Am ungewöhnlichsten
für die nicht circusinteressierte amerikanische
Öffentlichkeit werden vermutlich die Anerkennung, die der Circus in
Europa erfährt, und seine vielfältigen Erscheinungsformen sein. Das
erste Beispiel, das wir filmten, war im Dezember die sehr britische
Varietéshow im Krystallpalast Leipzig. Dieses Dinnervarieté
entspricht zwar nicht der reinen traditionellen Circuslehre, seine
Show wurde aber unzweifelhaft mit Circuskünsten zusammengestellt.
Eines der größten Missverständnisse in den USA ist die Vorstellung,
dass Circus nur etwas für Kinder ist. Es ist nicht nur schwierig
Eltern zu überzeugen, mit ihren Kids eine Circusshow zu besuchen,
sondern auch die Kids selbst sind für eine Circusshow nur schwer vom
TV oder ihren Computerspielen zu trennen. Nahezu unmöglich ist es,
Erwachsene ohne ihre Kinder zum Besuch einer Circusshow zu bewegen.
Falls irgendjemand sagen würde, „Lasst uns Cocktails trinken gehen
und dabei einen nicht besonders athletischen, als Elvis verkleideten
Typen Hula Hoop machen sehen“, würde keiner mitkommen. Im Dezember
machte in Leipzig ein Publikum voller Menschen in Anzügen und
Abendkleidern genau das. Ein alter Mann in der ersten Reihe bekam,
wie der Rest der Menge, das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht und
beklatschte nonstop den Hula-Hoop-Elvis. |
Craig Reid |
Weltweihnachtscircus
Stuttgart
Um Martin
Lacey junior bei den Vorbereitungen zum Festival zu filmen, kamen
wir in der Weihnachtszeit nach Stuttgart. Für über einen Monat
besuchten jeden Tag über 6000 Menschen die Show im klassischen
Circuszelt. In den USA gibt es keinen Circus, außer Ringling, der so
viele Besucher hat. Allgemein werden Circusse nicht wahrgenommen,
wenn sie in die Stadt kommen. Familien in den USA gehen an
Weihnachten üblicherweise ins Nussknacker-Ballett. In Paris dagegen
stehen im Bois de Vincennes während der Weihnachtszeit drei Circusse
und alle spielen mehrere Shows pro Tag - mit bis zu 5000 Zuschauern.
Der wahre Augenöffner war dann aber das Festival in Monte Carlo.
Monaco, das zweitkleinste Land der Welt, zieht einmal Jahr Menschen
aus der ganzen Welt an, um in Anzügen und Pelzmänteln Circus zu
schauen. In den Staaten sind Anzüge reserviert für Oper und Ballett,
das Outfit für Circus sind Jeans und T-Shirts. Aber die Leute kommen
nicht nur nach Monte Carlo um zu schauen, nein, wenn das Publikum
eine Darbietung besonders mag, gibt es stehende Ovationen, die Menge
trampelt mit den Füßen und das Lachen kann noch viele Straßen weiter
gehört werden. Dann, nach einer viereinhalbstündigen Show, die nach
Mitternacht endet, ist das Publikum immer noch nicht müde und
applaudiert weitere fünf Minuten im Stehen. In den Staaten schafft
es das Publikum kaum, eine zweistündige Show sitzend zu ertragen.
Monte Carlo:
Exquisites Publikum und eine Prinzessin als Direktorin
Vor einer Show
in Monte Carlo treffen wir Rob Torres, den amerikanischen Clown, wie
er in Alltagsklomotten einem finnischen Teenager ein Autogramm gibt.
Dass ein Clown respektiert und bewundert wird, ist für das
amerikanische Publikum eine seltsame Vorstellung, ist doch in
Amerika „scary“, also angsteinflößend beziehungsweise gruselig, das
am häufigsten verwendete Adjektiv um einen Clown zu beschreiben.
Schuld an diesem Image ist möglicherweise noch immer die
Steven-King-Verfilmung „Es“ aus dem Jahr 1990. Und, wenn sie nicht als „scary“
bezeichnet werden, dann gelten Clowns ausschließlich als Kinderkram.
So erfährt Torres in den USA immer die gleichen Reaktionen, wenn er
erzählt, dass er von Beruf „Clown“ ist. Die Leute denken sofort an
den Kindergeburtstagsclown mit Regenbogen-Perücke, roter Nase und
großen Schuhen. Künstler, Komiker oder Vollzeit-Job wird dagegen nie
in Betracht gezogen. In Monte Carlo ist es aber nicht nur der Clown,
der Aufmerksamkeit bekommt. So wird zum Beispiel auch Martin Lacey
junior kurz nach seinem Auftritt mit den Löwen, noch schwitzend, im
Backstagebereich von zwei älteren, beinahe in Ohnmacht fallenden
Damen im teuren Pelzmantel um ein Erinnerungsfoto gebeten. In den
USA kann nur ein Hollywood-Star diese Aufmerksamkeit erlangen. Die
Circuskunst dagegen muss dort noch einen langen Weg gehen, um diese
Wertschätzung zu erreichen. |