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Angela Snow und Ian Issit

Als wir (Angela Snow und Ian Issit) angefangen haben, den Dokumentarfilm „World Circus Culture“ zu produzieren, und den Leuten erzählt haben, dass wir dafür nach Europa gehen werden, um Circus zu filmen, war die Antwort immer: „Oh, viel Spaß mit den Landstreichern!“ In den Staaten betrachtet die Öffentlichkeit Circus als eine Art Freakshow. Die einzigen bekannten Circusnamen sind Ringling und Cirque du Soleil. Jene Skeptiker werden überrascht sein, wenn sie unseren Film anschauen, denn wie unsere Zeit in Europa bewiesen hat, als wir fünf Circusdarbietungen während des 34. Festivals von Monte Carlo begleitet haben, gibt es eine große, spannende Circuswelt da draußen, die es wert ist, einer großen Öffentlichkeit bekannt gemacht zu werden.

Am ungewöhnlichsten für die nicht circusinteressierte amerikanische Öffentlichkeit werden vermutlich die Anerkennung, die der Circus in Europa erfährt, und seine vielfältigen Erscheinungsformen sein. Das erste Beispiel, das wir filmten, war im Dezember die sehr britische Varietéshow im Krystallpalast Leipzig. Dieses Dinnervarieté entspricht zwar nicht der reinen traditionellen Circuslehre, seine Show wurde aber unzweifelhaft mit Circuskünsten zusammengestellt. Eines der größten Missverständnisse in den USA ist die Vorstellung, dass Circus nur etwas für Kinder ist.  Es ist nicht nur schwierig Eltern zu überzeugen, mit ihren Kids eine Circusshow zu besuchen, sondern auch die Kids selbst sind für eine Circusshow nur schwer vom TV oder ihren Computerspielen zu trennen. Nahezu unmöglich ist es, Erwachsene ohne ihre Kinder zum Besuch einer Circusshow zu bewegen. Falls irgendjemand sagen würde, „Lasst uns Cocktails trinken gehen und dabei einen nicht besonders athletischen, als Elvis verkleideten Typen Hula Hoop machen sehen“, würde keiner mitkommen. Im Dezember machte in Leipzig ein Publikum voller Menschen in Anzügen und Abendkleidern genau das. Ein alter Mann in der ersten Reihe bekam, wie der Rest der Menge, das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht und beklatschte nonstop den Hula-Hoop-Elvis.


Craig Reid


Weltweihnachtscircus Stuttgart

Um Martin Lacey junior bei den Vorbereitungen zum Festival zu filmen, kamen wir in der Weihnachtszeit nach Stuttgart. Für über einen Monat besuchten jeden Tag über 6000 Menschen die Show im klassischen Circuszelt. In den USA gibt es keinen Circus, außer Ringling, der so viele Besucher hat. Allgemein werden Circusse nicht wahrgenommen, wenn sie in die Stadt kommen. Familien in den USA gehen an Weihnachten üblicherweise ins Nussknacker-Ballett. In Paris dagegen stehen im Bois de Vincennes während der Weihnachtszeit drei Circusse und alle spielen mehrere Shows pro Tag - mit bis zu 5000 Zuschauern. Der wahre Augenöffner war dann aber das Festival in Monte Carlo. Monaco, das zweitkleinste Land der Welt, zieht einmal Jahr Menschen aus der ganzen Welt an, um in Anzügen und Pelzmänteln Circus zu schauen. In den Staaten sind Anzüge reserviert für Oper und Ballett, das Outfit für Circus sind Jeans und T-Shirts. Aber die Leute kommen nicht nur nach Monte Carlo um zu schauen, nein, wenn das Publikum eine Darbietung besonders mag, gibt es stehende Ovationen, die Menge trampelt mit den Füßen und das Lachen kann noch viele Straßen weiter gehört werden. Dann, nach einer viereinhalbstündigen Show, die nach Mitternacht endet, ist das Publikum immer noch nicht müde und applaudiert weitere fünf Minuten im Stehen. In den Staaten schafft es das Publikum kaum, eine zweistündige Show sitzend zu ertragen.


Monte Carlo: Exquisites Publikum und eine Prinzessin als Direktorin

Vor einer Show in Monte Carlo treffen wir Rob Torres, den amerikanischen Clown, wie er in Alltagsklomotten einem finnischen Teenager ein Autogramm gibt. Dass ein Clown respektiert und bewundert wird, ist für das amerikanische Publikum eine seltsame Vorstellung, ist doch in Amerika „scary“, also angsteinflößend beziehungsweise gruselig, das am häufigsten verwendete Adjektiv um einen Clown zu beschreiben. Schuld an diesem Image ist möglicherweise noch immer die Steven-King-Verfilmung „Es“ aus dem Jahr 1990. Und, wenn sie nicht als „scary“ bezeichnet werden, dann gelten Clowns ausschließlich als Kinderkram. So erfährt Torres in den USA immer die gleichen Reaktionen, wenn er erzählt, dass er von Beruf „Clown“ ist. Die Leute denken sofort an den Kindergeburtstagsclown mit Regenbogen-Perücke, roter Nase und großen Schuhen. Künstler, Komiker oder Vollzeit-Job wird dagegen nie in Betracht gezogen. In Monte Carlo ist es aber nicht nur der Clown, der Aufmerksamkeit bekommt. So wird zum Beispiel auch Martin Lacey junior kurz nach seinem Auftritt mit den Löwen, noch schwitzend, im Backstagebereich von zwei älteren, beinahe in Ohnmacht fallenden Damen im teuren Pelzmantel um ein Erinnerungsfoto gebeten. In den USA kann nur ein Hollywood-Star diese Aufmerksamkeit erlangen. Die Circuskunst dagegen muss dort noch einen langen Weg gehen, um diese Wertschätzung zu erreichen.

Weitere Texte zu "WCC": Ein Dokumentarfilm ; Europa versus USA ; Klassisch & Modern ; Circussprache

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Text: Angela Snow
; Fotos: Ian Issitt