CHPITEAU.DE

Während der Interviews zum Dokumentarfilm „World Circus Culture” merkten wir (Angela Snow und Ian Issit) schnell, dass es im wesentlichen zwei Circustypen gibt. Auf der einen Seite den traditionellen, klassischen Circus und auf der anderen Seite den zeitgenössischen Cirque Noveau. In der Welt der Festivals werden die beiden Typen durch das Festival in Monte Carlo beziehungsweise den Cirque de demain in Paris repräsentiert. In unserem Film werden beide Seiten als wichtige und sich stetig weiterentwickelnde Teile der aktuellen Circuswelt gezeigt. So unterschiedlich unsere Gesprächspartner auch waren, haben wir sie doch alle gebeten: „Definiere Circus.“

Oft gab es ähnliche Antworten, die Familien, Gemeinschaft und artistische Darbietungen in den Mittelpunkt rückten, uneinig war man sich lediglich in der Frage, ob Tiere zum Circus gehören oder nicht. Zwei der Darbietungen, die wir mit unserer Kamera begleiteten, waren Tiernummern, die zum traditionellen Circus gehören. Sie werden derzeit heftig von Tierrechtlern attackiert und ihre Abschaffung gefordert. Die Medien sind voll mit Videos und Artikeln, die belegen sollen, dass Tiertrainer ihre Schützlinge schlecht behandeln. Aber diese Beispiele sind nur die eine Seite der Medaille. Alle, die ein Verbot von Tiernummern fordern, sollten sich einmal unser Filmmaterial ansehen. Denn obwohl unser Focus eigentlich auf die Artisten und Tierlehrer selbst gerichtet war, wurde schnell klar, dass manche der Tiere schnell selbst zu Hauptdarstellern werden würden.

 
Petra und Roland Duss

Die verspielten Seelöwen der Duss-Familie zum Beispiel. So wurde Charlie nach seinem vierten Fluchtversuch unser Liebling. Charlie flüchtete übrigens nicht vor dem, was Kritiker als „tristes Circusleben“. Nein, er flüchtete in Richtung Zelt, um zu performen. Charlie liebt das Scheinwerferlicht so sehr, dass er jederzeit aus seinem Pool springen würde, um in der Manege seine Kunststücke zu zeigen. Und in der Großkatzenwelt von Martin Lacey junior, schläft Martin erst, wenn er sieht das der altmodische Circuswagen, indem King Tonga untergebracht ist, sanft zu schaukeln beginnt. Jeder Morgen wiederum beginnt für Martin mit einem dicken Kuss von Tonga, dessen Kopf größer zu sein scheint, als Zwei-Meter-Mann Lacey junior. Anschließend stapft King Tonga in sein Außengehege, um sich dort in der Sonne zu räkeln. Dieser riesige Löwe, der Martin ohne Probleme einen Arm abreißen könnte, erscheint somit wie ein übergroßer Teddybär. Aber: Während der Show, auf einer glitzernden Discokugel sitzend, sieht Tonga wirklich wie ein König aus. Da die letzten Shows in Monte Carlo um einige Minuten gekürzt worden sind, fiel auch Tongas Auftritt den Kürzungen zum Opfer. Tonga war damit gar nicht einverstanden: Während jeder Show, wenn er seine Auftrittsmusik hörte, begann Tonga in seinem Käfig zu brüllen. Es konnte keinen Zweifel geben: Tonga wollte in die Manege, auftreten. Sowohl Martin Lacey junior als auch Roland Duss sprachen übrigens über die Intelligenz ihrer Tiere und deren Neugierde und Verlangen etwas zu lernen. In Zoos dagegen leider sie oft unter Langeweile. Für ein Tier, das nicht in der Wildnis lebt, und dessen Trainer so gut sind wie Duss und Lacey, ist das Circusleben also ganz sicher keine schlechte Alternative.


Rob Torres, Artisten vom Cirque du Soleil

Die Darbietung des Cirque du Soleil auf dem russischen Barren wiederum war, von den Darbietungen, die wir begleiteten, ganz sicher das klarste Beispiel für den zeitgenössischen Circus. Mit dem Gewinn des silbernen Clowns setzte der Cirque du Soleil, der erstmals auf einem dem klassischen Circus verpflichteten Festival vertreten war, ein Zeichen. Die Soleil-Artisten beschrieben ihre Darbietung als den Versuch mit richtigen Charakteren und einer ausgefeilten Choreographie eine Geschichte zu erzählen. Dieser Anspruch ist typisch für den zeitgenössischen Cirque Noveau. Im Gegensatz dazu stehen die reinen Nummernprogramme des klassischen Circus. Rob Torres, einer der Clowns, die am 34. Festival von Monte Carlo teilnahmen, ist ein weiteres Beispiel für den zeitgenössischen Circusstil. Er erreicht dies hauptsächlich durch den Verzicht auf klassisches Clownsmakeup und traditionelle Routinen. Seine Auftritte wirken dadurch einzigartig und modern. Die Rosyanns wiederum, die Bronze in Monte Carlo gewannen, sind eine klassische Clownstruppe, inklusive eines Weißclowns sowie Kostümen und Auftritten, die beide von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Mit unseren Kameras haben wir sowohl im klassischen als auch im zeitgenössischen Circus Leidenschaft, artistisches Talent und Unterhaltung eingefangen. Genau wie manche Leute Countrymusik und andere Heavy Metal mögen, gibt es auch für beide Circustypen ein Publikum. Dementsprechend ist es genauso wichtig, die alten Circustraditionen zu ehren und fortzusetzen, wie es der Kunstform zu erlauben, sich mit den Möglichkeiten der Zukunft zu verändern. Die Botschaft unseres Films jedenfalls lautet, dass beide Circustypen wichtig sind, um die Geschichte und die Zukunft des Circus lebendig zu halten.

Weitere Texte zu "WCC": Ein Dokumentarfilm ; Europa versus USA ; Klassisch & Modern ; Circussprache

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Text: Angela Snow
; Fotos: Ian Issitt