Zunächst einmal
sind Vanessa und Sven nun in einem Dutzend deutscher Städte
aufgetreten. Gemeinsam mit den anderen aktuellen Absolventen der
Staatlichen Schule für Artistik in Berlin waren sie gemeinsam auf
Tournee durch deutsche Varietéhäuser und bei verschiedenen
Festivals, was sich inzwischen zu einer kleinen Tradition entwickelt
hat. Beim letzten Auftritt des Ensembles am 11. September in Schwedt
(Brandenburg) werden die beiden bereits nicht mehr dabei sein, wegen
anderer Engagements. Chapiteau.de sprach mit Vanessa und Sven nach
ihrem ersten Auftritt im Stuttgarter Friedrichsbau-Varieté. Vanessa und Sven
stammen beide nicht aus Artistenfamilien, kamen aber beide auf ganz
ähnlichem Weg zu ihrem Berufswunsch. Sven ist in Bad Oyenhausen
aufgewachsen, wo vor etwa zehn Jahren das G.O.P.-Varieté im
Kaiserpalais eröffnet hat. „Ich habe dort mit acht Jahren zum ersten
Mal eine Show gesehen, und seitdem wollte ich Artist werden“,
erzählt Sven. Er hörte sich um, fragte Artisten – und bekam den
Tipp, es bei der Artistenschule in Berlin zu versuchen.
 
Ganz ähnlich
klingt Vanessas Geschichte: Ihrer Mutter war früher im
Starclub-Varieté in Kassel im Gastronomiebereich tätig, dort wurde
auch Vanessas Traum von der Karriere als Artistin geboren. Als sie
zehn war, zog sie mit ihrer Mutter nach Berlin und machte einige
Jahre beim Kindercircus „Cabuwazi“ mit, dann bewarb sie sich – wie
Sven – ebenso an der Artistenschule und wurde ebenfalls genommen.
Beide besuchen bis heute auch in ihrer Freizeit gerne Circusse und
Varietés: „Man kann sich inspirieren lassen, sieht Neues und trifft
Kollegen“, sagt Sven. Bei den Circussen sind sie besonders vom
Schweizer Nationalcircus Knie und von Roncalli angetan.
Vanessa und
Sven wechselten zu Beginn der 9. Klasse von ihren vorherigen,
„normalen“ Schulen an die Artistenschule. Dort stand im ersten Jahr
neben dem Unterricht in Mathe, Englisch & Co. eine artistische
Grundausbildung auf dem Stundenplan: Jonglage, Drahtseil, Trapez,
Handstand und Parterrespringen sind die Disziplinen, in denen sich
jeder der Berliner Artistenschüler Grundlagen erarbeiten muss.
Bereits in Klasse zehn beginnt dann die Spezialisierung. Vanessa und
Sven entschieden sich, zunächst ganz unabhängig voneinander, für den
Handstand. 2007 waren sie dann beim Circuskamp in Kellenhusen
(Ostsee) erstmals gemeinsam vor Publikum zu sehen – allerdings noch
nicht in einer gemeinsamen Kür, vielmehr präsentierten sie ihre
Hanstand-Künste im Wechsel. Bei dieser Gelegenheit entstand die Idee
zusammen zu arbeiten.

„Vanessa saß auf
dem Boden und streckte ihr Bein senkrecht nach oben, und ich
probierte einfach mal so, ob ich einen Handstand darauf machen
könnte“, erzählt Sven. Die Kollegen meinten, das sei nicht zu
schaffen. „Wir haben um einen Kaffee gewettet, dass wir das
innerhalb von zwei Wochen hinkriegen würden“, sagt Sven – der Kaffee
war Vanessa und ihm sicher, nach drei Tagen gelang ihnen der Trick
bereits. Beide bauten ihr gemeinsames Repertoire schnell aus und
wurden von der Artistenschule zu kleineren Auftritten als Duo
entsendet. Bald war klar, dass sie als Duo Artistenkarriere machen
wollen. Zweieinhalb Jahre lang waren sie übrigens auch privat ein
Paar.
Die Choreographie
ihrer Darbietung haben sich die beiden jungen Künstler weitgehend
selbst erarbeitet, zum großen Teil in ihrer Freizeit, außerhalb der
schulischen Trainingszeiten. „Wir hatten aber immer guten Kontakt zu
unserer Ballettlehrerin, die natürlich auch viele Ratschläge gegeben
hat“, berichtet Vanessa. Obwohl die Schule mittlerweile auch einen
eigenen Choreographen hat, Ivan Luzan aus der Ukraine, sieht Sven
den Schwerpunkt der Ausbildung noch immer sehr stark auf der rein
artistischen, „sportlichen“ Ausbildung. Die jungen Absolventen
wollen sich daher in den nächsten Monaten noch einmal in die Hände
eines professionellen Choreographen begeben, um am „Feinschliff“
ihrer Nummer zu arbeiten. „Gerade für die Feinheiten blieb im
letzten Jahr an der Schule ein bisschen wenig Zeit, da wir uns ja
auch auf die Abiturprüfungen vorbereiten mussten.“ Sie gehören dem
ersten Jahrgang an, der die Möglichkeit hatte, an der Schule das
Abitur zu machen, und nutzten diese beide. Die artistische
Abschlussprüfung meisterten sie mit der Bestnote 1,0.
  
Impressionen aus Vietnam
Die beiden haben
sich zu den Shooting-Stars des aktuellen Abschlussjahrgangs der
Berliner Artistenschule entwickelt. Bereits vor der
Abschlussprüfung, im Mai, durften Vanessa und Sven beim Artistenfestival
„Young Stage“ in Basel teilnehmen und wurden dort mit dem „Young
Star“, dem Preis für jüngere Artisten, und dem Preis der Schweizer
Fernsehsendung „Benisimo“ geehrt, der auch einen TV-Auftritt
beinhaltete. Im Rahmen der Abschlussgala der Artistenschule in
Berlin erhielten sie den Preis einer Künstlerzeitschrift als „beste
Nachwuchsartisten 2010“, verbunden mit einem Auftritt bei der
Internationalen Kulturbörse Freiburg 2011, und schließlich nahmen
sie im August als einzige westliche Artisten am Circusfestival in
Hanoi teil, wo sie die Silbermedaille holten. „Das war wirklich
aufregend, und es waren viele wirklich krasse Nummern vertreten, zum
Beispiel aus der Mongolei, aus China, aus Russland, der Ukraine und
aus Vietnam selbst“, berichtet Sven einige Wochen nach dem Interview
im Friedrichsbau am Telefon. „Wir waren uns sicher, dass wir hier
keine Chance haben würden. Über den Preis haben wir uns dann umso
mehr gefreut, wir waren überrascht und überwältigt.“ Außerdem lobt
er die hervorragende Organisation des Festivals und die sehr
freundlichen „Macher“ vor Ort.
Ende Oktober werden die beiden nun beim European Youth Circus in
Wiesbaden an den Start gehen und hoffen auf eine weitere
Auszeichnung, im September und Oktober stehen zudem einige Galas an,
anschließend sind sie vier Monate lang in der Dinnershow des
Europaparks Rust engagiert, dann im Apollo-Varieté in Düsseldorf –
ein Traumstart ins Artistenleben… |