 |
Trier, 15. Januar 2006: Sie kommen ganz unscheinbar daher: in
weißen Hosen, weißen Hemden und weißer Schminke im
Gesicht. Ohne Zweifel, damit wecken sie vor allem eine
Assoziation: Psychiatrie. Schon bald aber ist klar: hier
wird nicht die übliche FlicFlac-Schiene mit wild
schreienden und zappelnden Irren bedient. Die vier
Ukrainer von Crazy-Flight gehen es subtiler an: Mit
kindlicher Naivität performen sie einen kombinierten
Hand-auf-Hand und Hand-Voltigen-Act, wie er hinreißender
nicht sein könnte, in der jede Geste verzaubert. Da wird
mit Flitter geworfen, beim durch die Lüfte fliegen mit
den Armen gewedelt und zum Kompliment geknickst.
Gleichzeitig zählt die Nummer wohl zu den
leistungsstärksten ihrer Art. Aber das ist es nicht, was
dieser Nummer nie enden wollende Beifallsstürme und
einen festen Platz im Herzen vieler Circusbesucher
einräumt. Es ist diese herzenswarme Choreographie, die
die Zuschauer schwärmen lässt und auch mich wie
verzaubert zurückließ, als ich die Jungs zum ersten Mal
sah.
|
Das war 2003 bei James Jungelis Da Capo in
Darmstadt. Unser erstes Engagement in
West-Europa, erzählt der 23jährige Truppenchef
Sergey Sakun. Die vier Crazy Flights Andriy
Poslushnyy (18), Dmytro Zemlyanyy (23), Ihor Kozhyn (30)
und eben Sakun kommen allesamt von der Sportakrobatik.
2001 holten sie im portugiesischen Faro gar zwei
Weltmeistertitel (siehe hier). Geld verdienten sie mit ihrem
Sport aber trotzdem nicht. Bis sich der Kiewer Regisseur
Dmitriy Viskov ihnen annahm. Viskov, der der Circuswelt
schon die beiden Hand-auf-Hand-Truppen Seaworld und
Atlantis geschenkt hatte, entwickelte gemeinsam mit den
Jungs die bezaubernde Choreographie und vermittelte ihnen
ein erstes Engagement in Japan. Später folgten Auftritte
in Israel, im Düsseldorfer Apollo-Theater und im GOP
Essen. In schlechter Erinnerung ist Crazy-Flight nur ein
Engagement im Kopenhagener Tivoli-Park geblieben:
Wir mussten draußen arbeiten, was uns dummerweise
niemand gesagt hatte. Und so froren wir in unseren
dünnen Leibchen im dänischen April ganz
erbärmlich.
|
 |
 |
Eine tolle Erfahrung, da sind sich die
vier einig, war dagegen das Jahr letzte Jahr, in dem sie
zum ersten Mal eine komplette Tournee im Circus
absolvierten. Mit dem französischen Vorzeige-Circus
Arlette Gruss und dem Programm Reves tourten
sie kreuz und quer durch Frankreich. Anfangs, so Sakun,
wäre es zwar etwas schwierig gewesen, mit der
verschworenen Gemeinschaft von Circusleuten in Kontakt zu
kommen, mit der Zeit aber haben sie viele neue Freunde
gewonnen. Nach der Gruss-Tour und einem sechstägigen
Gastspiel beim Trierer Weihnachtscircus werden die Crazy
Flights 2006 nicht im Circus auftreten.
|
Dafür sind sie im Januar in der Turngala
„Feuerwerk der Turnkunst“ des Niedersächsischen Turnerbunds in
verschiedenen Städten Norddeutschlands zu erleben und im Herbst im
GOP Münster. Auch da werden die Zuschauer wieder ins
Schwärmen geraten und nach dem Genuss der Darbietung Sergey Sakuns Aussage verstehen: Crazy Flight ist
kein Job. Es ist auch für uns jedes Mal wieder ein
großer Spaß. |
__________________________________________________________________________
Text und Fotos:
Sven Rindfleisch
|