der Circus aber beweist, dass es doch möglich ist.“ Wie so
viele andere Kunstformen, beweist der Circus Universalität. Auch
dadurch dass Clownsauftritte, wie der von Rob Torres, unabhängig von
einer Sprache Gelächter verursacht.

Rob Torres
In Monte Carlo war
Festivaldirektor Urs Pilz stolz darauf, beim 34. Festival eine
Rekordzahl von teilnehmenden Ländern begrüßen zu können. Dieser Fakt
wurde besonders bei den Proben für das Opening und das Finale
deutlich. So wurden nicht nur die Fahnen der teilnehmenden Nationen
geschwenkt, sondern auch die Anweisungen über Lautsprecher in
Englisch, Französisch und Russisch gemacht. Über hundert Leute zu
organisieren ist schon schwierig genug, wenn dies aber ohne
gemeinsame Sprache passieren muss, scheint es fast unmöglich. Das
gilt aber offenbar nicht für Artisten, die mit Handzeichen und sogar
ein paar Brocken Chinesisch, die „Sprachlosigkeit“ souverän
überbrückten. Die Shows selbst wurden von Zuschauern aus allen
Herren Ländern verfolgt. Leute, die wir in London, Italien,
Deutschland und Paris interviewt hatten, trafen wir hier genauso
wieder, wie Journalisten von überall her – sogar aus den USA. Fazit:
Circus hat nicht nur hinter dem Vorhang eine universelle Sprache,
sondern ist selbst eine universelle Kunst, die unterhält und
beeindruckt und verstanden wird von allen – völlig unabhängig von
der Sprache. |